Nach dem Abzug von USA, Nato und Bundeswehr: Afghanistan versinkt in Chaos und Blut

Die Gefechte um die südafghanische Provinzhauptstadt Laschkargah fordern immer mehr zivile Opfer. Foto: Abdul Khaliq/AP/dpa

KABUL – Die andauernden Gefechte in der Provinzhauptstadt Laschkargah im Süden Afghanistans fordern immer mehr zivile Opfer.

Binnen 24 Stunden seien in der Stadt mindestens 40 Zivilisten getötet und 118 verletzt worden, teilte die UN-Mission in Afghanistan (Unama) auf Twitter mit. Sollten die Parteien nicht mehr für den Zivilschutz in Afghanistan tun, drohten «katastrophale» Auswirkungen.

Seit Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen haben die Taliban bedeutende Gebietsgewinne vor allem im ländlichen Raum erzielt. Aktuell verlagern sich die Gefechte zunehmend in die Städte. Kämpfe gibt es etwa im Herat im Westen sowie in Kandahar und Laschkargah im Süden.

Verstärkung aus Kabul dringend nötig

Am Dienstag griffen die militant-islamistischen Taliban dem Provinzrat Ataullah Afghan zufolge in Laschkargah im Zentrum in der Nähe des Gouverneurssitzes und der Polizeizentrale an. Die Regierung hält nur mehr zwei der zehn Polizeibezirke der Stadt. Sollte Kabul keine Verstärkung schicken, drohe die Hauptstadt der Provinz Helmand an die Islamisten zu fallen, sagte Afghan. Die Verteidiger würden seit elf Tagen praktisch ohne Schlaf kämpfen. Ihr größtes Problem sei, dass sich Taliban-Kämpfer in Wohnhäusern verschanzt hielten.

Laut Verteidigungsministerium gab es weitere Luftangriffe auf Taliban-Stellungen in der Stadt. Lokale Journalisten berichteten, diese hätten auch zivile Einrichtungen getroffen, darunter eine private Universität und eine Fabrik.

Der Journalistenorganisation NAI zufolge haben in Helmand mindestens 15 Medienorganisationen, darunter fünf Fernsehstationen, wegen der Sicherheitslage den Betrieb eingestellt. Am Montag seien Taliban in die Räumlichkeiten der staatlichen Rundfunkanstalt RTA eingedrungen und hätten vier Stunden lang selbst ein Programm gesendet.

Berichte über Dutzende Tote und Hunderte Verletzte in den vergangenen zehn Tagen gab es auch aus den Städten Herat und Kandahar. In Herat schlugen am Dienstag dem lokalen TV-Sender ToloNews zufolge zwei Raketen in der Nähe der Flughafen-Rollbahn ein. Ein Flugzeug, das gerade hätte landen sollen, sei nach Kabul zurückgekehrt.

Explosion in Kabul

In der afghanischen Hauptstadt war es in den letzten Wochen und Monaten vergleichsweise ruhig gewesen. Jetzt aber sind bei einer Explosion in der Nähe des Hauses des Verteidigungsministers mehrere Menschen verletzt worden. Mindestens sechs Patienten seien gebracht worden, teilte die Nichtregierungsorganisation Emergency, die ein Krankenhaus im Zentrum Kabuls betreibt, auf Twitter mit.

Der Politiker Junus Kanuni sagte in einer über Whatsapp geteilten Sprachnachricht, die Explosion habe sich bei einem Gästehaus des amtierenden Verteidigungsministers Bismillah Khan Mohammadi ereignet. Der Minister selbst sei zur Zeit der Explosion mit ihm bei einer Trauerfeier gewesen. Nach Angaben eines Gehilfen des Ministers sei dessen Familie in Sicherheit gebracht worden.

Details des Vorfalls blieben zunächst unklar. Ein Sprecher der Kabuler Polizei teilte mit, Sicherheitskräfte und Spezialeinheiten der Polizei seien vor Ort. Nach der ersten massiven Explosion waren in der Folge noch mindestens zwei weitere kleinere Explosionen im Zentrum zu hören. Lokale Medien berichteten zudem von Schüssen und davon, dass Angreifer in das Gästehaus eingedrungen seien. Bisher bekannte sich niemand zu dem Angriff.

In einer Ansprache vor beiden Kammern des Parlaments hatte der afghanische Präsident Aschraf Ghani am Montag die «plötzliche Entscheidung» der USA und der Nato-Truppen zum Abzug für die Verschlechterung der Sicherheitslage verantwortlich gemacht. Er versprach, binnen sechs Monaten für Stabilität im Land zu sorgen.

Streit um Abschiebungen nach Afghanistan

Die Organisation Pro Asyl warf der Bundesregierung vor, ihre Pläne für Abschiebungen nach Afghanistan trotz des Vorrückens der Taliban voranzutreiben. Ein Abschiebeflug stehe unmittelbar bevor. Dazu sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage: «Planungen für einen solchen Flug bestehen nicht.»

Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt plädierte in einem Interview der Mediengruppe «Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung» und der Münchner «Abendzeitung» für weitere Abschiebungen von «Gefährdern und Gewaltverbrechern» nach Kabul, weil Straftäter ihr Bleiberecht verwirkt hätten.

Dagegen sagte der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck, unter den aktuellen Umständen könne man keine Menschen dorthin abschieben. «Straftäter müssten dann hier in Deutschland ihre gerechte Strafe absitzen», betonte Habeck.

Bildquelle:

  • Konflikt in Afghanistan: dpa

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