Neue Dokumente belasten Ex-VW-Chef Winterkorn im Abgasskandal

Der damalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Martin Winterkorn, im März 2012 in Wolfsburg. Foto: Peter Steffen

Wolfsburg/Berlin – Im VW-Abgasskandal belasten bisher unbekannte interne Dokumente laut einem Zeitungsbericht Ex-Konzernchef Martin Winterkorn.

Diese legten nahe, dass Winterkorn früher über illegale Abgas-Manipulationen Bescheid gewusst haben könnte als bisher bekannt – das berichtete die «Bild am Sonntag» unter Berufung auf vertrauliche Papiere. Diese sollen am 27. Juli 2015 bei einer Sitzung mit Winterkorn in Wolfsburg präsentiert worden sein. Die Unterlagen sollen unter anderem zeigen, wie knapp zwei Monate vor dem Bekanntwerden des Skandals der Konzern kalkulierte, wann man den US-Behörden die Wahrheit sagen solle.

Winterkorn und die VW-Konzernspitze haben bisher stets betont, erst im September 2015 von den Abgas-Manipulationen erfahren zu haben. Winterkorn wies die Vorwürfe laut «Bild am Sonntag» zurück. Er will sich nach Informationen der Zeitung nur an eine kurze Besprechung zu dem Thema am 27. Juli erinnern, bei der ihm versichert worden sei, die Probleme in den USA würden gelöst werden.

Gegen Winterkorn und andere Manager wird wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt. Sie sollen die Finanzmärkte im Herbst 2015 zu spät über den Abgasskandal informiert haben. Anleger klagen deswegen auf Schadenersatz in Milliardenhöhe, weil die VW-Aktie nach Bekanntwerden des Skandals auf Talfahrt ging. Winterkorn war Ende September 2015 im Zuge des Abgassandals zurückgetreten, hatte aber betont, sich keines Fehlverhaltens bewusst zu sein.

Ein Teilnehmer der Sitzung im Juli 2015 sagte der Zeitung: «Wir haben darüber gesprochen, dass etwas Illegales in unsere Autos installiert wurde.»

Ein Teilnehmer habe mit Blick auf die Präsentationen zudem gesagt, er dachte, dass er spätestens bei der dritten Folie «weggeblasen» wird. Doch Winterkorn sei erstaunlich ruhig geblieben. Er habe später in der Sitzung lediglich zu einem Techniker, der die Betrugssoftware mitentwickelt hatte, gesagt: «Du und deine Software!»

Nach Informationen der Zeitung diskutierte die Runde darüber, ob und wann man den US-Umweltbehörden den Abgasbetrug gestehen solle. Der Abgasskandal hat seinen Ursprung in den USA.

Dabei seien «Chancen» und «Risiken» abgewogen worden. So rechnete VW bei einem «defensiven» Vorgehen mit einer sicheren Zulassung für neue Modelle, allerdings auch mit «sehr hohen Strafzahlungen». Die Teilnehmer seien sich aber einig gewesen, die Angelegenheit «offensiv» anzugehen – mit geringeren Strafzahlungen, aber einer unsicheren Zulassung neuer Modelle.

VW hatte bereits Anfang 2016 in der Stellungnahme an das Landgericht Braunschweig erklärt, Winterkorn sowie VW-Markenchef Herbert Diess hätten an dem Treffen am 27. Juli 2015 teilgenommen. Wörtlich hieß es in einer Klageerwiderung von VW: «Weder der konkrete Inhalt dieser informellen Besprechung noch die konkreten Zeitpunkte, zu denen die betreffenden Vorstandsmitglieder teilnahmen, lassen sich im Detail rekonstruieren.» Es sei möglich, aber nicht sicher, dass damals eine Softwareänderung als Grund für die erhöhten Abgaswerte genannt worden sei.

Ein VW-Sprecher erklärte dazu am Wochenende: «Die Darstellung in der im März 2016 eingereichten Klageerwiderung vor dem Landgericht Braunschweig beruhte auf dem damaligen Erkenntnisstand durch die unabhängige Untersuchung der Anwaltskanzlei Jones Day.» Dies sei auch dem US-Justizministerium entsprechend offengelegt worden. «Daran hat sich nach jetziger Kenntnis bis heute auch nichts Wesentliches geändert.»

NDR, WDR und «Süddeutsche Zeitung» hatten am Samstag berichtet, neue Indizien legten nahe, dass Winterkorn früher über die Abgas-Manipulationen informiert war als bisher bekannt. Kronzeugen hätten im Gespräch mit US-Ermittlern ausgesagt, sie hätten 2012 und 2014 mit einem engen Vertrauten Winterkorns über eine illegale Software in den Diesel-Fahrzeugen auf dem US-Markt gesprochen.

Einer der Zeugen sagte, er sei davon ausgegangen, dass dies an den Vorstandschef weitergereicht werde. Im Juli 2015 habe ein Ingenieur die Problematik bei einem Termin mit Winterkorn erwähnt, wobei dieser so gewirkt habe, als wisse er längst davon.

Der Abgasskandal hatte VW in eine schwere Krise gestürzt. Der Autobauer hat sich inzwischen nach einem langen Ringen mit den US-Behörden auf Vergleiche in Milliardenhöhe geeinigt. Sechs frühere und aktuelle VW-Manager sind in den USA angeklagt, einer von ihnen sitzt dort in Haft. «Der Vergleich mit dem US-Justizministerium ging einher mit der Veröffentlichung eines Statement of Facts, das die gewonnenen Erkenntnisse und Fakten über die Entstehung und Entwicklung der Dieselverfehlungen aufzeigt», erklärte VW am Wochenende. In diesem Dokument sei «kein ehemaliges oder aktives Vorstandsmitglied genannt».

Winterkorn will am kommenden Donnerstag (19.1.) vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages erscheinen. Der Ausschuss soll vor allem klären, seit wann die Bundesregierung von den Manipulationen Bescheid wusste und wie eng die Zusammenarbeit zwischen Politik und Autolobby war.

Bildquelle:

  • Martin Winterkorn: dpa

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