24-Stunden-Pflege: „Bei diesem Thema ist Herr Lauterbach leider beratungsresistent!“

Das Pflegesystem in deutschland wird immer komplizierter und teurer.

Wenn eines wie das Amen in der Kirche sicher ist, dann, dass der demografische Wandel uns vor gewaltige Herausforderungen stellen wird. Nicht nur die finanzielle Belastung durch das Renten-Umlageverfahren, sondern auch die Pflege selbst wird ein entscheidender Faktor sein. Doch wie ist es heute um unser Pflegesystem bestellt, und sind wir auf den demografischen Wandel vorbereitet? Darüber spreche ich heute mit Beate Oberschür, von „Lebenswert 24“ einer Vermittlungsagentur der sogenannten 24 Stunden Pflege

Beate Oberschür, Sie haben sich am 29. März mit der Pflegebeauftragten des Bundes, Claudia Moll, im Gesundheitsministerium getroffen. Was ist bei dem Gespräch herausgekommen?

Ernüchterung. Wir hatten große Hoffnungen in Herrn Lauterbach als Gesundheitsminister gelegt. Aber in Bezug auf das Thema „Pflege“ erweist er sich leider als völlig beratungsresistent und sogar unwissend. Dazu kommt, dass die finanziellen Rücklagen der Pflegeversicherung, die sich bis vor Corona, also Anfang des Jahres 2020, über weit mehr als sieben Milliarden Euro belaufen haben, systematisch geplündert wurden und zwar zur Bekämpfung der Weltpandemie „Corona“. Herr Lindner sieht keinen Grund, das Geld der Pflegkasse zukommen zu lassen, stattdessen werden die Beiträge erhöht.

Da müssen Sie etwas in Detail gehen. Warum verwenden Sie die Formulierung geplündert?

Weil die Mittel zweckentfremdet wurden. Die Rücklagen waren dazu angelegt, die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen sicherzustellen und die ca. 5,4 Millionen pflegenden Angehörigen zu unterstützen. Doch diese Gelder wurden für Masken, Testzentren und der Vorhaltung von Intensivbetten ausgegeben. Dazu kommt noch, dass die Bereitstellung von Pflegebetten nicht an Personal gebunden war. Das bedeutet, man stellt ein Bett und Beatmungsmaschine zur Verfügung, und automatisch wird ein dreistelliger Betrag pro Tag und Bett ausbezahlt, ohne, dass es sich dabei tatsächlich um ein Pflegebett handelt, denn das Pflegepersonal war schon damals nicht vorhanden

Sie kritisieren auch das neue Pflegeunterstützungs- und -Entlastungsgesetz (PUEG). Ist das nicht der erste wesentliche Schritt zur Verbesserung des Pflegesystems?

Nein, überhaupt nicht. Das Gesetz zeigt, dass das Thema Pflege in der Politik überhaupt noch nicht angekommen ist und dass Herr Lauterbach sich mit stoischer Ruhe das Gesetz auch noch schönredet.

Furchtbar, wenn man überlegt, dass über fünf Millionen pflegender Angehöriger Jahr für Jahr vertröstet werden und die Probleme in der Versorgung katastrophal sind. Wir können hier von einer unregulierten Katastrophe für zu Pflegende und ihre Angehörigen sprechen. Das ist leider nicht übertrieben.

Wir brauchen keine Überversorgung der Bedürftigen, aber zumindest eine bessere Grundversorgung. Und wir brauchen KK und PK die dem nachkommen, was ihre Aufgabe ist, nämlich die Versicherten zu versorgen. Mittlerweile ist es ja schon ein Sport geworden, lieber abzulehnen anstatt Hilfen zu genehmigen. Man weiß, dass die meisten Menschen in der Pflege nicht mehr die Kraft zu Auflehnung haben, und das wird gnadenlos ausgenutzt, um an den Hilfebedürftigen zu sparen.

Es sind geschätzt 12 Milliarden Euro im Jahr an Hilfeleistungen nicht abgerufen worden, weil die Ansprüche nicht an die Versicherten automatisch vergeben werden. Es muss alles beantragt werden, dann wird abgelehnt, dann geht es in den Wiederspruch und weitere Hürden folgen.

Außerdem sollte den Angehörigen eine bessere Beratung zukommen. Ich nenne Ihnen da mal zwei Beispiele.

Wenn Sie einen Erstantrag stellen zur Einstufung eines Pflegegrades, muss dieser innerhalb von sechs Wochen bearbeitet werden. Andernfalls stehen den Antragsstellern pro Woche 80 Euro an Entschädigung zu.

Stellen Sie hingegen einen Verschlechterungsantrag, weil sich der Zustand des Pflegebedürftigen geändert hat, steht den Antragstellern keine Entschädigung zu. Was dazu führt, dass der Fokus der Bearbeitung auf den Erstanträgen liegt. Im Worst Case haben Sie bei einem Verschlechterungsantrag eine Wartezeit von 1,5 Jahren. Wir raten daher allen Kunden, anstelle eines Verschlechterungsantrages einen neuen Erstantrag zu stellen.

Und das zweite Beispiel?

Der MD, also der Medizinische Dienst, der für die Einstufung des Pflegegrades zuständig ist, hat durch die Corona-Pandemie mit einer Ferneinstufung per Telefon begonnen. Dadurch kommt es häufig bei der Beantragung zu Miss-Einstufungen. Daher sollten die Antragsteller immer bewusst einen Sachbearbeiter vor Ort anfordern.

Sind Sie also der Ansicht, dass die Politik die Aufgaben der Pflege auf die Angehörigen abwälzt und Sie damit alleine lässt?

Absolut. Nehmen wir allein nur den finanziellen Aspekt! Ein Pflegebedürftiger im Pflegegrad 3, der durch eine professionelle Pflegehilfe betreut wird, erhält 1.363 Euro Pflegesachleistung = Pflegedienst und hat dann noch immer höher werdende Eigenanteile zu bezahlen. Übernimmt ein Angehöriger die Pflege, was meistens Frauen sind, die dann noch ihren eigenen Beruf einschränken oder aufgeben müssen, erhalten sie im gleichen Fall nur 545 Euro.

Dieses Pflegegeld dient zu Versorgung des zu Pflegenden und auch hier ist viel private Zuzahlung erforderlich. Zur Grundsicherung der pflegenden Angehörigen gibt es überhaupt keine Unterstützung, außer dass wir diese Menschen zu Bürgergeldempfänger machen. Wenn wir das Geld, welches wir in den Bürokratismus rund um die Pflege stecken, den Beitragszahlern zukommen lassen würden, wäre vieles gewonnen. Dann würden beispielsweise die Versorgungslücken an die sog. 24-Stunden-Versorgung nicht an osteuropäischen Staaten der EU durchgereicht werden. Und wir würden nicht engagierte Menschen in die Altersarmut schicken.

Das Gespräch führte Michael Sting.

Bildquelle:

  • Alter_2: pixabay

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