von CHRISTIAN KOTT
WEIMAR – Hohe Aufmerksamkeit fand gestern die Durchsuchung des Hauses und Büros sowie die Beschlagnahmung des Handys eines Familienrichters aus Weimar. Der hatte vorher in einem 178-seitigen Beschuss entschieden, die Maskenpflicht an zwei Schulen zu verbieten, was wiederum ebenfalls hohe Aufmerkamkeit in der ganzen Republik hervorrief.
Nun habe auch ich das Urteil aus Weimar kritisiert, aber nicht wegen vermeintlicher „Rechtsbeugung“, wie der Ermittlungsansatz der Staatsanwaltschaft lautet. Ich habe hier den Beschluss zerrissen, weil er trotz des Umfangs von 178 Seiten handwerklich mindestens mangelhaft und insgesamt eben nicht überzeugend ist.
Seit der Durchsuchung ist allerhand los, vor allem in den Sozialen Medien. Selbsternannte Jura-Experten, die ihr Fachwissen aus der Rechtsecke der „Brigitte“ oder von irgendeiner sehr meinungsstarken Homepage bezogen haben müssen, sind jetzt lautstark überzeugt: Der Rechtsstaat ist in Gefahr! Wie immer gilt, wenn es um Rechtsthemen geht, dass man gut beraten ist, keinen Journalisten und keine anderen Alarmisten zu fragen, sondern einen Juristen.
Was ist Rechtsbeugung?
Rechtsbeugung ist in § 339 StGB geregelt, dessen Gesetzestext sehr kurz und leicht zu verstehen ist. Die Rechtsprechung dazu, die der Bundesgerichtshof herausgebildet hat, ist es auch. Grob und ohne Juristendeutsch sagt der BGH: Selbst ein unvertretbar falsches Urteil stellt noch lange keine Beugung des Rechts dar, sondern der Richter muss sich bewusst und schwerwiegend von Recht und Gesetz entfernt haben.
Die Rechtsprechung dazu hat sich historisch an der Aufarbeitung der nationalsozialistischen und der DDR-Rechtsprechung entwickelt, und selbst da gab es einige Freisprüche, weil sich auch damals manche zum Himmel schreiende Urteile an damaligem Recht und Gesetz orientierten.
In die öffentliche Diskussion kam das Thema nochmals mit dem Fall des damaligen Hamburger Amtsrichters Ronald Schill, dem man vorwarf, er habe Rechtsbeugung begangen, indem er die Reihenfolge seiner zu bearbeitenden Fälle nach freiem Ermessen bestimmte. Bevor jetzt alle wieder „siehste!“ aufschreien: Das Endergebnis war (natürlich…) Freispruch.
Vorwurf kann also nicht der 178-seitige Beschluss an sich sein, denn der ist zwar handwerklich ein Fall für den Reißwolf, aber begründet allein sicher keine Rechtsbeugung. Worum es wirklich gehen dürfte sehen wir noch…
Wie funktioniert ein Durchsuchungsbeschluss?
Für unsere Jura-Amateure habe ich eine schlechte Nachricht: Hier ist überhaupt nichts Ungewöhnliches passiert. Wenn ein Staatsanwalt sich in den Kopf gesetzt hat, einen Durchsuchungsbeschluss bekommen zu wollen, dann bekommt er ihn in aller Regel auch. In 15 Jahren als Rechtsanwalt und Strafverteidiger habe ich nicht eine einzige Ermittlungsakte in den Händen gehalten, in der ein Richter den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses selbst in haarsträubenden Fällen verweigert hätte.
Liegt auch am System: Der Staatsanwalt gibt dem Richter den fertig vorbereiteten Durchsuchungsbeschluss als Entwurf auf den Schreibtisch. Der Richter muss ihn nur noch unterschreiben, dauert 10 Sekunden. Wenn er den beantragten Beschluss aber ablehnen will, muss er die Ermittlungsakte lesen und eine ausführliche Begründung verfassen, die Arbeit macht. Jeder kann sich denken, wie sich das auswirkt. Ich kenne einen Fall, in dem ein Staatsanwalt wohl vergessen hatte, alte Textbausteine zu löschen und gegen eine falsche Person, gegen die wegen einer Bagatelle ermittelt wurde, einen Durchsuchungsbeschluss wegen Drogenhandels beantragte. Wurde vom Richter anstandslos unterschrieben, dem der Fehler sofort hätte auffallen müssen, wenn er die Akte nur überhaupt aufgeschlagen hätte.
Fazit: Jeder, egal wie unschuldig, muss jeden Tag trotzdem damit rechnen, willkürlich mit einem Durchsuchungsbeschluss konfrontiert zu sein. Und das ist keine Erfindung des bösen Merkel-Systems, sondern das war schon immer so.
Spannend ist die Sache trotzdem, denn woher nimmt die Staatsanwaltschaft den Vorwurf der Rechtsbeugung? Auch hier gilt, dass wer aufmerksam liest im Vorteil gegenüber dem Schreihals ist. Denn zusätzlich zu dem Urteil ist den Pressemitteilungen zu entnehmen, dass Anwälte aus der Querdenkerszene gezielt nach Klägern gesucht hatten, die in die alphabetische Zuständigkeit eben jenes Richters fallen. Daraus kann man den Verdacht herstellen, dass dies möglicherweise in Absprache mit dem zuständigen Richter geschehen sei. Und wenn sich dies bewahrheitet, dann haben wir einen Anfangsverdacht für Rechtsbeugung. Und plötzlich wird jedem klar, warum das Handy des Richter beschlagnahmt wurde.
Deshalb: Jetzt beruhigen wir uns wieder und warten das Ergebnis der Ermittlungen ab.
Dann kann man beurteilen, ob es sich hier um einen Akt staatlicher Einschüchterung, um staatsanwaltschaftliche Inkompetenz oder um eine vertretbare Ermittlungsmaßnahme gehandelt hat. Alle drei Varianten sind denkbar.