Liebe Leserinnen und Leser,
gestern habe ich Bundeskanzler Olaf Scholz erstmals live erlebt. Nicht, dass mich das tief beeindruckt hätte, aber es war dennoch interessant, denn der deutsche Regierungschef sprach auf dem alljährlich stattfindenden „Wirtschaftstag“ des CDU-Wirtschaftsrates im feinen Mariott-Hotel in Berlin. Im Botschaftsviertel unserer Hauptstadt.
Scholz bei der CDU – klar, werden manche von Ihnen lästern.
„Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“
Aber während ich da mit einigen Hundert CDU-nahen Unternehmern im Saal saß und zuhörte, kam mir in den Sinn, wie gut es doch eigentlich ist, dass wir hierzulande einen politischen Stil pflegen, in dem ein solcher direkter Austausch gepflegt wird, ja überhaupt möglich ist.
Der CDU-Wirtschaftsrat ist keine Vereinigung der Union, wie die Mittelstandsvereinigung MIT, Junge Union oder Frauen Union. Sie ist selbständig, ein Verein, ein Zusammenschluss von Unternehmern und Managern großer Konzerne. Nicht der Kfz-Meister oder der der Bäcker wird hier Mitglied, sondern der Commerzbank-Vorstand oder der BASF-Manager. Nicht, um bei solchen Tagungsen nebenbei ein paar Aufträge abzugreifen, sondern um den Mächtigen in der Politik ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Seit 60 Jahren gibt es diesen wirtschaftspolitischen ThinkTank, und manche Beobachter erwarteten den Sturz in die Bedeutungslosigkeit für den CDU-Wirtschaftsrat nach der selbst verdienten Wahlniederlage der Union mit Armin Laschet gegen Olf Scholz und sein Linksbündnis. Doch das ist augenscheinlich nicht passiert, denn der Wirtschaftsrat wird gehört in der Union, bekommt weiter ein großes Forum bei den meinungsbildenden Leitmedien in Deutschland und spielt auch bei machtpolitischen Fragen innerhalb der schwesterparteien CDU und CSU eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Olaf Scholz wurde nicht gerade gefeiert nach seiner Rede gestern, und warum auch? Er erhielt höflichen Beifall, wie es sich unter Demokraten gehört. Hätte man hier eine geheime Abstimmung veranstaltet, ich glaube, Scholz hätte es nicht über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Aber – das ich mein Thema hier – der zivilisierte Dialog, das ist es, was eine Demokratie auszeichnet. Das miteinander reden und streiten können der politischen Kräfte, die die Geschicke Deutschlands lenken, das ist wichtig und gut.
Der Bundeskanzler hat nichts gesagt, was überraschend war. Er hat sich thematisch auf die Energiepolitik konzentriert, bezahlbaren Strom sowohl für die privaten Haushalte und für die deutschen Unternehmen. Ab und zu gab es Raunen im Saal, wenn das Orakel Scholz etwa prognostizierte, der Strom aus Erneuerbaren Energien werde irgendwann nicht mehr subventioniert werden müssen, sondern sogar um mehr als die Hälfte billigen als Atomstrom sein. Eine steile These, oder?
Wir alle müssen miteinander reden, auch lagerübergreifend, auch außerhalb unserer politischen Wohlfühl- oder Hass-Blasen. Ich habe Olaf Scholz nicht gewählt, weder SPD, noch Grüne und schon gar nicht die SED/Linke. Das können Sie mir glauben. Aber jetzt sind sie nunmal da. Also reden und streiten wir mit ihnen.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Klaus Kelle