„Scheiss De-Eff-Bee-hee“ – im Berliner Olympiastadion zum Finale

Guten Morgen, liebe sportliche Leserinnen und Leser!

Vorab: Herzlichen Glückwunsch zum Pokalgewinn an die Freunde vom VfB Stuttgart! Ihr habt meine Arminia in den ersten 30 Minuten schulbuchmäßig überrannt, als unsere Abwehr danach – vermutlich noch in der Kabine beim Tee gewesen – dann auch auf dem Rasen stand, lief es besser. Und als in der letzten Viertelstunde Julian Kania eingewechselt wurde, war es dann doch noch ein spannender Schlagabtausch nahezu auf Augenhöhe. Aber Euer Sieg war verdient!

Für mich, unsere Kinder und einige Freunde war gestern ein wirklich besonderer Tag

Bei strahlendem Sonnenschein mit Zehntausenden Ostwestfalen auf dem Alexanderplatz und dann im Olympiastadion zu feiern, das war immer ein ganz großer Traum, seit der kleine Klaus an einem Dezemberabend 1974 in tiefster Vereins-Depression nach dem Zwangsabstieg als Folge des mitverschuldeten Bundesliga-Bestechungsskandals Tabellenvorletzter der Regionalliga West war, und im Pokalspiel dem großen Bundesligisten 1. FC Kaiserlautern ein 1:1 abrang. An diesem Abend auf der alten Alm im Bielefelder Westen mit den Holztribünen und dem von Asphalt überzogenen Erdhügel gegenüber dem legendären Fan-Block 3 habe ich mich unsterblich verliebt in diesen ungewöhnlichen, leidgeplagten aber kämpferischen Verein. Und ein Mann, der sich in einen Fußballclub verliebt, wird niemals untreu. Niemals.

Also: wir alle waren gestern Abend stolz wie Bolle. Trotz der Niederlage wurde die Mannschaft noch eine halbe Stunde nach Abpfiff ekstatisch gefeiert, und während ich das hier schreibe, rollt zeitglich eine gewaltige Autokarawane auf der A 2 Richtung Westen, um am Nachmittag unsere Mannschaft auf dem Bielefelder Rathausbalkon weiter zu feiern. Denn ganz nebenbei ist Arminia als Drittligameister auch noch wieder in die Zweite Bundesliga aufgestiegen, wo wir jetzt alle schon heiß darauf sind, dort auf Schalke 04 zu treffen und gegen die Regionalrivalen aus Paderborn und Münster anzutreten

Aber nachdem ich meiner Begeisterung freien Lauf gelassen habe, erlauben Sie mir, auch noch zu meckern!

Ich gehe seit über 50 Jahren zu Fußballspielen in Stadien. Auch in die großen in Deutschland: München, Hamburg, Köln, Dortmund, Schalke – kenne ich alle durch persönliches Erleben. Das Organisationschaos gestern vor dem Berliner Olympiastadion allerdings war für mich einzigartig,

Dazu müssen Sie wissen – obwohl Vereinsmitglied bei Arminia war ich in der Verlosung des Kartenkontingents durchgefallen, und hatte für das Spiel im Olympiastadion keine Eintrittskarte.

Bis gegen 15 Uhr, denn dann rief mich mein wunderbarer Lifetime-Freund Ralf an, um mir zu sagen, da ich ja kommende Woche Geburtstag habe, habe er sich ein bisschen angestrengt und eine Sitzplatzkarte für mich besorgt – Sitzplatz mitten im Bielefelder Mob. Keine Übertreibung, mir kamen die Tränen, das war so unerwartet und so groß nach 5 Jahrzehnten Fandasein in Bielefeld, dass ich mich sofort in meinem blauen Trikot in die S-Bahn der Linie 3 quetschte und Richtung Stadion aufbrach.

Um 17 Uhr war ich dort, Telefonat mit dem Kontaktmann, der mich an eine Kontaktfrau vermittelte, mit der ich dann um 18.10 Uhr telefonieren sollte. Es hatte etwas Konspiratives.

Tatsächlich kam der Anruf pünktlich und auf die Frage, wo im Gedränge ich denn stehe, beschrieb ich meinen Standort unter einem Straßenschild am Coubertinplatz gegenüber des Südtors. Und was soll ich sagen? Als ich mich umdrehte, stellte sich heraus, dass sie keine zwei Meter neben mir in dem Gedränge stand…

Was ich Ihnen aber eigentlich erzählen will: Um 18.15 Uhr hatte ich meine Eintrittskarte und stellte mich sofort in die unüberschaubare blaue Menschenmenge an. Und es ging alle 10 Minuten einen bis zwei Meter voran. Eine Tortur. Kein Platz, um sich einen Moment auszuruhen, kein Service, um eine Flasche Wasser zu bekommen, nur Menschen, die immer schlechter gelaunt wurden. Kein Wunder.

Wenn Sie eine Karte für 140 Euro – Standardpreis – oder auch 300 oder 500 Euro gekauft haben, möchten sie wenigstens die Illusion von Kundenpflege erleben. Aber nichts davon. Hätte ich in der Menge meinen zweiten Herzinfarkt erlebt, wäre endgültig Feierabend gewesen. Allein bis irgendein Sanitäter davon erfahren hätte, ganz zu schweigen davon, in dem Gedränge zu mir gelangen, wäre das Spiel zumindest für mich final vorbei gewesen.

Was soll ich sagen?

Als die Menge – immer noch Tausende – kurz mal aufhörte „Scheiß DFB“ zu skandieren und den wenigen Ordnern in ihren gelben Jäckchen den Mittelfinger zu zeigen, wehte zu uns aus dem Stadion der Gesang der deutschen Nationalhymne herüber.

Irgendwann erbarmte sich ein Oberordner und brüllte in die Menge, man dürfe jetzt auch am Osttor einchecken. Also: Auf dem Schuhabsatz umgedreht und mit Hunderten Menschen im Laufschritt ums halbe Stadion gerannt, wo es dann ganz leicht war. Ich erreichte meinen Platz im Olympiastadion just in dem Augenblick, als Stuttgart das 1:0 schoss…

Ihnen allen einen erholsamen Sonntag!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.