WIEN – Thomas Schmid, der frühere Vertraute der Mannschaft um den ehemaligen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz soll ein umfassendes Geständnis abgelegt haben. Das könnte weiteres Sprengpotential für den früheren Hoffnungsträger haben – der aber seinerseits nun mit einer „Bombe für den Ermittlungsstand“ antwortete. Was ist da los bei Österreichs früherem Vorzeigekonservativen?
Jahrelang war Sebastian Kurz für Europas Konservative eine Hoffnungsfigur. Sein Auftreten klar, seine Aura erfolgsversprechend, seine Botschaften mit mehr Energie und einer erkennbaren Grundlinie – gerade im deutschsprachigen Raum eine willkommene Abwechslung zur lähmenden Lethargie und inhaltlichen Beliebigkeit der Merkeljahre. Politik konnte wieder Energie geben anstatt sie aufzusaugen. Plötzlich waren auch wieder Wahlerfolge für Österreichs Konservative da. Bis Kurz strauchelte, sich wiederaufrichtete, um 2021 wieder zu straucheln.
Nun sieht es nach einer weiteren Zäsur aus
Thomas Schmid hat sich der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) als Kronzeuge angeboten und ausgesagt. Als dies ruchbar wurde, vermuteten viele eine politische Eruption: Schmid war viele Jahre Kabinettschef sowie später Generalsekretär des Finanzministeriums, bevor er Vorstand der Beteiligungsholding des Bundes ÖBAG wurde – was er nicht lange blieb. Er gilt, jedenfalls in linken Kreisen, als Dreh- und Angelpunkt der von dieser Seite vermuteten (und bis heute von keinem Gericht bestätigten) Korruptionsaffären rund um die Mannschaft von Kurz. Schmid dürfte nun spekulieren, sich als Kronzeuge freizuspielen – die österreichische Regelung erlaubt es der Staatsanwaltschaft, bei entsprechender Kooperation von einer Anklage abzusehen und somit kein Strafverfahren einzuleiten.
Ob das aufgeht, ist allerdings durchaus fraglich. Ganze 15 Tage hat Schmid in Graz mit Beamten der WKStA verbracht. Soweit bisher bekannt, ist der Erkenntnisgewinn nicht allzu groß, Schmid dürfte eher die bisher vermuteten Narrative und schlussgefolgerten Handlungsstränge nacherzählt haben, die medial längst bekannt waren. Dabei geht es um heikle Fragen: Postenschacher gegen Gefälligkeiten, mit Steuergeld finanzierte Umfragefälschungen zu Gunsten der ÖVP und andere Dinge. Klar ist: Wenn Schmid belastendes Material hat, substantiell zur Aufklärung beitragen will und das auch tut, dann haben alle, die Dreck am Stecken haben, sehr viel zu befürchten.
Nur ist genau das die entscheidende Frage: Wer hat Dreck am Stecken? Für die Linke der Alpenrepublik lautet die Antwort: Zuallererst Kurz, danach kommen seine Vertrauten (Ex-Finanzminister Blümel, Ex-Landwirtschaftsministerin Köstinger, Nationalratspräsident Sobotka und weitere sowie deren Mitarbeiterstäbe). Fragt sich nur, was dran ist.
Genau da liegt der Hase im Pfeffer
Bis jetzt war es bei keinem einzigen Vorwurf möglich, eine belastbare Brücke zu Kurz herzustellen. Kein (gerichtlicher) Schuldspruch, keine Anklage einer Staatsanwaltschaft. In jedem einzelnen Bereich sind die Kurz-Jäger meilenweit davon entfernt, genügend Indizien, geschweige denn Beweise zusammengetragen zu haben, um den ehemaligen konservativen Shootingstar dingfest zu machen. Ein umfassendes Schmid-Geständnis könnte das ändern.
Aus kommunikativer Sicht folgte die Kurz’sche Antwort überraschend schnell. Via facebook ließ er wissen, dass sein Anwalt Werner Suppan einen Mitschnitt eines Telefonats zwischen Kurz und Schmid an die WKStA übermittelt habe, die, so Kurz, Schmids Vorwürfe zum Einbrechen bringen sollten. Suppan sprach gegenüber Medien von einer „Bombe für den Ermittlungsstand“. Und Kurz meint, der Mitschnitt lasse „tief in den Charakter eines Menschen blicken, der gegen andere falsche Vorwürfe erfindet, in der Hoffnung, selbst straffrei als Kronzeuge davonzukommen“.
Kurz sieht Schmid also als Verräter und war auf ein solches Verhalten sichtlich vorbereitet. Im mittlerweile medial zirkulierten Transkript des Telefonats ging es auch tatsächlich um die in den vergangenen Monaten diskutierten Vorwürfe– und der Wortlaut ist jeweils geeignet, den früheren Kanzler zumindest moralisch zu entlasten. Wie schnell Kurz in dieser Sache reagiert hat, könnte ein Hinweis darauf sein, dass er sich seiner Sache sehr sicher ist – und dass er mit einer solchen Aktion durch Thomas Schmid schon vor über einem Jahr gerechnet hat, weshalb er das Telefonat wohl aufzeichnete, in dessen Verlauf Schmid unter anderem indirekt bestätigte, dass Kurz ihm nie entsprechende Aufträge für die diversen vorgeworfenen Vorgänge erteilt habe.
Der Ex-Kanzler schießt nun also zurück und will seinerseits Schmid verklagen. Das mag ihn juristisch retten und in den Augen seiner Anhänger reinwaschen, politisch ist ein Comeback allerdings nun sicherlich noch schwieriger als zuvor. In der ÖVP genießt er nach wie vor hohes Ansehen, bei deren Gegnern ist er verhasster als fast jeder andere ÖVP-Chef seit Wolfgang Schüssel. Das Muster ist zwar erkennbar (wer die SPÖ aus dem Kanzleramt drängt, hat mit schlimmen persönlichen Konsequenzen zu rechnen), doch der Schaden ist angerichtet.
Die Bundeskoalition dürfte noch eine Weile halten. Vor allem, weil eine Aufkündigung für beide nur Nachteile hätte. Außerdem betreffen die Vorwürfe keine amtierenden Minister mehr. Wie es mit Sebastian Kurz weitergeht, ist unklar. Mittlerweile ist er als Investor und Berater diverser Technologieunternehmen aktiv und Vater geworden. Andererseits erschien dieser Tage ein Gesprächsband mit der Journalistin Conny Bischofberger („Reden wir über Politik“), was durchaus als Beitrag zur Reinwaschung verstanden wurde. Klar ist: Die Verfahren werden Kurz auf Jahre hinaus beschäftigen. Ob er sich danach eine mögliche Rückkehr noch selbst antun will, scheint mehr als fraglich.
Bildquelle:
- Kurz: dpa