von FABIENE MAURICE
WARSCHAU – Angela Merkel hat mal wieder gesprochen. Und wie so oft seit ihrem politischen Abschied fragt man sich: War das jetzt Ahnungslosigkeit? Eitelkeit? Oder der verzweifelte Versuch, das eigene außenpolitische Scheitern irgendwie umzudeuten?
In einem Interview mit einem ungarischen Medium hat die Altkanzlerin ernsthaft Polen und die baltischen Staaten mitverantwortlich gemacht für den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt.
Man muss das zweimal lesen, um zu glauben, dass es nicht aus dem Kreml stammt.
Polen ist schuld. Nicht Putin. Nicht das imperiale Großmachtsdenken in Moskau. Sondern Warschau.
Frau Merkel sagt, sie hätte 2021 ein neues EU-Format zum Dialog mit Putin schaffen wollen. Aber Polen und die baltischen Staaten hätten das blockiert – aus Misstrauen gegenüber der EU-Mehrheitsmeinung. Und weil sie damals ihren Abgang vorbereitet habe, sei dann leider der Krieg ausgebrochen.
Mit anderen Worten: Hätten die Polen auf Merkel gehört, hätte Putin nicht angegriffen. Was für eine groteske Verdrehung der Tatsachen.
Putin hat die Ukraine nicht überfallen, weil Polen zu skeptisch war. Sondern weil der Westen – allen voran Deutschland – über Jahre weggeschaut, beschwichtigt und vor allem Gasgeschäfte gemacht hat. Nord Stream, die Pipeline der deutschen Selbstgefälligkeit, war auch Merkels Projekt.
Polen dagegen hat gewarnt. Schon vor Jahren. Noch bevor die russischen Panzer die Krim überrollten.
Die Wahrheit ist: Ohne Länder wie Polen hätte Europa noch länger geschlafen
Merkel wollte ein „Format“. Gesprächsrunden, Gipfel, warme Worte, strategische Geduld. Währenddessen bereitete Putin längst die größte Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg vor.
Was Merkel in diesem Interview betreibt, ist deshalb nicht Analyse. Es ist Ablenkung. Weg von der eigenen Rolle als politische Architektin einer fatalen Russland-Politik.
Denn vergessen wir nicht:
Sie hat Russland mit Nord Stream 2 den roten Teppich ausgerollt. Sie hat Georgien und die Ukraine auf ihrem EU- und NATO-Kurs hingehalten. Sie hat nie wirklich verstanden, dass Russland nicht Partner sein will – sondern Vormacht.
Und jetzt, drei Jahre nach Kriegsbeginn, stellt sie sich hin und sagt: Die Skepsis der Polen sei schuld. Eine Nation, die seit Jahrhunderten unter russischer, sowjetischer und preußischer Fremdherrschaft gelitten hat. Eine Nation, die besser als jeder deutsche Kanzler versteht, was „russischer Frieden“ bedeutet.
Merkel müsste es besser wissen
Immerhin hat sie selbst polnische Wurzeln. Aber vielleicht ist genau das das Problem. Wer sich selbst so sehr als „europäische Überkanzlerin“ stilisiert hat, der kann nicht zugeben, dass es ausgerechnet die osteuropäischen Demokratien waren, die Recht hatten – und nicht die Strategen in Berlin und Brüssel.
Der Gedanke, dass ein Donald Tusk heute mit Emmanuel Macron auf Augenhöhe über Europas Zukunft spricht, scheint für Merkel schwer zu ertragen sein. Lieber wirft sie Polen vor, Putin nicht genug beschwichtigt zu haben.
Nicht Polen war das Problem! Polen war der Realist. Und wenn Europa heute eine Chance hat, diesem Krieg standzuhalten, dann nicht dank Merkel, sondern weil Männer wie Außenminister Radosław Sikorski und Tusk unbeirrt Klartext reden, wo andere noch rumeiern.
Bildquelle:
- Angela_Merkel_22: pixabay / hafteh7