Russland-Reisen von AfD-Abgeordneten – Alice Weidel: „So geht es nicht weiter“

AfD-Chefin Alice Weidel

von KLAUS KELLE

BERLIN – Die prominente AfD-Reisegruppe, die an einer „politikwissenschaftlichen Konferenz“ vom 13. bis 17. November im mondänen Kurort Sotschi am Schwarzen Meer teilnehmen wollte, schmilzt zusammen, nachdem Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel massiv interveniert hat. Das Treffen in Sotschi wird vom Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Putin-Partei „Geeintes Russland“ organisiert.

„Ich kann nicht verstehen, was man da eigentlich soll, um es hier ganz deutlich zu sagen. Ich hätte das so nicht gemacht“, stellte Weidel jetzt in einer Pressekonferenz in Berlin klar.

Neben den Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß und Steffen Kotré wollten auch der sächsische AfD-Vorsitzende Jörg Urban und der Europaabgeordnete Hans Neuhoff in Sotschi dabei sein. Daraus wird nun wohl nichts, zumindest Rothfuß steigt nicht in den Flieger. „Herr Rothfuß bleibt hier“, versicherte Weidel nach einem Gespräch mit ihrem Bundestagskollegen.

Sie erklärte, dass derartige Reisen vom „AK Außen“ der Fraktion genehmigt würden – und der votierte einstimmig mit Ja zur Sotschi-Sause. „Insgesamt muss ich konstatieren, dass es insgesamt recht unglücklich gewesen ist, dass der AK Außen dieser Reise einstimmig zugestimmt hat“, räumte Weidel ein und weiter: „Dann kann man natürlich als Vorstand nur noch sehr schwer zurück.“

Die offenen Worte der Parteichefin werfen ein Schlaglicht darauf, wie sehr die Vorwürfe einer zu großen Nähe der AfD zum Kreml die Partei insbesondere in Westdeutschland getroffen hat. Und das Rumoren in der Bundestagsfraktion wird immer lauter, seit schon vor zwei Jahren zweimal der Versuch unternommen wurde, einen Antrag für den Bundestag zu beschließen, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen des Krieges gegen die Ukraine aufzuheben. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Mehrheit der AfD-Bundestagsfraktion dagegen stimmte.

In einer „Aktuellen Stunde“ im Bundestag Anfang der Woche beschäftigte sich das Parlament ausführlich mit den Beziehungen zwischen der AfD und Moskau. Die launigste Rede in dieser Debatte hielt zwar wieder einmal Stephan Brandner für die AfD, ein rhetorisches Großtalent und Meister des Gegenangriffs mit Säbel und nicht mit dem Florett. Das konnte aber nicht überdecken, was von den anderen Fraktionen an Merkwürdigkeiten insbesondere bei parlamentarischen Anfragen der AfD im Bund und einigen ostdeutschen Landtagen zutage kam.

In ruhigem Ton trug etwa der CDU-Abgeordnete Henrichmann, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, vor, was die AfD in ihren Anfragen zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gegen hybride Angriffe Russland und eine mögliche militärische direkte Konfrontation mit Putins Reich so alles detailliert aufgeschlüsselt haben wollte. Das war schon ganz seltsamer Kram in seiner Detailtiefe. Henrichmann resümierte dann selbst: „Will ein feindlicher Staat nicht genau das von seinen Feinden wissen? Ich glaube schon.“ Und weiter: „Wenn ich Wladimir Putin wäre, ich würde mich freuen über eine Partei in Deutschland, die meine Narrative unhinterfragt teilt, die die politische Mitte in Deutschland zerstören will, die versucht, Deutschland politisch zu lähmen – was für ein Glück für Wladimir Putin, dass es in Deutschland die AfD gibt.“

Da war die Empörung in den Reihen der AfD-Bundestagsfraktion natürlich groß

Aber es sind ja nicht nur seltsame Anfragen. Es sind sogenannte „Wahlbeobachter-Reisen“ nach Russland, bei denen anschließend immer alles fair und bestens organisiert ist. Es sind peinliche Fernsehauftritte wie der von Co.-Parteichef Tino Chrupalla kürzlich bei Lanz, der vom AfD-Chef wissen wollte, ob er Wladimir Putin für einen Kriegsverbrecher halte. Chrupallas erste Antwort: „Er hat mir nichts getan.“ Das kann man sich gar nicht ausdenken, so eine flapsige Antwort angesichts Hunderttausender Tote in der Ukraine seit Februar 2022.

Russlands aggressives Vorgehen gegen den Westen insgesamt und damit gegen Deutschland zieht eine tiefe Kluft durch Deutschland und die konservativen Milieus. Mir erzählen selbst AfD-Politiker im persönlichen Gespräch davon, was ihre Großmütter von Vergewaltigungen durch russische Soldaten berichtet haben, und ihre Väter von der Lagerhaft in russischer Kriegsgefangenschaft. Ja, sowas passiert im Krieg. Auch anderswo. Aber Russland, das hat eine andere, systemische Qualität. Und die meisten Deutschen wissen das genau.

Nichts lässt die „Brandmauer“ so notwendig erscheinen, wie die Haltung wichtiger Kreise in der AfD zu Russland, zur NATO und zur EU. Selbst die Wehrpflicht , von Anfang an von der AfD immer wieder gefordert, ist plötzlich ein Bäh-Thema geworden, wo das aggressive Russland auch Deutschland unverhohlen droht. Jetzt will die AfD nur noch Wehrpflicht in Friedenszeiten, also wenn man den Wehrdienst gar nicht braucht.

Das ist alles nicht schlüssig

Aber es ergibt einen Sinn, wenn man ein wenig ins Innenleben der AfD in Ostdeutschland hineinhorcht.
Denn da sind viele absolut zufrieden mit der CDU-„Brandmauer“. Der brandenburgische Fraktionsvorsitzende Hans-Christoph Berndt wird mit dem Satz „Entweder regieren wir allein oder wir werden verboten“ zitiert. In Sachsen. Thüringen und Sachsen-Anhalt bereitet man sich aufs Regieren vor, aber nicht als Juniorpartner einer zerfledderten und orientierungslosen CDU, sondern möglichst allein oder mit einem unterwürfigen Juniorpartner, wie es Wagenknechts BSW sein könnte. Die kultiviert ja inzwischen ihre restliche „Bedeutung“ einzig darauf, dass sie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in Deutschland legitimiert. So wächst in Ostdeutschland zusammen, was zusammengehört.
Immerhin Alice Weidel hat erkannt, dass ihre AfD nicht „nützlicher Idiot“ im Sinne Lenins werden darf. Damit meinte Lenin westliche Intellektuelle, die sich von der Sowjetunion für ihre Propaganda instrumentalisieren ließen.

Als Weidel gestern in der Pressekonferenz gefragt wurde, ob künftig Reisen von AfD-Abgeordneten von der Fraktionsführung genehmigt werden müssten, sagte sie: „Ja, der Prozess muss künftig deutlich anders strukturiert werden, denn so wird es in Zukunft nicht weitergehen. Also, die Unzufriedenheit ist groß, eben weil die Sinnhaftigkeit dieser Reisen überhaupt nicht da ist.“

Bildquelle:

  • Alice_Weidel_8: afd

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.