von CHRISTIAN KOTT
MAGDEBURG – ARD und ZDF waren sich am Wahlabend mit spürbarer Erleichterung sicher: Großer Gewinner der Landtagswahl sind wir alle, denn mit vereinten Kräften konnte immerhin verhindert werden, dass die AfD stärkste Partei wurde, was nach den Umfragen zwischendurch möglich schien. Für dieses große Ziel schluckte man sogar herunter, dass die grüne Lieblingspartei des ÖRR es gerade einmal so über die 5-Hürde-Hürde geschafft hatte und mit der CDU Sachsen-Anhalts eine Partei abgeräumt hat, die offen zumindest für die Begrenzung der Mittel für die zwangsfinanzierte Propaganda eintrat.
Aber etwas anderes ist zumindest für diejenigen bemerkenswert, der Zahlen lesen können und die zielgerichteten Analysen der Staatsfunk-Experten allenfalls für Denkanstöße hält. Danach sind die großen Wahlgewinner nämlich anderswo zu finden.
Die Nichtwähler
Die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt ist um 0,8 Prozent auf rund 60 Prozent gesunken. Von den knapp 1,8 Millionen Wahlberechtigten sind etwa 700.000 Wähler am Sonntag zu Hause geblieben. Das entspricht in Wählerstimmen fast dem Doppelten der Stimmen für den großen Wahlsieger CDU und deutlich mehr als dem Dreifachen der AfD-Stimmen.
Wären die Nichtwähler eine eigene Partei, so wären sie klarer Wahlsieger und könnten sich den Koalitionspartner aussuchen. So allerdings sind sie im Landesparlament schlicht parlamentarisch nicht vertreten. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wir reden hier über rund 40 Prozent der Wahlberechtigten…
Die Freien Wähler
Mit beachtlichen 3,1 Prozent Zweitstimmen und einem Zuwachs von einem glatten Prozentpunkt haben die Freien Wähler deutlich gemacht, dass mit ihnen zwar noch nicht in der Gegenwart aber zukünftig durchaus zu rechnen sein wird. Bemerkenswert: Sogar noch stärkere 5,4 Prozent der Erststimmen machen deutlich, dass das Konzept, weniger auf seitenlange Programme zu setzen, die eh nur wenige lesen, sondern auf glaubwürdige Kandidaten, durchaus einen gewissen Anklang beim Wähler findet.
Durch die Segnung (jedenfalls aus Sicht der schwerfälligen und bewegungsarmen Großparteien) der Fünf-ProzentHürde bleiben über 33.000 Zweitstimmen und über 57.000 Erststimmen für die Freien Wähler ohne jegliche parlamentarische Vertretung.
Die „Sonstigen“
Erstaunliche 7,3 Prozent derjenigen, die überhaupt gewählt haben, entschieden sich gestern für eine Kleinpartei, obwohl sie genau wussten, dass keine dieser Parteien eine Chance auf mehr als fünf Prozent hat. Zusammen mit den oben genannten Stimmen der Freien Wähler sind das dann über zehn Prozent derjenigen, die gewählt haben, aber sich dennoch das Landesparlament allenfalls von der Besuchertribüne aus anschauen können. Zählt man jetzt die Nichtwähler dazu… Rechnen Sie doch einmal selber nach und fragen sich, welche demokratische Legitimation eine solche Volksvertretung wirklich noch hat.
Schauen wir uns ein paar ausgewählte Kleinparteien an, dann kann man (wenn einem nicht durch den ÖRR-Tunnelblick jegliche realistische Betrachtung auf die grundsätzlichen Probleme in Deutschland verstellt ist) erstaunliche Schlüsse ziehen:
Da gibt es eine „Gartenpartei“, die mit 0,8% ihr letztes Ergebnis glatt verdoppeln konnte. Wenn man seine Interessen von den Herrschaften in den Parteizentralen der großen „Volksparteien“ nicht mehr vertreten fühlt, dann gibt es in Sachsen-Anhalt eben engagierte Bürger, die verstanden haben, welches Potential in einer Bevölkerungsgruppe steckt, die sich deutschlandweit in über 15.000 Kleingartenvereinen mit rund einer Million Vereinsmitgliedern organisiert (wie viele Gartenfreunde nicht in einem Verein sind weiß niemand genau) steckt, wenn die große Politik den Partikularinteressen einer solchen Gruppe mit Arroganz und mitleidigem Lächeln begegnet.
Obwohl noch zwei weitere Listen mit „Tierschutz“ in Sachsen-Anhalt antraten, konnte die „Tierschutzpartei“ davon profitieren, dass die allenfalls Tierschutz heuchelnden Grünen in der Regierungspraxis bewiesen haben, dass ihnen Tiertransporte, das Töten von Küken für billige Eier, forstfreundlicher Massenabschuss von Wild und Vogelschreddern durch Windräder vollkommen egal sind und ihr letztes Ergebnis von 1,4% verteidigen.
Die frisch unter intensiver Beobachtung – im wahrsten Sinne des Wortes – gegründete Partei „DieBasis“, die sich aus Kritikern der Corona-Maßnahmen zusammensetzt, schaffte es trotz eines medialem Gegenwindes als „Verschwörungstheoretiker“, „Schwurbler“ und ähnlichen Unsachlichkeiten aus dem Stand auf 1,5 Prozent und verbesserte dabei noch ihr Ergebnis der Landtagswahl Baden-Württemberg im März von dort einem Prozent.
Den Strategen in den Parteizentralen der großen Staatslenker in Berlin ist all das ebenso egal wie die hinter diesen Gruppen stehenden durchaus berechtigten Interessen. Niemand dort schert sich um diese genannten Bevölkerungsgruppen, die sich zunehmend in Deutschland politisch nicht mehr vertreten fühlen oder (wie oben aufgezeigt) parlamentarisch nicht mehr vertreten sind.
Das ist eine gefährliche Entwicklung für die Demokratie, denn wenn Fünf-Prozent-Hürde und mangelndes Wahlinteresse weiter zunehmend die Regierungslegitimation in Frage stellen, dann geht das auf die Dauer nicht gut.
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