Marcel Luthe kritisiert die „Unfähigkeit und maßlose Selbstüberschätzung“ in Berlin

Marcel Luthe sieht schwerwiegende Mängel bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zum Bundestag. Er hat Strafanzeige gestellt.

BERLIN – Marcel Luthe, früherer FDP-Abgeordneter und zuletzt Spitzenkandidat der Freien Wähler bei der Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl, lässt nicht locker. Sowohl bei der Bundestagswahl als auch bei der Berliner Wahl hatte es offenbar massive Pannen und Fehler gegeben, die Berliner Ergebnisse dürfen so nicht stehenbleiben, sagt er. TheGermanZ fragte bei ihm nach.

Marcel Luthe, Sie haben in den vergangenen Wochen Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen des Bezirkswahlamtes Friedrichshain-Kreuzberg gestellt. Versäumnisse, Schludrigkeit und augenscheinlich Unfähigkeit haben viele Berliner zumindest im Wahlkreis 20512 um ihr Wahlrecht gebracht. Was ist konkret schiefgelaufen, und wie groß ist der Einfluss auf das Ergebnis der Abgeordnetenwahl nach Ihrer Ansicht?

Von schiefgelaufen würde ich nicht sprechen. Die Verantwortlichen im Bezirk haben gezielt falsche und damit ungültige Stimmzettel über Sunden ausgeben lassen und so mindestens 84 Bürger um ihr Wahlrecht gebracht. Bei der Auszählung waren diese Stimmen dann zunächst ungültig. Tage später hat man diese Stimmen wieder für gültig erklärt. Warum?

75 Prozent dieser Stimmen entfielen auf die Rot-Rot-Grüne Koalition. Und das ist nur einer von vielen Fällen aus dem Bezirk.

Handelt es sich bei diesen Vorgängen, über die zuerst „Tichy’s Einblick“ berichtet hatte, eher um die bekannte Berliner Unfähigkeit zur Organisation, oder sehen Sie bewusste Manipulationen hinter dem Chaos?

Sowohl als auch. In der mittlerweile üblichen rot-rot-grünen Mischung aus Unfähigkeit und maßloser Selbstüberschätzung sah man kein Problem in der Gesamtorganisation. Wenn wir uns erinnern, dass nicht nur drei Wahlen und ein Volksentscheid, sondern auch der Marathon, zeitgleich stattfanden und dazu der Zugang zum Wahllokal durch widersinnige „Corona-Regeln‘ erschwert wurde, ist das Chaos nicht erstaunlich.

Ebenso wenig erstaunt es mich, dass das erwartungsgemäße Ergebnis dieser unfassbar schlechten Vorbereitung seither eifrig genutzt wird, um die eigene rot-rot-grüne Agenda durchzusetzen, für die es in Berlin eigentlich keine Mehrheit gibt.

Auch bei der Bundestagswahl hat es in Berliner Wahlkreisen anscheinend…sagen wir…Pannen gegeben. Haben Sie einen Überblick, wie relevant die für das spätere Wahlergebnis sind und sein könnten?

Wir wissen mittlerweile, dass etwa 100.000 Wahlscheine nicht wirksam genutzt wurden, so dass theoretisch in jedem Berliner Bundestagswahlkreis das Ergebnis ein anderes hätte sein können. Hinzu kommen all die anderen bereits bekannten Mängel.

Trotzdem gehe ich eher vorsichtig davon aus, dass nur acht der zwölf Wahlkreise betroffen sind. Spannend ist hier besonders der Lichtenberger Wahlkreis, weil nur durch den Sieg der Kollegin Lötzsch die Linke mit Fraktionsstärke im Bundestag sitzt.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann ist jetzt auf den fahrenden Zug aufgesprungen und fordert, die Abgeordnetenhauswahl in Berlin komplett wiederholen zu lassen. Sind die Fehler und das Chaos wirklich so gravierend, dass man das tun sollte?

Thomas Heilmann will womöglich nur davon ablenken, dass natürlich auch sein Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf nur sehr knapp ausgegangen ist und eine Vielzahl von Vorwürfen gegen seinen Wahlkampf erhoben wurden. Nicht umsonst hat er sich ja nach seiner Abwahl als Justizsenator in den Bundestag verabschiedet.

Die Abgeordnetenhauswahl ist ganz eindeutig schon deshalb zu wiederholen, weil es sich mathematisch gar nicht sagen lässt, welche Auswirkungen angesichts der unterschiedlichen Parteilisten schon kleinste Änderungen in einzelnen Wahlkreisen auf andere Wahlkreise haben.

Es fällt auf, dass seitens des Senats und der Berliner Mainstreammedien nicht unbedingt großer Aufklärungswille erkennbar ist. Wie erleben Sie persönlich den Umgang aus Politik und Berliner Medien mit Ihnen und Ihren knallharten Fakten?

Nach anfänglicher Skepsis sind spätestens mit der Veröffentlichung der 27.000 Seiten Wahlniederschriften alle Berliner Medien aufmerksam geworden und unterstützen die Aufklärung. Meine Kollegen im Abgeordnetenhaus und Senat haben naturgemäß ein geringeres Aufklärungsinteresse, denn nun sind sie ja da.

Ungeachtet dieser persönlichen Befindlichkeiten muss aber gelten: Demokratie lebt von Transparenz, und diese gilt es spätestens jetzt wiederherzustellen.

Das Interview mit Marcel Luthe, der auch Bundesvorsitzender der Good Governance Gewaerkschaft (GGG) ist, führte Klaus Kelle.

 

Bildquelle:

  • Marcel_Luthe: marcel luthe

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.