von PETER WINNEMÖLLER
Wer erinnert sich nicht an diese Schlagzeile der BILD? „Wir sind Papst!“ Am 19. April 2005 vor 16 Jahren wurde aus Josef Kardinal Ratzinger Papst Benedikt XVI. Erstmals seit Hadrian VI. wurde ein Deutscher Papst. Seit 1978 hatte der vormalige polnische Kardinal und Erzbischof Karol Wojtyła als Papst Johannes Paul II. auf dem Stuhl Petri gesessen. Für ganze Generationen, so lautete ein damals gängiges Bonmot, heißt der Bundeskanzler Helmut und der Papst Johannes Paul. Am 2. April 2005, dem Vorabend des Barmherzigkeitssonntags war der große Papst des Millenniums gestorben. Die Welt hielt den Atem an.
Kardinaldekan Josef Ratzinger leitete mit der ihm eigenen Ruhe und Disziplin die Beerdigung des Verstorbenen und die Wahl des neuen Papstes. Zuvor hatte er, wie er selber einmal im Interview verriet, seinem Bruder gesagt, er werde noch eben einen Papst wählen und dann käme er heim. In seiner beeindruckenden Bescheidenheit war ihm wohl nicht klar, dass seine brillanten Predigten und Ansprachen im Vorkonklave und bei der Missa pro eligendo Papa, der Heiligen Messe, die in der römischen Kirche der Wahl des Papstes unmittelbar vorher geht, seine Bewerbungsreden gehalten hatte.
Über dem Konklave selbst hängt der Mantel des Schweigens. Was exkommunizierte Kardinäle aus dem Konklave ausplaudern ist im Grunde irrelevant. Tatsächlich zieht plaudern aus dem Konklave die Exkommunikation nach sich. Automatisch. Der Vorhang lüftet sich erst wieder mit dem weißen Rauch und dem „Habemus papam“. Am 19. April lief bei mir den ganzen Tag ein damals noch briefmarkenkleines Videofenster auf dem Bildschirm mit. Gegen 18 Uhr zeigte sich eine Rauchfahne. Schwarz oder weiß? Das ruckelnde verpixelte Bild schien trügerisch. Doch es war weißer Rauch. Der Mozart der Theologie, wie man ihn auch nannte, war zum Papst der römischen Kirche gewählt worden.
Sein Understatement, mit dem er sich zum einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn erklärte, traf dennoch eine tiefe Wahrheit. Tatsächlich war dieser Papst ein fleißiger und seriöser Arbeiter. Mehrere Meter gebundenes bedrucktes Papier, mehr als jeder Papst vor ihm in vergleichbarer Zeit, hat der Kirchenlehrer auf dem Stuhl Petri, wie ihn manche schon heute nennen, uns hinterlassen. Enzykliken, Apostolische Schreiben, Motu proprio, Predigten und Ansprachen stehen in Regalen aber auch im Internet zum Download bereit. Dieser Papst hat sein Lehramt sehr ernst genommen und es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die Früchte seiner Lehre nur annähernd geerntet sind.
Aus dem etwas schüchtern wirkenden Professor, Bischof und Kardinal war plötzlich ein Papst geworden. Der Mann, der gestern noch in schwarz oft genug unerkannt über den Petersplatz schlenderte, musste nun erleben, wie sein Auftreten einen Menschenauflauf auslöst. Ein Gang in seine alte Wohnung, um eben noch etwas zu sortieren, sorgte für eine verstopfte Straße. Die Gendarmerie musste die Straße sperren und den Papst in den Vatikan zurück bringen. Unvergessen sind die Bilder vom Weltjugendtag in Köln. Winkend im Papamobil fuhr der gerade frisch gewählte Papst durch die Straßen der Domstadt. Am Straßenrand jubelte ihm die katholische Jugend der Welt zu. Bescheiden lächelnd winkte er den jungen Menschen zu. Auch hier verstand es Benedikt XVI. eigene Akzente zu setzen. Hielt man bis dahin eine Eucharistische Anbetung mit einer solchen Menschenmasse für unmöglich, so zeigte dieser Papst, dass zwei Million Jugendliche über eine längere Zeit schweigend vor dem Allerheiligsten verweilen konnten. Auch die Bilder der Vigil vom Marienfeld sind bis heute unvergessen.
Ausgerechnet sein Heimatland tat sich schwer mit diesem Papst. Es tut sich heute noch schwer, wenn der Geburtstag des Emeritus dem offiziellen Nachrichtenportal nicht einmal eine Meldung wert ist. Ein DBK–Vorsitzender, der zwar Muslime zum Ramadan grüßt, was sehr höflich und lobenswert ist, aber den Papa emeritus an seinem 94. Geburtstag vergisst, ist peinlich.
Eine Vorlesung von Papst Benedikt XVI. an der Universität Regensburg führte in Deutschland zu einer Katastrophe. Die Presse verriss den Intellektuellen, weil sie ihn nicht verstand. Weltweit stellte die Regensburger Rede den Aufbruch eines neuen Dialogs zwischen der Kirche und dem Islam dar. Bei seinem letzten Besuch als amtierender Papst in der Heimat gab er der Kirche in seinem Heimatland einen wesentlichen Impuls: „Entweltlichung“ lautete das Stichwort. Eine entweltlichte Kirche sollte die Botschaft Christi freier und offensiver in einer säkularen Gesellschaft verkündigen können. Statt dem Rat des Papstes zu folgen,wurde der Prozess der Verweltlichung der Kirche in Deutschland fortgesetzt. Die Folgen sind bekannt. Durch den Synodalen Weg, der den vorläufigen Höhepunkt der Verweltlichung darstellt, droht der Kirche in Deutschland die Spaltung.
Noch ein weiteres Mal verstand dieser Papst die Welt in Atem zu halten, als er von seinem Amt zu Lebzeiten zurücktrat. Seitdem nennt er sich emeritierter Papst, was ein völliges Novum ist, lebt im Vatikan in einem kleinen Kloster und hat bei wachem Verstand und langsam schwächer werdenden Körper seinen 94. Geburtstag am vergangenen Freitag gefeiert. Inzwischen ist er länger Emeritus als er amtierender Papst war. Josef Ratzinger steckte Zeit seines Lebens voller Überraschungen. Als großer Denker und Lehrer hört er auch im Alter nicht auf, den Weg der Kirche aufmerksam zu verfolgen und gelegentlich „aus dem Off“ den Gläubigen noch ein Wort zu schenken. Ob es Josef Ratzinger – Papst Benedikt XVI. -, der sich auf Wunsch seines Nachfolgers nicht ganz so streng an sein selbstauferlegtes Schweigen hielt, noch einmal schaffen wird, die Welt zu überraschen, wird man sehen.
Bildquelle:
- Wir_sind_Papst_BILD_Fassade_Springer: ullstein