Norbert Blüm ist tot: Ein kantiger Politiker, wie es sie in Deutschland kaum noch gibt

von KLAUS KELLE

Es gibt Politiker, auch hochrangige, an die erinnern sich die meisten Leute schon zwei, drei Jahre nach ihrem Tod nicht mehr. Wahrscheinlich ist es sogar die Mehrheit. Das wird dem CDU-Politiker Norbert Blüm nicht passieren. Heute Mittag teilte sein Sohn der Öffentlichkeit mit, dass der langjährige Bundesarbeits- und -sozialminister im Alter von 84 Jahren gestorben ist. Nach einer Blutvergiftung waren Arme und Beine gelähmt, so dass er nur noch im Rohlstuhl bewegt werden konnte.

Der Werkzeugmacher aus Rüsselsheim galt als das soziale Gewissen der Union, ein „Herz-Jesu-Marxist“, wie Gegner über den Sozialpolitiker spotteten, der Zeit seines Lebens in seinem katholischen Glauben ruhte. Als einziger Minister begleitete er Bundeskanzler Helmut Kohl die ganzen 16 Jahre seiner Amtszeit im Kabinett. Wobei „begleitet“ nur eine Zeitlang galt, denn 1989 versuchte Blüm gemeinsam mit Rita Süssmuth und  Generalsekretär Heiner Geißler den damals unpopulären CDU-Bundesvorsitzenden Kohl zu stürzen und durch den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth zu ersetzen. Späth wagte letztlich nicht, anzutreten, Kohl blieb im Amt und löste Geißler als General ab. Wenige Monate später fiel die Mauer und Helmut Kohl wurde der „Kanzler der Einheit“, der bis heute in seiner Partei verehrt wird wie vielleicht nur Konrad Adenauer.

Das Verhältnis zwischen den beiden Alphatieren Kohl und Blüm war danach kaputt. Doch Blüms Erbe – die beiden wechselten in den Jahren nach Kohls Kanzlerschaft kein Wort mehr miteinander – wird bleiben. Und das nicht nur wegen seines unvergessenen Satzes, nach dem die Renten in Deutschland sicher seien. Größte Leistung Blüms war wohl die gegen massiven Widerstand 1995 eingeführte Pflegeversicherung, von der heute in unserem Land 3,5 Millionen Menschen profitieren.

Später im Unruhestand engagierte sich Blüm besonders für Flüchtlingskinder. 2016 reiste er in ein mit 12.000 Menschen überfülltes Lager in Griechenland und verbachte eine Nacht dort in einem Zelt. Die humanitären Zustände in dem Camp bezeichnete er als „Anschlag auf die Menschlichkeit“.

Zeit seines Lebens war der Glaube und die katholische Kirche mit ihrer Soziallehre die Richtschnur seines Lebens. Das machte ihm nicht nur Freunde in Deutschland, dessen politische Elite unter Kanzlerin Merkel zunehmend den Kompass verlor, nein aufgab. Die Frau aus der Uckermark und ihr spöttisch „Girl’s Camp“ genanntes Küchenkabinett im Kanzleramr schauten argwöhnisch auf Blüm, wenn er öffentlich für die Privilegierung der traditionellen Ehe aus Mann und Frau, aus der Kinder entstehen können, stritt. Er kritisierte Bestrebungen, die als „Homo-Ehe“auf die politische Agenda gesetzte Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe aus Mann und Frau durchzusetzen als einen“rhetorischen Trick“.

Verschiedentlich hatte ich die Gelegenheit, Norbert Blüm zu erleben, bei Pressekonferenzen und bei den großen Wahlkampfveranstaltungen zum Auftakt der Kampagnen der Bundes-CDU  in der Dortmunder Westfalenhalle. Blüm kam dabei immer als letzter Redner dran, weil er nach drei Stunden Rede auf Rede die tausenden Parteigänger mit markigen Worten einer Büttenrde ähnlich zu einem Hexenkessel formte. Etwa wenn der Freund des rheinischen Karnevals die Politik der SPD mit einem Feuerwerk vergleicht: „Es sieht wunderschön aus, es leuchtet und glitzert, es gibt viele bunte Farben: Rot und Grün und Blau und Gelb. Aber wenn man dann genau hinschaut, dann ist es hinterher wieder genau so dunkel wie vorher!“

In der Hagener Stadthalle durfte ich einmal eine Wahlveranstaltung der Jungen Union mit  Norbert Blüm moderieren. Ein tolles Erlebnis, dieses kleine, quirlige Energiebündel aus der Nähe zu erleben.  Ein Überzeugungstäter, zweifellos. Einer, der nie vergessen hat, dass er aus kleinen Verhältnissen stammt. Und dessen Zielgruppe immer die einfachen, fleißigen und anständigen Menschen in Deutschland waren. Politisch war ich oft nicht einer Meinung mit ihm. Ich glaube an den freien Markt und bin überzeugt, dass Unternehmen, gerade die kleinen und mittleren, dann am besten wirtschaften, wenn der Staat sie weitgehend mit Vorschriften in Ruhe lässt. Zwei Drittel der Arbeitnehmer in unserem Land sind bei solchen oft familiengeführten Firmen beschäftigt. Auch der von ihm mit angeführte Aufstand gegen Kohl hat mir nicht gefallen, ich empfand das als unanständig gegenüber einem Mann, der ihn -. wie Süßmuth und Geißler auch – in höchste  Staatsämter gebracht hat.

Aber es hat mich betroffen gemacht, als ich vorhin im Autoradio die Nachricht seines Todes hörte. Man muss nicht immer einer Meinung sein, aber man muss Respekt haben vor diesen Typen, die für etwas stehen, die unbequem sind und zurückbeissen, wenn sie angegriffen werden. Norbert Blüm war so einer. Und ich dachte unwillkürlich an Heiko Maas und Peter Altmeier, Franziska Giffey und Svenja Schulze und so viele andere. Und mir wurde ganz schwer ums Herz in diesem Moment.

Mach es gut, Nobbi! Und Danke!

 

Bildquelle:

  • Norbert_Blüm_CDU: konrad-adenauer-stiftung

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.