„Ist jetzt keiner da“

Liebe Leserinnen und Leser,

ich war gestern mal wieder beim Edeka unseres Vertrauens. Sylter Schnittkäse, neue Espresso-Tabs und griechischen Yoghurt mit Honig geholt. Vier Kassen, eine geöffnet, ich schwöre, 18 Leute mit Mundschutz und Einkaufswagen in der Warteschlange. Einer ruft: „Können Sie eine weitere Kasse aufmachen bitte?“, Antwort der genervten Dame im schwarzen T-Shirt, während sie ein paar Gurken über den Scanner zieht: „In fünf Minuten, ist jetzt keiner da.“

Zeit ist ein wichtiger Faktor, vor allem, wenn man 62 ist und Deutschland retten will. Ich hasse sinnloses Rumstehen. Man hilft sich dann irgendwie immer noch gegenseitig, wenn einen ein noch älterer Kollege mit einem Zitronenbeutel und einer Tüte Toast traurig anschaut. „Gehen Sie ruhig vor, wir brauchen eh noch ein wenig…“

Nach gut zehn Minuten raus, alles bezahlt und in der Öko-Tüte verstaut gegenüber zum Bäckerei-Fachbetrieb. Sechs Leute vor mir, anstehen. Eine Verkäuferin, eine. Als ich es fast zu den Laugenbrötchen geschafft habe und nur noch eine junge Frau vor mir dran ist, sagt sie: „Können Sie mir zwei Brötchen schmieren?“ Die Verkäuferin antwortet mit „Gürkschen“ (so reden die hier wirklich), Salat und Remoulade?“ Ja, mit allem… Unterdessen staut sich hinter mir die nächste Schlange.

Ich weiß nicht, ob Sie den wunderbaren Film „Falling down“ kennen mit Michael Douglas. Alter weißer Mann, Familienvater, der eigentlich nur ein ruhiges Leben führen will und Zeit mit seinen Kindern, mit seiner Familie, verbringen. Und der dann mit einer Pumpgun ins Fastfood-Restaurant geht, weil er die Bräsigkeit seines alltäglichen Umfeldes nicht mehr ertragen kann. Ich möchte gern ein Frühstück? Das geht nicht, weil es zwei Minuten zu spät ist.

Ich fühle mich manchmal so wie dieser weiße Mann im Film, „alte“ spare ich mir jetzt, und Deutschland 2021 ist so ähnlich wie in dem Film. Und das macht mich traurig, weil Deutschland, mein Land, Ihr Land, eigentlich so schön sein könnte.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.