von MARTIN D. WIND
DRESDEN – Man weiß gar nicht, ob man mit diesem „launigen Einstieg“ beginnen soll: Glücklicherweise wurde das Projekt vor 180 Jahren und nicht in heutiger Zeit gebaut, sonst hätte es nicht nur drei Jahre vom Baubeginn bis zur Eröffnung gedauert: Heute vor 180 Jahren wurde nach drei Jahren Bauzeit die berühmte Dresdener Semperoper eröffnet. Also zumindest wurde das eröffnet, was den Grundstock des heutigen Gebäudes darstellt. Denn – wie in einer wichtigen Metropole in Deutschland zu erwarten – hat auch die Altstadt Dresdens während des Zweiten Weltkriegs schlimme alliierte Bomberangriffe erlitten. Während eines Angriffs 1945 brannte die Oper nach Bombentreffern weitgehend aus. Schon der Vorgängerbau – ebenfalls von Semper entworfen – war 1869 ein Raub der Flammen geworden.
Was man heute als „Semper-Oper“ bestaunen kann, ist der beinahe originalgetreue Wiederaufbau des Entwurfs von Gottfried Semper aus den Jahren um 1870. Mit dem Wiederaufbau hatte man nach dem Krieg erst 1977 beginnen können. Vollendet war diese Wiederherstellung 1985 – 40 Jahre nach der Zerstörung und dem Ausbrennen während der Bombennacht 1945. Um die Räumlichkeiten noch besser nutzen zu können, wurden in diesem Wiederaufbau einige vorsichtige Veränderungen vorgenommen, der Großteil der neu zu nutzenden Flächen jedoch in Neubauten untergebracht, so dass die vorbildliche Raumanordnung Sempers weitgehend erhalten und wiederhergestellt werden konnte.
Nicht nur die vorbildliche Raumnutzung und die hervorragende Akustik des Baus sind noch heute bewundernswert und werden als vorbildhaft erachtet. Auch mit der Gestaltung der Räume, mit dem Wandschmuck und der Skulpturenausstattung traf Semper den Geschmack der Zeit und befriedigte den größten Teil der Erwartungen der kulturaffinen Besucher. Er wird heute zwar nicht mehr kopiert aber noch immer hochgeschätzt. Dabei war Semper bei der Errichtung des nach ihm benannten Gebäudes nicht mal in Dresden. Er hatte sich 1849 am sogenannten „Maiaufstand“ beteiligt, musst nach der Niederschlagung fliehen und wurde daher 14 Jahre lang als „Haupträdelsführer“ steckbrieflich gesucht. Selbst als die Fahndung nach ihm abgeblasen wurde und er keine Verfolgung mehr befürchten musste, schien man im Dresdner Polizeiapparat nicht ganz so überzeugt von dem unsicheren Kantonisten. Man hielt ihn weiterhin unter dezenter Beobachtung.
Dennoch wurde sein Entwurf akzeptiert und unter Aufsicht seines Sohnes Manfred Semper, der ebenfalls als Architekt tätig war, ausgeführt. Gottfried Semper selbst sollte Dresden nie wieder betreten. Der 180 Jahrestag der Eröffnung der Original-Semperoper scheint den Verantwortlichen des Hauses kaum der Notiz wert zu sein. Weder auf der Homepage noch im Programm hat dieser Tag seinen Niederschlag gefunden. Lediglich das Ensemble ist in jüngster Zeit in die Schlagzeilen geraten. Das aber nicht, weil man künstlerisch Herausragendes geleistet hätte, sondern weil es in der „oberen Etage“ zu Streit gekommen war. Was war der Anlass? Nun, was könnte derzeit Zeit schneller und hitziger zu Streit führen als der Umgang mit der Seuche.
Chefdirigent Christin Thielemann und Intendant Peter Theiler streiten um das richtige Maß der Schutzmaßnahmen für die Orchestermitglieder. Das tun Sie so vehement, dass der Streit auch durch die dicken Mauern des Operngebäudes drang und in den Medien Widerhall fand. Dabei könnte man doch den Jahrestag nutzen um weniger mit schöner Musik oder schrägen Tönen als vielmehr wenigstens mit dem Gebäude öffentlich wirksam und wahrgenommen zu werden. Und sei es nur, indem man die vielen Kleinodien von besonderer Bedeutung aus der Ausstattung des Hauses im Wochentakt im Internet der Öffentlichkeit vorstellt. Nicht umsonst spricht man auf der Homepage ja auch selbstbewusst davon, „eines der schönsten Opernhäuser der Welt“ zu repräsentieren.
Immerhin bietet das Gebäude soviel Kunst, dass normalerweise selbst nur dafür Führungen angeboten werden. Sowohl die äußere Ausstattung mit Skulpturen ist schon mehr als einen halben Tag Rundgang wert. Im Innern fallen als bekannte Aussstattungsmerkmale zwei Dinge ein, die viele Menschen kennen, obwohl sie sie selbst noch nie gesehen, aber davon gehört haben: Der schwere und eindrucksvolle Bühnenvorhang sowie die erste „Digitaluhr der Welt“. Schade, dass man in Dresden diese Chance, die die Zeit gerade bietet, nicht wahrgenommen hat, um das herausragende Gebäude, seine Architektur und Ausstattung der Welt näher zu bringen und so Lust auf einen Besuch zu machen. Trotzdem herzlichen Glückwunsch, altes Haus!
Bildquelle:
- Semperoper_Dresden: pixabay