Missionar Johannes Hartl: „Wir dürfen Fußball-EM feiern aber Gott nicht?“

Klaus Kelle (l.) besuchte Dr. Johannes Hartl im Gebetshaus in Augsburg.

AUGSBURG – katholische Augsburger Theologe Johannes Hartl ist für die Zukunft des christlichen Glaubens einer der, vielleicht der wichtigste Mann in Deutschland. Aufgewachsen im niederbayerischen Metten wurde er einem großen Publikum durch das Gebetshaus in Augsburg und seine Großveranstaltungen wie die Gebetskonferenz MEHR bekannt, zu der im Januar dieses Jahr 11.000 vornehmlich junge Christen zu Gebet und Lobpreis strömten.

Vor sechs Jahren traf ich Johannes Hartl zum ersten Mal persönlich. Damals antwortete er auf meine Frage, warum er das alles tue, was er tue, mit „Ich will einen Beitrag dazu leisten, Deutschland wieder christlich zu machen.“ Kurz vor Ostern eine gute Gelegenheit, mal nachzufragen, wie es dabei so läuft.

Johannes Hartl, wie läuft‘s denn so mit der Christianisierung Deutschland, seit wir uns damals darüber unterhalten haben?

Das ist ein langer Prozess. Natürlich wird Deutschland einerseits immer säkularer. Ich stelle aber auch ein Umdenken innerhalb der Christenheit fest. Eine immer stärkere Ausrichtung auf die Menschen, die noch nicht zur Kirche kommen. Auf die man auch nicht einfach wartet, sondern zu denen wir gehen müssen – mit jungen Initiativen, zum Beispiel auch im Internet.

Das klingt so einfach, aber wie erreicht man junge Leute, wie begeistert man sie für die Botschaft Jesu?


Früher war das ein selbstverständlicher Prozess. Die Volkskirchen hatten ein großes, fast allumfassendes Umfeld, wo der Glaube selbstverständlich gelebt wurde. Das finden Sie heute immer weniger. Man muss heute viel pointierter formulieren als vor 40 Jahren.

Warum sollte man überhaupt glauben? Welchen Sinn hat das Leben? Mit solchen Fragen kann man junge Leute erreichen. Übrigens nicht nur heute, der Trend hat lange vor den Neuen Medien begonnen. Aber auf jeden Fall gilt: Der Glaube ist heute nicht mehr selbstverständlich.

Wie erreichen Sie mit ihren Botschaften und Themen junge Leute?

Das Internet ist natürlich die Plattform schlechthin, wenn man junge Leute erreichen will. In meinem Fall setze ich sehr stark auf YouTube und Instagram.

Was ist mit TikTok?

Das beobachte ich noch. Ehrlich gesagt verstehe ich bei TikTok die Algorithmen noch nicht.

Auf welche Inhalte, welche Themen konzentrieren Sie sich persönlich bei Ihrem Missionswerk?

Das sind die großen Sinnfragen, die jeder kennt. Ich nenne das ganz gern die „Philosophie des wahren Lebens“, also was trägt wirklich, woran kann ich glauben? Auch gesellschaftliche Themen streife ich manchmal. Klar, ich rede auch mal über Israel, Gaza, den Krieg in der Ukraine. Aber meine Hauptanliegen sind anders.

Da geht es mir darum, die großen Fragen des Glaubens rational und verantwortbar anzubieten. Man muss seinen Verstand nicht an der Garderobe abgeben, um zu glauben.

Erleben Sie auch Ablehnung, wenn Sie mir der Botschaft Jesu unterwegs sind?

In Online-Kommentaren lese ich öfter, dass Menschen mit dem christlichen Glauben nichts zu tun haben wollen. Manche lehnen die Idee des Gebetshauses, wo 24 Stunden rund um die Uhr einfach nur gebetet wird, ab. Manchen Evangelischen sind wir zu katholisch, Katholischen manchmal zu niederschwellig, in dem was wir tun…

Und dann natürlich die 180 Euro Eintrittsgeld für Ihre MEHR-Treffen…

Ja, auch das ist tatsächlich ein Thema. Wir haben noch bei keiner dieser Konferenzen Gewinn gemacht, sind froh, wenn wir mit dem Geld ungefähr so hinkommen. Aber interessant ist auch die Erfahrung, dass unsere und meine Kritiker meistens noch nie bei einer dieser Veranstaltungen dabei gewesen sind, die sie hart kritisieren.

Nach der MEHR 2024 haben Sie gesagt, Sie persönlich wollen sich nach 17 Jahren ein wenig in der Leitung des Gebetshauses zurücknehmen, haben ein Leitungsteam geformt….

Ja, Teams führen besser als Einzelne, jeder Gründer muss sehen, dass er vor dem 90. Geburtstag loslässt. Bei Gott gibt es keine Superstars, sondern wir brauchen alle Ergänzung und Korrektur. Teamorientiert, transparent und auf Augenhöhe zu leiten, scheint mir gerade für geistliche Werke sehr wichtig.

Wir sind dabei auch auf Wachstum ausgerichtet, aus dem Gebetshaus wird mehr und mehr eine Bewegung.

Wir erreichen auf Insta und YouTube zum Beispiel viele Millionen Klicks. Aus den Kommentaren wird ersichtlich, dass unsere Inhalte oft von Menschen gesehen werden, die nicht gläubig sind. Auf meinen eigenen Kanälen versuche ich, den Glauben verständlich zu erklären. Und ich erhalte damit fast jeden Tag Rückmeldungen, in denen mir Manschen schreiben, dass sich der Kurs ihres Lebens durch das, was sie gehört haben, verändert habe. Auch manche, die so zum Glauben gefunden haben.

Und dann gibt es auch die, die schreiben, dass sie mein Video gut finden, aber mit dem Glauben trotzdem nichts anfangen können. Aber das ist ja auch OK.

Hat die Amtskirche, haben die christlichen Großorganisationen auf Dauer eine Zukunft?

Unbedingt. Bewegungen können eine große Kirche nicht ersetzen! Wir haben hier zu unserem Heimatbistum Augsburg ein gutes Verhältnis, der Bischof kommt immer wieder auf unsere Veranstaltungen. Und sonntags geht meine Familie hier in eine normale Gemeinde zur Messe. Aber klar, es gibt auch Kritiker, die dem Gebetshaus oder meiner Person eher kritisch gegenüber stehen…

Die Kirche müsste wahrscheinlich viel mehr aktiv tun, um der Säkularisierung entgegenzuwirken, oder?

Ja, klar! Warum starten katholische und evangelische Kirche zu Ostern nicht gemeinsam eine PR-Kampagne, wo sie der breiten Öffentlichkeit verständlich erklären, um was es dabei überhaupt geht, was wir da feiern? Oder auch zum Weihnachtsfest? Oder wenn Sie unterwegs sind, wie schwer ist es vielerorts, auf einer Pfarrei-Homepage den nächsten Sonntagsgottesdienst zu finden!

Also, müssen wir die Hoffnung auf eine Re-Christianisierung Deutschlands nicht aufgeben?

Ich selbst erlebe nicht, dass Deutschland per se religionsfeindlich ist.

Gerade hat Heribert Prantl in der Süddeutschen zum Beispiel in sehr einfühlsamen Worten über die Bedeutung von Ostern geschrieben. Oder denken Sie an den atheistisch gesinnten Linke-Politiker Gregor Gysi, der gesagt hat, er fürchte sich vor einer gottlosen Gesellschaft.

Und das Pendel kann sich auch umkehren. Wer weiß, ob es mit der Säkularisierung immer nur in die eine Richtung weitergehen wird?

Bleibt zum Abschuss noch die Frage: Wenn jemand den christlichen Glauben sucht, aber nicht weiß, wie er den Weg findet – was soll, was kann derjenige machen?

Es klingt banal, aber mein Rat ist: Beginnt damit, die Bibel zu lesen! Und dann schaut, ob es hoffentlich in der nächsten Gemeinde, in den Ortskirchen Angebote für die Suchenden gibt. Sehr ansprechend finde ich auch die Serie „The Chosen“ über das Leben Jesu.

Im kommenden Jahr werden Sie statt der MEHR eine „ZimZum“-Festival für junge Leute zwischen 16 und 25 Jahren veranstalten, wo Sie ebenfalls Tausende Teilnehmer erwarten. Was sollen wir uns darunter vorstellen?

Das Glaubensfestival ZimZum richtet sich an Teenager, Musik, Spaß und Abenteuer werden eine große Rolle spielen. Und das werden wir mit Ernsthaftigkeit und religiösem Tiefgang verbinden. Es wird ökumenisch ausgerichtet sein, bunt, laut und wild.

Kritiker werfen Ihnen ja vor, dass sie den Glauben, das Heilige mit dieser Art Veranstaltungen verwässern…

Was für ein enges, trauriges Gottesbild steht dahinter? Gott hat die Musik, die Farben und die Töne erschaffen. Wir dürfen Fußball-EM feiern aber Gott nicht?

Das Gespräch führte Klaus Kelle.

Bildquelle:

  • Dr. Johannes Hartl: thegermanz

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.