Mega Zeltstadt auf der US-Basis Ramstein: Hier warten 15.000 afghanische Flüchtlinge auf den Anschlussflug

dpatopbilder - US-Soldaten gehen auf der Ramstein Air Base mit Einkaufswagen an einer Reihe von Zelten vorbei. Foto: Uwe Anspach/dpa

von WOLFGANG JUNG

RAMSTEIN – Wenn der Motorenlärm der US-Flugzeuge verebbt und der Geräuschpegel in Ramstein sinkt, ist erstaunlich, wie leise ein Camp mit etwa 15.000 Flüchtlingen aus Afghanistan wirken kann.

In Achter-Reihen stehen die khakifarbenen Armeezelte mit rundem Dach auf der US-Air Base in der Pfalz. Dazwischen spielen Kinder, Wäsche hängt über dem Zaun, der das Lager vom militärischen Teil trennt. Auf der anderen Seite spielen Soldaten wie in einer Parallelwelt Basketball. Es riecht nach feuchtem Beton. Der Flucht aus Afghanistan folgt für viele eine Reise ins Ungewisse – mit Zwischenstopp in Deutschland.

Riesige Zeltstadt

Die Krise in Kabul hat den weltweit größten US-Luftwaffenstützpunkt außerhalb Amerikas zu einer riesigen Zeltstadt werden lassen. Fast pausenlos landen graue C-17-Transporter in Ramstein. Sie kommen auch nach dem Ende der internationalen Mission in Afghanistan, weil sie Flüchtlinge unter anderem aus dem Golfstaat Katar bringen. Bis über deren Schicksal entschieden ist, wohnen sie auf dem Militärareal in Notunterkünften.

An diesem kühlen Tag steht Brigadegeneral Josh Olson auf dem Rollfeld in Ramstein, hinter ihm heulen monoton die Triebwerke einer Passagiermaschine. Der Abzug der internationalen Truppen aus Kabul war chaotisch – nun stemmt Olson die Herkulesaufgabe der Evakuierung.

Wie lange Ramstein noch als Zwischenstopp gebraucht werde? Solange der Auftrag dazu erteilt werde. Sei das nicht alles sehr belastend? Ja, schon. Der Mann mit kahlrasiertem Kopf zeigt zur Zeltstadt. Wenn man das Lächeln der Menschen sehe, die ein Flugzeug in die USA besteigen, sei das die Mühe wert. Noch Fragen? «That was easy.»

Wichtiges Drehkreuz

Für die Rettung aus Afghanistan ist Ramstein Amerikas wichtiges Drehkreuz in Deutschland. Seit dem Fall von Kabul haben Schutzsuchende wie etwa ehemalige Ortskräfte der USA und ihre Familien aus Angst vor den Taliban ihre Heimat verlassen. Sie werden in Ramstein registriert und bei Bedarf medizinisch behandelt. Mehr als 100 US-Transporter landeten seit dem 20. August auf der Air Base. Und rund 12.000 Menschen seien von hier weitergeflogen, heißt es.

Dieser Teil der größten Luftbrücke in der Geschichte der USA wäre ohne Hilfe der benachbarten deutschen Kommunen nicht möglich, betont Olson. Ralf Hechler, Bürgermeister der nahen Verbandsgemeinde, stimmt zu. «Sehr viele Menschen sind besorgt bezüglich des Schicksals der Flüchtlinge», sagt der CDU-Politiker. «Viele wollen helfen, fragen nach Unterstützungsmöglichkeiten oder bieten sich als Dolmetscher und Helfer an.» Von einem Tag auf den anderen waren Tausende Geflüchtete zu ernähren – da half die Kommune und lieferte Essen an die Air Base. «Es gab etwa Käsespätzle und Gemüselasagne», sagt Hechler.

Gegenseitige Wertschätzung

Die gegenseitige Wertschätzung ist in der Region spürbar. Im Rahmen der Amtshilfe unterstützt etwa der Kreis Kaiserslautern die US-Seite bei Fällen medizinischer Notversorgung mit anschließender Behandlung in Kliniken in Rheinland-Pfalz und im benachbarten Saarland.

In einem US-Krankenhaus bei Ramstein werden Verletzte des jüngsten Terrorangriffs in Kabul gepflegt. In derselben Klinik wurden zwei Kinder von Flüchtlingen geboren – und nicht nur dort: Auch in einem der US-Transportflugzeuge kam ein Mädchen zur Welt. Die afghanischen Eltern nannten es nach dem Rufzeichen der Maschine: «Reach».

In einem Beitrag des US-Senders CNN zeigten sich Afghanen unzufrieden mit dem Aufenthalt auf der Air Base. Rafiquallah bestätigt das nicht. Er werde von den Amerikanern gut behandelt, sagt der 37-Jährige. Mit seiner Frau und sechs Kindern wartet er auf den Weiterflug. Sein Cousin lebe in Kalifornien, der helfe beim Neuanfang, hofft er.

Afghanen sind kriegsmüde

Auch der 27 Jahre alte Sangar lobt die Betreuung in Ramstein. Er will nach Großbritannien reisen. Er lebe dort schon einige Zeit und sei bei einem Afghanistan-Besuch vom Machtwechsel überrascht worden. Es sei nachvollziehbar, dass die afghanische Armee zum Schluss nicht gegen die Taliban gekämpft habe, meint der gelernte Kellner. Das wäre nur weiteres Blutvergießen gewesen. Die Afghanen seien kriegsmüde. Wer fliehen wolle, schaffe es hoffentlich, sagt er. «Inschallah» (So Gott will).

Wäre die Afghanistan-Mission durch frühere Gespräche mit moderaten Taliban erfolgreich verlaufen? Dies hatte der damalige SPD-Chef Kurt Beck vorgeschlagen – 2007, bei einer Reise nach Kabul.

14 Jahre später sitzt Beck in seinem Büro im südpfälzischen Steinfeld. «Wenn man die momentane Situation betrachtet, ist man natürlich niedergeschmettert», sagt der 72-Jährige. «20 Jahre Einsatz internationaler Streitkräfte und NGOs, dennoch hat sich diese schreckliche Taliban-Ideologie durchgesetzt.»

Wäre eine Lösung möglich gewesen?

Und sein damaliger Vorschlag? «Ich will nicht so vermessen sein zu behaupten, dann wären die Probleme nicht so riesig und wir hätten Lösungen gefunden», meint der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident. «Aber man hätte versuchen sollen, mit Leuten, die bei aller Radikalität und Ideologie über den Tag hinaus gedacht haben, eine Lösung zu finden, eine nationale Regelung hinzubekommen.»

Nicht länger als zehn Tage darf ein Geflüchteter in Ramstein bleiben. Das sei der Wunsch der Bundesregierung, sagt Brigadegeneral Olson. Einige Afghanen hätten Asyl in Deutschland beantragt, die Zahl sei gering. Das bestätigt der Landrat von Kaiserslautern, Ralf Leßmeister. «Über die Bundespolizei ist uns bekannt, dass nur in vereinzelten Fällen Asylgesuche gestellt wurden.» Die Region wolle alles tun, um den Geflüchteten zu helfen, sagt der CDU-Politiker. «Wir können die Menschen, die in den vergangenen 20 Jahren mit unseren Truppen zusammengearbeitet haben, nicht im Stich lassen.»

Bildquelle:

  • USA evakuieren Afghanen über Ramstein: dpa

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