BERLIN – Wir treffen uns in einem kleinen Café am Gendarmenmarkt in Berlin. Vera Lengsfeld, eine wirklich beeindruckende Frau, die sich in der DDR gegen das SED-Machtsystem schon aufzulehnen wagte, als es noch gefährlich war. Auch das unterscheidet sie von Angela Merkel, über die wir bei Kaffee und Schokolade sprechen, um der Antwort auf die Frage näherzukommen, wie konnte das alles passieren? Was verband Merkel jemals mit der rheinisch-katholisch geprägten CDU? Warum erwiesen sich die energiegeladenen Jungs des „Pacto Andino“, die in der Union Karriere machen wollten, als Miezekätzchen, als Angela Merkel an die Spitze strebte? Und warum wollte die gelernte Physikern die politische Karriere überhaupt machen? Weil sie etwas für ihr Land tun wollte? Das ist abwegig. Weil sie einen Auftrag hatte? Eigentlich auch abwegig, aber leider nicht ganz auszuschließen, wenn man sich intensiver mit den Fakten beschäftigt.
Frau Lengsfeld, bei welchem Anlass haben Sie Frau Merkel kennengelernt, und wie war spontan Ihr erster Eindruck?
Angela Merkel und ich saßen Anfang 1990 im sogenannten „Haus der Demokratie“ in der Berliner Friedrichstraße als Presseprecherinnen des „Demokratischen Aufbruchs“ und der „Grünen Partei“ (ich), zwei Neugründungen aus dem Revolutionsherbst 1989. Anfang März, kurz vor der ersten freien Volkskammerwahl, bekam ich Besuch von Mitgliedern des DA und der Pressesprecherin. Der Vorstand hatte die verstörende Information bekommen, dass Wolfgang Schnur, der Chef des DA und Spitzenkandidat der „Allianz für Deutschland“ Mitarbeiter der Stasi gewesen sei. Da sie wussten, dass Schnur mein Anwalt gewesen war, als ich Anfang 1988 im Stasigefängnis Hohenschönhausen einsaß, wollte sie von mir wissen, ob ich das für möglich hielte. Ich antwortete, dass ich schon damals bemerkt hätte, dass Schnur mit der Stasi kooperiert und das schon zu DDR-Zeiten veröffentlicht hätte. Da fiel mir Merkel heftig ins Wort, wie ich solch unverantwortliche Dinge sagen könnte. Zwei Tage später, stand Schnurs Stasitätigkeit in allen Zeitungen und Merkel forderte auf einer Pressekonferenz des DA nachdrücklich Aufklärung.
Wie war später in der gemeinsamen Zeit im Deutschen Bundestag euer Verhältnis miteinander, besonders, nachdem Sie von den Grünen zur CDU rübergemacht hatten?
Ich hatte meinen Übertritt zur CDU mit Peter Hintze, dem damaligen Generalsekretär der CDU, vorher Staatssekretär bei Merkel, als sie Ministerin für Frauen und Jugend war, vorbereitet. Ich hatte mir gewünscht, dass Angela Merkel unseren Übertritt begrüßen sollte. Das hat sie nicht gemacht. Als sie dann gesehen hat, dass der Übertritt ein Riesenerfolg war und wie herzlich ich von Fraktion und Partei aufgenommen wurde, hat sie mir zu meinem Schritt gratuliert und mich auch ab und zu um Rat gebeten, wie sie mit der SED-PDS umgehen soll. Irgendwann hat sie mir das Du angeboten.
Waren Sie näher dran, weil Sie eine Frau sind und aus dem Osten kamen? Oder hat sie in der Fraktion und in ihrem Umfeld später als Bundeskanzlerin die Ost-West-Schablonen abgelegt?
Sie hat die Ost-Karte eigentlich nicht gezogen. In der Fraktion saß sie als Ministerin ganz still bei der kleinsten Landesgruppe aus Mecklenburg- Vorpommern. Sie stand so sichtbar unter der Protektion von Bundeskanzler Kohl, dass es schon wieder uninteressant war zu fragen, wie sie „Kohls Mädchen“ werden konnte. Den Hintergrund erfuhr ich erst nach dem Sturz von Kohl in einem persönlichen Gespräch. Sie war ihm von Lothar de Maizière empfohlen worden, als dessen Stasiverstrickung ruchbar wurde und er sich aus den Führungsfunktionen in Partei und Politik zurückziehen musste.
Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, Merkel habe keinerlei inneren Bezug zur Union gehabt, aber als sich die Möglichkeit bot, nach oben zu kommen, hat sie die ergriffen. Das ist nicht verboten. Aber warum hat die Union das mitgemacht? Warum hat man eine Frau, die eine ganz andere politische Agenda hatte, einfach gewähren lassen?
Es ist natürlich nicht verboten, aber eher sehr ungewöhnlich, dass man sich entschließt in einer Partei Karriere zu machen, die man ablehnt. Aber die CDU erwies sich als die richtige Partei insofern, als Merkel in der SPD niemals so hätte reüssieren können. Sie stieg oben als Ministerin ein. Das war natürlich den besonderen Umständen der Vereinigung zu verdanken. Merkels Stärke war, lange als „Kohls Mädchen“ unter dem Radar der Aufmerksamkeit von Kohls Kronprinzen Volker Rühe, Wolfgang Schäuble und Edmund Steuber, als auch der CDU-Jungmänner des so genannten Andenpaktes zu segeln, die sich zusammengeschlossen hatten, um ihre Karrieren zu planen. Nach meiner Überzeugung hat nach Kohls Sturz in der Spendenaffäre Wolfgang Schäuble Merkel zur Generalsekretärin der CDU gemacht, weil er überzeugt war, von ihr ginge keine Gefahr aus. Diesem Irrtum hat er seinen späteren Sturz zu verdanken.
Obwohl viel darüber gesprochen wird, wagen sich nur wenige Journalisten an das heikle Thema Russland im Zusammenhang mit Angela Merkel. Nach ihrer Wahl zur CDU-Vorsitzenden und dann Kanzlerin betonte sie in sicherheitspolitischen Fragen das Prinzip eines starken und selbstbewussten Westens sowie der transatlantischen Partnerschaft. Aber im realen politischen Geschäft war es Merkel, die 2008 verhinderte, dass die Ukraine einen Aufnahmestatus in die NATO bekam. Und Merkel flog zu US-Präsident Biden, um die Zustimmung zur Fertigstellung von Nord Stream 2 einzuholen. Hat Frau Merkel aus ihrer Sicht rein deutsche Interessen in ihrer Politik verfolgt?
Meiner festen Überzeugung nach, haben Merkel die deutschen Interessen weniger interessiert. Als es zum Beispiel darum ging, ob die Festlegung des Lissabon-Vertrags, dass kein Land der EU für die Schulden eines anderen Landes aufkommen muss, zu kippen, hat sie Thomas de Maizière zu der entscheidenden Beratung nach Brüssel geschickt und saß lieber neben Wladimir Putin bei der Siegesparade am 9.Mai in Moskau auf der Tribüne. Das kann jeder werten, wie er will.
Nachdem die Frau, die Deutschland in den Jahren ihrer Kanzlerschaft mehr Schaden zugefügt hat als jeder andere Regierungschef hier seit 1949, in den Ruhestand wechselte, schien ihr Verhältnis zu der Partei, der sie eine glänzende Karriere zu verdanken hat, plötzlich stark abzukühlen. Plötzlich hatte sie keine Zeit mehr, mit Friedrich Merz aufzutreten oder sich – wie viele andere altverdiente CDU-Politiker – im fortgeschrittenen Alter in der Konrad-Adenauer-Stiftung zu engagieren. Und wenn sie mal irgendwo auftaucht, dann um sich einen Preis verleihen zu lassen oder – wie kommende Woche – als Ehrengast beim Neujahresempfang des mächtigen CDU-Landesverbandes von Hendrik Wüst aufzutauchen – nicht unbedingt ein Freund von Merz. Ist jetzt Kaffeesatzleserei, aber glauben Sie, dass Angela Merkel am 23. Februar CDU wählt?
Sie hat sich schon als Kanzlerin in ihrer letzten Legislaturperiode nicht mehr viel um die CDU gekümmert, sondern sogar öffentlich bekundet, dass sie sich um Parteitagsbeschlüsse nicht kümmert, wenn sie ihr nicht passen. Nachdem Friedrich Merz Parteivorsitzender wurde, hat sie die Parteitage auch nicht mehr besucht. Nach ihrer Kanzlerschaft ist sie aus der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgetreten, hat auch eine Ehrenmitgliedschaft abgelehnt. Bei ihrem 70.Geburtstag spielte die CDU keine Rolle.
Erst als das Erscheinen ihres Buches angekündigt worden war, hat sie sich nachträglich von Friedrich Merz zu einer Feier einladen lassen, denn es hätte sonst die Frage aufkommen können, wie sie es mit der CDU hielte. Hendrik Wüst ist der Fortsetzer ihrer Politik, daher widmet sie ihm Aufmerksamkeit. Sie hat zuletzt als Kanzlerin grüne Politik gemacht. Ob unkontrollierte Masseneinwanderung, Blitzausstieg aus der Atomenergie, Multikulti als Staatsräson, sogar das Heizungsgesetz ist keine Erfindung der Ampel, sondern wurde von der Regierung Merkel beschlossen – alles Projekte der Grünen, die sie aus eigener Kraft niemals hätten durchsetzen können. Nur mit Hilfe der Union war es möglich, diese urgrünen Ideen Realität werden zu lassen, die unser Land jetzt zum Absturzkandidaten machen. Leider droht uns mit einem Kanzler Merz die Fortsetzung der Merkel-Politik. Das muss jeder wissen, wenn er bei der kommenden Wahl seine Stimme abgibt.
Bildquelle:
- Kelle_Lengsfeld: TheGermanZ