19. Juli 1988: Das Konzert in Weißensee, das Egon Krenz nach 23 Minuten wieder verließ…

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

erinnern Sie, also die älteren von Ihnen, sich noch an die britische Rockband namens „Barclay James Harvest“?

Ich tippe darauf, dass Ihnen zumindest „Hymn“ noch im Ohr hängt, wenn Sie daran erinnert werden. BJH – das war auch eine meiner Lieblingsbands in jungen Jahren. So zeitgleich mit „Supertramp“ und „Dire Straits“ etwa, wie ich mich erinnere.

Ein Buch über die Kraft der Musik auch auf die große Politik wurde heute vorgestellt, als ich im Autoradio – BR oder MDR – irgendeine Kulturwelle hörte und daran erinnert wurde, was los war, als Barclay-James-Harvest am 30. August 1980 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin auftrat. Sie erinnern sich: Berlin und Deutschland waren zu der Zeit noch durch eine mörderische Grenze geteilt.

200.000 Musikfans waren damals vor dem Reichstag dabei, aber auch einige Tausend auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs.

Sie standen in den Straßen rund um den Boulevard Unter den Linden, hatten Weinflaschen dabei, und wollten einfach nur der Musik lauschen, die vom Westen mit dem Wind herüberwehte. Doch selbst so etwas Harmloses war für die Stasi-Schergen und das sozialistisch System eine Provokation.

Weil es angeblich zu laut für die Patienten der Charité, des renommierten Krankenhauses war, wurden die Straßen von Volkspolizisten abgesperrt. Stasi-Zivilbullen gingen mit Gummiknüppeln auf Ostberliner Musikfans los, es gab zahlreiche Festnahmen.

Doch genau diese völlig unsinnige Gewaltanwendung gegenüber jungen Ostdeutschen, die einfach nur Musik hören und ein bisschen Spaß haben wollten, sollten gravierende Folgen haben.

Das harte Vorgehen der Stasi wurde im Politbüro und der SED zum Thema, auch durch die umfangreiche Berichterstattung der West-Medien. Selbst in der Führung der FDJ, der kommunistischen Jugend, regte sich vorsichtige Kritik. Klar war allen, dass die Herrscher es an diesem Tag einfach überzogen hatten.

Und so genehmigte man den Auftritt eines anderen Superstars aus dem Westen in Ost-Berlin, um der eigenen Jugend und der Welt zu zeigen, wie hipp der Sozialismus ostdeutscher Prägung doch sei.
Bruce Springsteen, schon damals einer der weltweit bekanntesten und erfolgreichsten Musiker spielte in Ost-Berlin sein „Concert that changed the World“.

Bis zu 300.000 Musikfans kamen am 19. Juli 1988 zur Radrennbahn Weißensee – das größe Musikereignis überhaupt in der Geschichte der DDR. Zuvor war der Amerikaner („Born in the USA“) schon einmal 1981 in West-Berlin aufgetreten. Er nutzte die Gelegenheit, um mit seinem Gitarristen Steven Van Zandt in den Ostteil zu fahren. In seiner 2016 erschienenen Autobiografie beschreibt er diesen Besuch als „bedrückend“ und schrieb, das dortige System sei „ein Schlag ins Gesicht der Menschlichkeit“.

Vor Beginn des Konzerts im Juli auf der Radrennbahn verfügte Springsteens Manager Jon Landau, dass die von der FDJ aufgehängten Banner abgehängt werden.

Das Konzert dauerte dann vier Stunden, die Menge geriet in echte Ekstase. Etwa eine Stunde nach Beginn der Show zog der Superstar einen Zettel aus der Tasche und las auf Deutsch vor:

„Es ist schön, in Ost-Berlin zu sein. Ich möchte Euch sagen: Ich bin hier nicht für oder gegen irgendeine Regierung. Ich bin gekommen, um Rock’n Roll zu spielen, für euch Ost-Berliner, in der Hoffnung, dass eines Tages alle Barrieren umgerissen werden.“

Während des Konzerts wurden selbstgefertigte USA-Flaggen im Publikum geschwenkt. Der stellvertretende Staatsratsvorsitzende der DDR, Egon Krenz, war beim Konzert dabei, ging aber nach 23 Minuten wieder. Er hatte wohl an diesem Abend begriffen, welche Kraft die Musik haben kann. Der Sender DT64 übertrug das Konzert zeitversetzt, die Rede Springsteens hatte man dabei rausgeschnitten.

Viele Historiker kamen später zu dem Schluss, dass das Springsteen-Konzert einen direkten Einfluss auf große Teile der Bevölkerung damals in der DDR hatte, und letztlich auch mit zu den die Ereignissen beitrug, die viele Jahre später zum Fall der Mauer führten.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag der Deutschen Einheit!

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.