Starke Worte, nichts dahinter: Russlands Rückzug als Ordnungsmacht: – der Krieg in der Ukraine erschöpft die Kräft des Bären

Protzt gern mit seinen Atomraketen, doch Putins Russland ist zu schwach, seine Verbündeten zu unterstützen.

von KLAUS KELLE

MOSKAU/BERLIN – Es ist nur wenig mehr als 24 Stunden her, da hat der russische Außenminister Sergei Lawrow in einem Interview versichert, dass Russland China bei der Verteidigung seiner „staatlichen Einheit und territorialen Integrität“ unterstützen werde, sollte sich die Lage in der Taiwanstraße zuspitzen. Lawrow berief sich dabei auf den „Vertrag über gute Nachbarschaft, Freundschaft und Zusammenarbeit“ von 2001, der gegenseitige Unterstützung bei Fragen der nationalen Souveränität vorsieht.

Man könnte das als das übliche Säbelrasseln aus dem Kreml abtun, dem wirtschaftlich zunehmend das Wasser bis zum Hals steht, aber da zeitgleich massive chinesische Militärmanöver mit dem Titel „Justice Mission 2025“ rund um die demokratisch Inselrepublik Taiwan begannen, bleibt dem Westen nicht übrig, als die Situation in Südostasien und Russland sowieso fest im Blick zu behalten.

China unterstützt Russland wirtschaftlich und politisch intensiv, um die westlichen Sanktionen abzufedern. Putin und Xi Jinping nutzen ihre ausgerufene „grenzenlose Partnerschaft“ dazu, den USA und ihren Verbündeten (wie Japan) zu signalisieren, dass sie an zwei Fronten (Europa und Asien) gleichzeitig gefordert werden könnten.

Doch mehr als starke Sprüche wird Russland auch dieses Mal nichts zu bieten haben. Im wahrsten Sinne des Wortes ausgeblutet durch den vierjährigen Abnutzungskrieg in der Ukraine – wie sollte Russland im Fall eines großen Konflikts in Asien substanziell noch eingreifen? Geheimdienstinformationen, Treibstoff, nukleare Abschreckung – aber mitmischen im Pazifik? Dafür ist Russland dann doch tatsächlich heute nichts mehr als eine Regionalmacht, wie der frühere US-Präsident Barack Obama vor Jahren richtig feststellte.

Putin nutzt das Taiwan-Thema Ende 2025, um seine Allianz mit Xi Jinping zu festigen

Er möchte gern als globaler Spieler auf der Weltbühne wahrgenommen werden. Doch ganz offenkundig ist dieser Plan auch nur wieder ein Rohrkrepierer.

Über Jahrzehnte war die geopolitische Architektur des Großraums „Eurasiens“ von der simplen Gewissheit geprägt, dass in Moskau kaltes Kalkül und Rationalität herrschen. Und das war ja auch so, nicht nur zu Zeiten der Sowjetunion, sondern später auch im Kaukasus, in Zentralasien und im Nahen Osten.

Doch zum Jahreswechsel zeichnet sich ein fundamentales Ende dieser Ära ab. Der seit fast vier Jahren andauernde Abnutzungskrieg in der Ukraine hat Russlands Kapazitäten so weit erschöpft, dass der „Weiße Ritter“ des Ostens zur bloßen Randfigur in seiner eigenen Einflusssphäre degradiert wird.

Nirgends wurde Russlands Ohnmacht so schmerzhaft sichtbar wie im Südkaukasus.

Armenien, ein Gründungsmitglied der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) – Moskaus Antwort auf die NATO –, musste miterleben, wie sein Schutzversprechen ins Leere lief. Als Aserbaidschan im September 2023 die Enklave Bergkarabach in einer Blitzoffensive zurückeroberte, blieben die russischen „Friedenstruppen“ in ihren Kasernen.

Für Armenien war dies ein existenzieller Verrat. Die Erkenntnis war bitter: Russland ist entweder nicht mehr willens oder schlicht nicht mehr fähig, einen Konflikt an seinen Flanken zu kontrollieren, wenn dies Ressourcen bindet, die an der Donbass-Front fehlen. Inzwischen hat sich Armenien fast vollständig von Moskau ab- und Europa zugewandt. Die gemeinsame Grenze wird nicht mehr von russischen FSB-Agenten kontrolliert, und Eriwan sucht Schutz bei westlichen Partnern wie Frankreich und den USA.
Russland hat hier nicht nur einen Verbündeten verloren, sondern seine gesamte Glaubwürdigkeit als regionale Führungsmacht.

Schauen wir nach Zentralasien

In den Steppen Zentralasiens vollzieht sich die Erosion der russischen Macht subtiler, aber nicht weniger folgenreich. Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan beobachten genau, wie Russland seine strategischen Reserven in der Ukraine verbrennt. Noch im Januar 2022 halfen russische Fallschirmjäger dem kasachischen Präsidenten Toqajew, Unruhen niederzuschlagen. Heute wäre eine solche Mission kaum mehr möglich.

Die Staaten Zentralasiens reagieren darauf mit einer „Multivektor-Politik“. Da Moskau als alleiniger Sicherheitsgarant ausfällt, wird China zur neuen wirtschaftlichen und zunehmend auch sicherheitspolitischen Gravitationskraft. Peking investiert massiv in Infrastrukturprojekte, die Russland umgehen. Gleichzeitig wächst das Selbstbewusstsein der lokalen Eliten: Kasachstan verweigert die Umgehung von Sanktionen und distanziert sich diplomatisch von Moskaus Kriegskurs. Die Botschaft ist klar: Ein geschwächtes Russland kann keine Befehle mehr erteilen; es muss um Kooperation bitten.

Syrien und der Nahe Osten: Ein Prestigeprojekt auf Sparflamme

Lange Zeit galt das russische Engagement in Syrien als Beweis für die erfolgreiche Rückkehr Moskaus auf die Weltbühne.

Doch der Ukraine-Krieg hat die Prioritäten verschoben. Hochmoderne russische Luftabwehrsysteme vom Typ S-300 wurden aus syrischen Häfen abgezogen und an die Front im Norden verlegt. Eliteeinheiten wurden durch weniger erfahrene Söldnerstrukturen ersetzt.

Diese Ausdünnung hat ein Machtvakuum hinterlassen, das andere Akteure füllen.

Israel operiert im syrischen Luftraum fast nach Belieben, ohne dass russische Systeme wie früher intervenieren. Selbst gegenüber dem strategischen Partner Iran zeigt sich die russische Schwäche: Während Teheran Russland mit Drohnen und Raketen für den Ukraine-Krieg stützt, kann Moskau dem Iran im Gegenzug kaum nennenswerten Schutz gegen regionale Angriffe bieten. Im Jahr 2025 ist Russland in der Levante vom aktiven Gestalter zum passiven Beobachter geworden.

Die Ursache für diesen Rückzug ist Putins totale Fixierung auf den Abnutzungskrieg im Osten der Ukraine. Die russische Rüstungsindustrie arbeitet unter Hochdruck, produziert aber fast ausschließlich für den Eigenbedarf. Exportverträge für moderne Waffensysteme – einst ein wichtiges Instrument der Diplomatie – können nicht mehr bedient werden. Wer heute russische Panzer oder Flugabwehr bestellt, wird auf unbestimmte Zeit vertröstet, da jedes verfügbare Bauteil für die Front benötigt wird.

Zudem leidet Russland unter einem massiven Personal- und Finanzmangel. Die Kosten für den Krieg fressen die Budgets für die Auslandszusammenarbeit auf.

Wir erleben im Jahr 2025 eine multipolare Welt, in der Russland zwar immer noch eine Nuklearmacht ist, aber seine Rolle als konventionelle Ordnungsmacht in Eurasien verloren hat.
Seine Verbündeten haben gelernt, dass Loyalität zu Moskau im Ernstfall keinen Schutz mehr bietet. Das Vakuum, das Russland hinterlässt, wird nicht lange leer bleiben. China im Osten, die Türkei im Süden und die EU im Westen stehen bereit.

Russland ist zu schwach geworden, um die Träume eines großrussischen Einflussbereichs aufrechtzuerhalten. Es ist die Ironie der Geschichte, dass Putins Versuch, durch den Krieg in der Ukraine wieder zur Weltmacht aufzusteigen, genau das Gegenteil bewirkt hat: Die totale Überlastung der eigenen Kräfte und der Zerfall des einstigen Imperiums an seinen Rändern.

Bildquelle:

  • Russische_Atomraketen_Moskau: adobe.stock / aziz / KI-unterstützt

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.