von MARK ZELLER
HAMBURG – Mal wieder droht der Hamburger SV sein Saisonziel nicht zu erreichen, mal wieder rotiert das Personal: Für die letzten drei Spieltage übernimmt Vereinsikone Horst Hrubesch den Cheftrainer-Posten von Daniel Thioune. Warum kann trotz allem Aktionismus der Wechsel zu einem mittlerweile 70-Jährigen eine zukunftweisende Entscheidung sein?
Rein auf die aktuelle sportliche Situation bezogen, birgt die Nachricht wenig Ungewöhnliches: Ein schlingernder Verein trennt sich von seinem Trainer. Ganze drei Siege in 14 Rückrunden-Spielen, der Sturz von der Tabellenspitze bis in weite Ferne der direkten Aufstiegsplätze, zuletzt fünf Spiele ohne Sieg. Da ist Handeln folgerichtig, möchte man meinen. Wäre dieser Verein nicht der HSV, bei dem man Jahr für Jahr betont, jetzt aber nun wirklich mal eine langfristige sportliche Leitung etablieren zu wollen.
Stattdessen ist Horst Hrubesch, der den am Montag geschassten Daniel Thioune beerbt, der nun sage und schreibe 27. (!) Cheftrainer seit dem Jahr 2000. Und das bei jenem Verein, der so lange, wie kein zweiter der Fußball-Bundesliga von ihrer Gründung an ununterbrochen angehörte – dessen einzige Kontinuität seit Jahren jedoch nur noch das Verfehlen eigener Saisonziele ist.
Nach dem ersten Abstieg 2018 stets als Top-Favorit gestartet, droht der einstige Bundesliga-Dino nun zum dritten Mal die Rückkehr ins Oberhaus zu verdaddeln – jedes Mal mit einem veritablen Einbruch in der Rückrunde. In unschöner Regelmäßigkeit degenerieren dabei gestandene Profis und Leistungsträger zu hilflosen Mitläufern. Und Trainer ganz unterschiedlichen Zuschnitts stoßen an die Grenzen ihres Fußballverstandes: Ob der „Entwickler“ Hannes Wolf, der „alte Hase“ Dieter Hecking oder nun der zuletzt ratlos wirkende „Innovator“ Thioune.
Dessen Rausschmiss wird im gepeinigten Fan-Lager durchaus von verschiedenen Gesichtspunkten aus bewertet. Während die einen sagen, die Trennung kam angesichts der sportlichen Fehlentwicklung zu spät, bemängeln andere die erneute Aufkündigung einer längerfristigen Ausrichtung und die damit einhergehende Unglaubwürdigkeit des Clubs bezüglich seiner Philosophie. Nun also wieder der kurzfristige Versuch zu retten, was wahrscheinlich nicht mehr zu retten ist. Und Hrubesch ist dafür die letzte Patrone. Aber eben nicht die schlechteste! Sein großes Plus: Er ist nicht nur eine lebende Spieler-Legende, sondern war auch in noch gar nicht allzu ferner Vergangenheit als Coach erfolgreich.
Spieler-Legende, Erfolgstrainer und Teamplayer
Erst im vergangenen Sommer war der Mann, der beim HSV als Führungsspieler die erfolgreichste Zeit der Clubgeschichte geprägt hatte, nach 37 Jahren Abwesenheit in die Hansestadt zurückgekehrt und hatte die Leitung des HSV-Nachwuchsleistungszentrums übernommen – bei jenem Verein, wo er als Spieler drei Meistertitel und den Europapokal der Landesmeister geholt und in 211 Pflichtspielen unglaubliche 132 Tore erzielt hatte (1978 – 1983). In seine Hamburger Zeit fiel auch seine Nationalmannschaftskarriere, in der er die Deutsche Elf 1980 mit zwei Endspiel-Treffern zum Europameister-Titel schoss. Das Geheimnis seines Erfolges und seiner großen Beliebtheit bei Mitspielern wie Fans: Auch als Mannschaftskapitän, gefürchtetes „Kopfballungeheuer“ und Torschützenkönig blieb Hrubesch immer absoluter Teamplayer, auf und neben dem Platz.
Als Trainer verdiente er sich vor allem in seinen 16 Dienstjahren beim DFB (2000 bis 2016) seine Meriten: 2008 gewann er mit der U19 und 2009 mit der U21 die Europameisterschaft und wurde dabei zu einem wesentlichen Förderer der späteren Weltmeister-Generation. 2016 holte die von ihm betreute Olympia-Auswahl die Silbermedaille. 2018 sprang er nochmal ein als Interims-Coach der Frauen-Nationalmannschaft.
Ähnliches gilt nun auch für den Trainerjob bei seinem Herzensverein, wie Hrubesch betont: „Ich bin nur für die letzten Spiele in dieser Saison Trainer. Danach kehre ich auf meinen Posten im Nachwuchsleistungszentrum zurück.“ Bis dahin soll freilich dem zuletzt in Hamburg spürbar geschrumpften Aufstiegsgeist neues Leben eingehaucht werden. Und dafür scheint der gebürtige Ruhrpottler und gelernte Dachdecker genau der Richtige: Hrubesch jammert nicht, er packt an. Und er steht für im Fußballsport zeitlos erfolgsversprechende Grundtugenden: Vertrauen, Geradlinigkeit, ehrliche Arbeit, Kampfgeist, Beständigkeit – kurzum: All das, was Hamburgs ehemaligem sportlichem Aushängeschild in den letzten Jahren zusehends abhanden kam.
Neuer Impuls und „andere Ansprache“
Und so formuliert auch Hamburgs Sportvorstand Jonas Boldt die Erwartungen an den neuen Chef-Coach: „Die Mannschaft braucht jetzt einen neuen Impuls.“ Und weiter: „Wir wollen keinen völlig anderen Fußball, es geht um eine andere Ansprache. Horst soll mit seiner Klarheit und Lockerheit bis Saisonende eine Richtung vorgeben.“ Und die lautet: Zumindest alles versuchen, um am Ende zumindest Relegations-Platz 3 zu erreichen, den man zwar aktuell noch hält, allerdings mit nur zwei Punkten Vorsprung auf Kiel, das aber noch drei Nachholspiele hat.
Hrubesch selbst gibt zu Protokoll: „Zunächst einmal geht es darum, die Köpfe der Spieler freizubekommen. Zuletzt hat die Mannschaft leider oft unter Wert gespielt. Sie verfügt über eine andere Qualität, die wir jetzt in den verbleibenden Spielen auf den Platz bringen müssen.“ Wie das zu schaffen sei? Mit einer „guten Mischung aus Lockerheit, Spaß und Zielstrebigkeit“. Er erwarte, „dass unser gesamter Kader inklusive Trainer, Staff und Spieler alle Kräfte und alle Konzentration für die letzten drei Ligaspiele bündelt“. Doch Hrubesch wäre sogar zuzutrauen, seinem taumelnden Herzensclub seine Erfolgstugenden wieder dauerhaft einzuimpfen.
Zuspruch dafür bekommt er von seinem alten Weggefährten Bernard Dietz, dem Mannschaftskapitän der Europameisterelf von 1980: „Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute und drücke die Daumen, dass er Erfolg haben wird! Dann setzt der Lange sich in Hamburg ein Denkmal. Er kennt den Verein so gut wie keine anderer. Wenn den HSV-Aufstieg jetzt noch einer schafft, dann der Horst.“
Bildquelle:
- Rettungsmission: dpa