8,3 Millionen US-Dollar für vier Quadratzentimeter Papier in magenta-rot

Die British Guyana 1 Cent in magenta-rot.

von MARC KNIFFKA

NEW YORK – Bei Sotheby’s in New York kreiste am vergangenen Dienstag der Hammer. Nicht etwa weil es zu umfangreichen Renovierungsmaßnamen kam, sondern da die wohl berühmteste Briefmarke der Welt versteigert wurde, und der Hammer des Auktionators bei sage und schreibe 8,3 Millionen US-Dollar das finale Gebot bestätigte.

Briefmarken? Diese kleinen gezackten Papierchen, die man anlecken muss, damit man sie auf einen Brief oder Postkarte kleben kann? In Zeiten von E-Mails und Smartphones ein eher seltenes Utensil, um Nachrichten von A nach B zu befördern. Waren es nicht unsere Großväter und vielleicht noch unsere Väter, die Briefmarken sammelten und Stunden, ja ganze Wochenenden hinter ihrem Schreibtisch mit Lupe und Pinzette verbrachten, um ihre kleinen bunten Schätze zu sortieren? Gibt es sie wirklich noch – die Sammler und Jäger nach den bunten Papierchen?

Es gibt sie, auch wenn sich ihren Reihen in den vergangenen zwei Jahrzehnten kräftig gelichtet haben. Noch um das Jahr 2000 sprach man alleine in Deutschland von bis zu 2,5 Millionen Sammlern, die auf Auktionen, bei Händlern, am Postschalter oder einfach nur im Abonnement Briefmarken kauften und sammelten. Noch in den 1970er bis 90er Jahren füllten Briefmarkenmessen mehrere Hallen, und so mancher Veranstalter zählte hunderttausende Besucher, während es in den folgenden Jahrzehnten steil bergab ging. Verändert hat dies alles eine andere Freizeitgestaltung und die leeren Versprechungen von der „Aktie des kleinen Mannes“.

Sammeln war plötzlich out und die Versprechungen oder Hoffnungen der Wertanlage zerschlugen sich letztendlich auch an Angebot und Nachfrage. Geblieben sind diejenigen, die schon immer sammelten und einfach Freude an ihrem Hobby haben.

Anders hingegen verlief die Begeisterung für Briefmarken in anderen Ländern. Besonders der asiatische, vorderasiatische und lateinamerikanische Markt interessiert sich seit einigen Jahren für Briefmarken. Die gelten in vielen dieser Länder als Kulturgut, und die Globalisierung der Märkte seit den 90er Jahren im Zusammenspiel mit der Schaffung einer neuen Mittelschicht hat weltweit Millionen neuer Sammler hervorgebracht.

Besonders in China boomt der Markt – Briefmarken, die man noch vor 50 Jahren für wenige Cent am Postschalter kaufen konnte, erzielen heute mehrere tausend Euro. Briefe, auf denen diese Marken kleben, bringen teils ein mehrfaches dieser Rekordpreise. Es herrscht Goldgräberstimmung, und in China wurde unlängst eine Messe in einem Stadion eröffnet, da der Andrang einfach zu groß war. Dieser Boom erklärt freilich auch den Preis von 8,3 Millionen Dollar für eine Briefmarke.

Multimillionäre, Museen und Stiftungen kaufen diese Raritäten und präsentieren sie stolz der Öffentlichkeit oder kaufen einfach nur um sie zu besitzen.

Kommen wir zurück auf die vier Quadratzentimeter, die am vergangenen Dienstag versteigert wurden. Es handelt sich dabei um British Guyana 1 Cent in magenta-rot, die 1856 in der Kolonie Britisch-Guyana als Notausgabe von einer Zeitungsdruckerei hergestellt sein sollen.

„Sein sollen“ deshalb, weil bis heute nur ein einziges Exemplar davon bekannt geworden ist und sich um seine Provenienz Geschichten und Mythen ranken.

Angeblich wurde die Marke 1873 von einem zwölfjährigen Schuljungen in Guyana gefunden, der sie an einen ortsansässigen Briefmarkenhändler verkauft habe. Über einen weiteren Händler wurde die Marke wenige Jahre später an den damaligen „Briefmarkenkönig“ Philipp von Ferrary für stolze 750 Dollar verkauft, was zur damaligen Zeit ein kleines Vermögen darstellte. Ferrary war besessen von Briefmarken und kaufte nahezu alles, was ihm angeboten wurde. Pfiffige und windige Zeitgenossen nutzen diese Leidenschaft aus und verkauften gerne Stücke, die aus dem Reich der Phantasie und des Betruges stammten. Bis heute verweigert der britische Philatelistenverband ein Echtheitssiegel für die Marke und das wohl nicht ohne Grund. Die Mythen und Geschichten um diese Marke blieben jedenfalls über die Zeit erhalten und führten schließlich zu dem Millionenbetrag vom vergangenen Dienstag.

Eine dieser Geschichten hat auch etwas mit unserem Land zu tun. Philipp von Ferrary, obgleich Franzose, hatte Zeit seines Lebens eine besondere Liebe zu Deutschland entwickelt. Testamentarisch vermachte er nach seinem Tod 1917 seine Briefmarkensammlung dem Reichspostmuseum in Berlin, wozu auch besagte 1 Cent British-Guyana gehörte. Im Zuge der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg wurde die Sammlung als „Feindesgut“ von den Alliierten beschlagnahmt und auf mehreren Auktionen zwangsversteigert. Der Erlös der Auktionen wurde dem Reparationskonto Deutschlands gutgeschrieben, womit die Schäden des schrecklichen Krieges beglichen werden sollten.

So landete die magenta-rote Briefmarke nicht hinter Panzerglas im Berliner Museum, sondern trat ihren Siegeszug durch die Welt der Philatelie an. Im Laufe der Jahrzehnte schmückte die Marke so manche Sammlung verschiedener Multimillionäre, die bei jedem Verkauf stets einige Millionen teurer wurde, bis sie schließlich am vergangenen Dienstag erneut einen Liebhaber mit dem passenden Portemonnaie fand.

Bildquelle:

  • Briefmarke: privat

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