Nancy Faeser will’s wissen – Vierteljahrhundert CDU-Regierung in Hessen sei genug

ARCHIV - Nancy Faeser möchte ich die erste Frau an der Spitze der hessischen Landesregierung werden. Foto: Swen Pförtner/dpa

von KEVIN MASSOTH

WIESBADEN – Beim Parteitag der SPD in Hessen wurde Nancy Faeser mit einer überwältigenden Mehrheit von 94,4 Prozent zur Spitzenkandidatin für den Landtagswahlkampf 2023 gewählt. Es gab 307 Ja- und 13 Nein-Stimmen, außerdem fünf Enthaltungen. Mit ihrer Rede im Congress Park in Hanau schaltete Faeser in den Angriffsmodus und warf der in Hessen regierenden CDU Versagen in zahlreichen Themenbereichen vor.

Die Grünen, der aktuelle Koalitionspartner in der Landesregierung, wurden von ihr jedoch mit keinem Wort erwähnt. Unter dem Motto „Die besten Kräfte für Hessen“ startet die SPD nun offiziell in den Wahlkampf.

Zwischen Jubel und Protesten

Faesers Weg zur Spitzenkandidatin wurde von einigen kontroversen Themen überschattet. Während in der Halle die Genossinnen und Genossen der SPD ihre Landesvorsitzende umjubelten, gab es vor der Halle Proteste gegen Faesers angestrebten Asylkompromiss Deutschlands mit europäischen Staaten.

Der neu entfachte Streit um den europäischen Asylkompromiss ist nicht das einzige innenpolitische Päckchen, das Faeser als Innenministerin aus Berlin mit nach Wiesbaden bringt. Ihre Äußerungen über ein Messerverbot in Zügen wurden ebenso wie die von Bürgerrechtlern kritisierte Haltung ihres Ministeriums zur Chatkontrolle von vielen Bürgern eher negativ aufgenommen. Auch der medienwirksame Rücktritt der ehemaligen Landesvorsitzenden der SPD, Andrea Ypsilanti, aus Protest gegen den Asylkompromiss, warf bereits im Vorfeld einen Schatten auf die Kandidatur der 52-jährigen Juristin.

Die Frage, ob Faeser bei einem Scheitern in Hessen auf ihren Ministerposten in Berlin verzichten würde, und Hessen zu ihrer Herzensangelegenheit zu machen, blieb auch nach ihrer Rede unbeantwortet. Damit manövriert sich Faser für die nächsten vier Monate bis zum Wahltag in eine Doppelrolle zwischen Wahlkampf in Hessen und Realpolitik als Ministerin. Ob dieser Spagat zu schaffen ist und ob dadurch der
Wahlkampf in Hessen für die Sozialdemokraten von Vorteil ist, wird sich jetzt zeigen.

Diskussionsbedarf in den eigenen Reihen – Einigkeit nach Außen

Fehlendes Engagement kann man Faeser in den eigenen Reihen zumindest nicht vorwerfen. In weiser Voraussicht traf sie sich bereits im Vorfeld in einer Videokonferenz mit den Jusos, der Parteijugend der SPD, die zusammen mit dem linken Flügel der Partei zu den größten innerparteilichen Kritikern des Asyl-Kompromisses und der geplanten Chatkontrolle gehören.

Die Jusos lehnen die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern an den EU-Außengrenzen grundsätzlich ab. Eine solche Unterbringung könnte zu psychischen Schäden führen und besonders Kindern und Jugendlichen schaden, argumentieren sie. Zudem kritisieren sie die Möglichkeit einzelner EU-Staaten, sich mit Geld aus der Verantwortung der Aufnahme von Flüchtlingen „freikaufen“ zu können.

Auf dem Parteitag selbst gab es dann jedoch nur wenig sichtbaren Protest. Einige Jusos traten zwar mit „Not my Europe“-Shirts auf die Bühne und kritisierten den Asylkompromiss als menschenverachtend, die große Mehrheit der Redner und Amtsträger lobten jedoch den Kompromiss als bitter notwendig und stärkten ihrer Kandidatin öffentlich den Rücken.

Kampfansage an die CDU

In ihrer Bewerbungsrede vermied Faeser das Wort Asyl vollständig und legte den Schwerpunkt stattdessen auf landespolitische Themen wie Bildung, Pflege und den Kampf gegen Rechtsextremismus. Faeser betonte, dass die CDU seit 24 Jahren und sechs Monaten ununterbrochen in Hessen regiere und stellte die Frage: „Das ist ein Vierteljahrhundert, und das reicht dann auch, oder?“. Beim Thema NSU-Aufklärung ging Faeser mit der CDU hart ins Gericht. Der eigentliche Skandal, so die Spitzenkandidatin, sei die schlechte Aufklärung einer Mordserie in Hessen unter den Augen des CDU-Innenministeriums.

Sie kritisierte die CDU dafür, dass sie das Leben der Menschen in Hessen während ihrer langen Regierungszeit verschlechtert habe. Die SPD-Parteivorsitzende sei überzeugt, dass es ohne die Sozialdemokratie keine soziale Gerechtigkeit in Hessen geben wird.

Im Falle ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin versprach sie ein „echtes“ Tariftreuegesetz und eine Stärkung der beruflichen Bildung. Sie beabsichtigt, die Meisterausbildung kostenfrei anzubieten und die
Erwerbsquote von Frauen zu erhöhen. Bildung sei für sie eine der drei Prioritäten, gefolgt vom Kampf um jeden einzelnen Industriearbeitsplatz und der Lösung der Wohnungsfrage, die sie als eine der größten sozialen Fragen unserer Zeit bezeichnete. Faeser kündigte an, ein Zweckentfremdungsgesetz einzuführen, um Spekulationen mit Wohnraum zu beenden und die Kontrolle über Grundstückspreise wieder stärker in die Hände der Kommunen zu legen.

Bildquelle:

  • Nancy Faeser: dpa

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