Mit dem roten Drachen tanzen: Warum Wadephuls Absage der China-Reise neues deutsches Selbstbewusstseins beweist

Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU)

von BERTA VON STREMIN

BERLIN – Nach der (nicht sehr) überraschenden Absage bzw. Verschiebung der China-Reise von AußenministerJohann Wadephul (CDU) – „sine die“, also ohne Benennung eines alternativen Termins – begann in Öffentlichkeit und Social Media ein Eiertanz der Erklärungen und Vorwürfe: Die einen zeigten mit langem Zeigefinger auf einen Minister, der es angeblich nicht schaffe, mit dem wichtigen Partner Peking umzugehen; die anderen gackerten herum wie aufgeschreckte Hühner, was denn nun passieren werde, wenn der Kaiser in Peking sauer sei. Interessant, wenn auch wenig überraschend war im übrigen, dass dieselben Leute, von ganz links über links bis ganz rechts, die sich ständig als Putin-Versteher betätigen, immer auch Xi Jinpings Claqueure sind. Und diese Freunde der totalitären Internationale schwangen sich dann auch noch zu Experten der Diplomatie auf: Wie konnte der Minister es so weit kommen lassen?

Von wegen „Augenhöhe“…

Aber nicht Wadephul hat hier Porzellan zerschlagen, sondern Peking, und nicht aus Ungeschicklichkeit, sondern in voller Absicht und auch nicht als Reaktion auf irgend etwas in Berlin.

Der Minister hätte nur die Wahl gehabt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, nolens volens mitzuspielen, sich in Peking schlecht behandeln zu lassen und danach – wie es weiland unter Angela Merkel mehrfach geschah – so zu tun, als sei die Reise ein Erfolg gewesen. Mit dem üblichen Tenor: wir haben alle wichtigen Themen angesprochen, eine Liste von Monita übergeben, auch Menschenrechte wurden thematisiert, wir haben auf „level playing field“ für unsere Unternehmen bestanden. Nichts davon gelogen, aber auch nichts davon viel wert.

Eine frühere Staatssekretärin im Auswärtigen Amt hat einmal in anderem Zusammenhang diese verhüllende, leisetretende Rede- und Handlungsweise treffend als „das Problem der Erfolgsmeldung“ des Amtes bezeichnet: dass man in der Zentrale des AA nicht mehr in der Lage sei zuzugeben, dass auch mal etwas nicht hundertprozentig erfolgreich sein kann. Und in dieser Logik wäre es immer schlimm, wenn der Minister eine Reise absagen müsste. Wie sähe das denn aus? Also muss man notfalls mit den Wölfen heulen und mit dem Drachen tanzen, auch wenn der energisch führt. Man nennt es dann „Kunst des Möglichen“; alles nur, damit es „nicht so aussieht…“

Kein vorauseilender Gehorsam

Alternativ – und dafür hat sich Wadephul vernünftigerweise entschieden – kann man auch auf die Bremse treten und Peking gegenüber Härte zeigen: Wenn Ihr schon vorher signalisiert, dass nichts dabei herauskommt, dann reise ich nicht!

Das ist die Sprache, die Peking selbst immer spricht und darum auch eher versteht als die Sprache des bekümmerten Vasallen. Wadephul konnte das auch deshalb tun, weil er, anders als seine selbstverliebte Vorgängerin, in China ernstgenommen und durchaus respektiert wird. Man kennt ihn und weiß vor allem, dass er ein besonderes Augenmerk auf Ostasien und die Indo-Pazifik-Region hat, auch das ganz im Gegensatz zu seiner Vorgängerin im Amt. Man weiß aber auch, dass er eine große Zuneigung zu Japan hat, und das ärgert die chinesischen Kommunisten mindestens ebenso, wie seine klare Sprache gegen Gewalt und Erpressung „in der Taiwan-Straße“. Und genau deshalb kam es zu diesem Versuch, den Bundesminister des Auswärtigen schon vor Reiseantritt mit Programmtricksereien und protokollarischen Schikanen zu verunsichern und noch vor dem ersten Gespräch weichzukochen. Hat früher schon öfter geklappt, dieses Mal aber nicht.

Wandel im Haus am Werderschen Markt

Was der chinesischen Botschaft in Berlin und ihrem Chef in Peking vermutlich schon länger Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass seit dem Amtsantritt von Johann Wadephul ein Paradigmenwechsel im Auswärtigen Amt stattfand, amtstypisch behutsam und unauffällig, aber doch schon messbar. Das betrifft nicht nur die „Amtsleitung“, sondern auch die Asienabteilung. Da wird nicht mehr so viel Zeit mit Haltungsübungen in feministischer Außenpolitik verschwendet, und die früher übliche vorauseilende Rücksichtnahme gegenüber chinesischen Empfindlichkeiten hat schon deutlich nachgelassen. Aber das war natürlich nicht der Grund für Pekings unfreundliche Haltung gegenüber dem Bundesminister des Auswärtigen. Diese gründet vielmehr in einer Grundsatz-Entscheidung Pekings, jetzt aus der taktischen Deckung herauszukommen und ganz offen Deutschland, so wie bestimmte EU-Partner auch, frontal unter Druck zu setzen.

Diversionsstrategie

Die chinesische Außenpolitik zielt darauf, Zwietracht in der EU säen, um mit den Mitgliedstaaten mehr und mehr bilateral umgehen zu können, was ihre Widerstandskraft gegen Null tendieren ließe. Das ist eine ganz alte Strategie Pekings, die mit wechselndem Erfolg seit etlichen Jahren verfolgt wurde, u.a. durch eigene „Kooperationsformate“ mit einzelnen EU-Mitgliedstaaten. So richtig hat das aber nicht funktioniert, und als nun Trumps erratische Politik zu unerwünschten Solidarisierungseffekten unter den Europäern führte, war das Modell kaum noch etwas wert. Nun also hat Peking umgesteuert und setzt weniger auf Umwerben und Einschmeicheln, als auf rohen, massiven Druck – siehe das Thema „Seltene Erden“.

Zum Anderen ist Peking offenbar ernsthaft besorgt, dass Putin seinen Krieg verlieren könnte, und weil Russland längst zum „Vasallen erster Klasse“ des Reiches der Mitte geworden ist, schmerzt das den großen Kaiser. Weder eine europäische Wiederbewaffnung, noch ein Überleben der Ukraine ist im langfristigen chinesischen Interesse. Wobei eine von Moskau abhängige „Rest-Ukraine“ vielleicht auch ein für China akzeptables Modell sein könnte; das hielte die Moskoviter so schön beschäftigt. In jedem Fall müssen die Europäer irgendwie aus dem Spiel genommen oder zumindest gestört und abgelenkt werden. Nebenbei ist das gut für die schwächelnde chinesische Wirtschaft und ihre Export-Bedürfnisse und Konkurrenz-Sorgen.

Was wir da im Umfeld jenes abgesagten Besuches erlebt haben, war also doch nicht einfach eine diplomatische Posse, sondern ein Side Event chinesischer Power Projection. Kalkuliert, aber nur teilweise (in den Medien) erfolgreich.

Fauxpas oder Provokation?

Ach ja, da war doch noch die Sache mit jener Rede Johann Wadephuls am 14. Oktober.

Bei einem Vortrag mit Diskussion im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin (JDZB) hatte er Klartext gesprochen, chinesische Völkerrechtsverstöße im Südchinesischen Meer beim Namen genannt, die Drohgebärden gegen Taiwan thematisiert und auch die Unterstützung der VR China für Putins Angriffskrieg verurteilt. Im Saal war auch ein offensichtlicher, allem Anschein nach deutscher, Parteigänger der Volksrepublik, der eine erkennbar einstudierte Frage im offiziellen Peking-Duktus stellte, komplett mit feindseligem Seitenhieb auf Japan. Wadephul ließ sich aber nicht verunsichern und wiederholte das, was er schon zuvor gesagt hatte: Wir sehen China als Partner, Konkurrenten und systemischen Rivalen (das ist längst EU-Standardsprache). Und für eine gedeihliche Zusammenarbeit zum gegenseitige Nutzen braucht es immer zwei Partner, die dazu bereit sind. Ob der Frager direkt im Auftrag der chinesischen Botschaft in Berlin tätig wurde, oder ob er aus eigenem Antrieb handelte, das lässt sich nicht feststellen.

Bildquelle:

  • Johann_Wadephul_CDU_2: cdu/tobias koch

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