Der Fall Sergej Udalzow entlarvt gnadenlos die Heuchelei der deutschen Linken

Sergej Udalzow im Sommer bei einer Kundgebung

MOSKAU – Der erste Weihnachtstag war draußen ungemütlich, als ein Moskauer Gericht ein Urteil fällte, das eigentlich einen Aufschrei der internationalen Linken provozieren müsste. Sechs Jahre Haft für Sergej Udalzow, den charismatischen Anführer der russischen „Linksfront“. Vorwurf gegen ihn: „Rechtfertigung von Terrorismus“.

Das wäre normalerweise der ideale Moment, in dem linke Abgeordnete im Deutschen Bundestag Solidaritätsadressen für den Gnossen Udalzow verfassen und das „System Putin“ als autoritären Polizeistaat brandmarken würden. Doch es bleibt mrkwürdig still. In Berlin-Mitte, im Karl-Liebknecht-Haus und in den Büros des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) herrscht eine vielsagende Funkstille.

Udalzow hat sein Leben dem Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und das Kapital gewidmet hat, bei seinen ideologischen Geschwistern im Westen aber löst er Unbehagen aus. Denn der Mann, der jetzt für Jahre in einem russischen Straflager einsitzn wird, ist so ganz anders als deutsche Salon-Linke wie die Damen Wagenknecht und Reichinnek.

Sergej Udalzow ist keine Figur, die in das Raster eines westlichen, liberalen Oppositionellen passt. Er ist kein Alexei Nawalny, der von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit träumte. Udalzow ist ein politisches Fossil der radikalsten Sorte: Ein bekennender Bewunderer Stalins, der die rote Fahne nicht als nostalgisches Souvenir, sondern als Kampfansage trägt. Sein Ziel ist nichts Geringeres als die Wiedererrichtung der Sowjetunion, was ihn ja erstmal zu einem Kampfgenossen von Wladimir Putin machen würde.

Doch das Paradoxon beginnt schon bei seiner Haltung zum Ukraine-Krieg

Während er Putin im Inneren als „Marionette der Oligarchen“ bekämpft, unterstützt er die russische Invasion mit flammendem Patriotismus. Für Udalzow ist der Krieg gegen das Bruderland eine „Befreiung russischer Erde“. Damit steht er auf einer Stufe mit jenen Hardlinern im Kreml, die er gleichzeitig als korrupt verachtet. Diese Position macht ihn zu einem „patriotischen Oppositionellen“ – ein Begriff, der im Westen kaum begreifbar ist.

Dass der Kreml ihn nun im Dezember 2025 für sechs Jahre wegsperrt, offenbart die tiefe Nervosität des Regimes.

Putin duldet keinen Wettbewerb um den Patriotismus. Udalzow ist gefährlich, weil er eine Sprache spricht, die in der russischen Arbeiterschicht verfängt: Er verbindet den Stolz auf die imperiale Größe Russlands mit der berechtigten Wut über die existierende soziale Misere im Land jenseits der Glitzerfassaden von Moskau und St. Petersburg. Für den Kreml ist Udalzow ein unberechenbarer Faktor, der die Unterstützung für den Krieg von links untergraben könnte, indem er fragt: Warum sterben unsere Söhne an der Front, während die Elite in Moskau im Luxus schwelgt?

Das Urteil wegen „Terror-Rechtfertigung“ ist dabei – wie so oft in Putins Reich – ein reines Konstrukt der Justiz. In der Realität geht es darum, eine Stimme zum Schweigen zu bringen, die das Monopol des Präsidenten auf die Deutungshoheit von „Heimatliebe“ infrage stellt.

Und genau an dieser Stelle beginnt die Doppelbödigkeit auf deutscher Seite

Politikerinnen wie Sahra Wagenknecht oder die Führungsspitze der Linkspartei befinden sich in einer Sackgasse. Einerseits ist die Kritik am „westlichen Imperialismus“ und an Waffenlieferungen ihr Markenkern. Eine Solidarisierung mit Udalzow würde sie jedoch in eine unmögliche Lage bringen.

Würden sie Udalzow unterstützen, müssten sie einen Mann verteidigen, der denselben Krieg befürwortet, den sie doch offiziell eigentlich beenden wollen.

Und, fast noch schlimmer: In einer Zeit, in der die deutsche Linke händringend versucht, bürgerliche Wählergruppen (beim BSW) oder junge Progressive (bei der Linken) zu gewinnen, ist eine Nähe zu einem Stalin-Verehrer politischer Selbstmord.

Der Fall Udalzow entlarvt die Grenzen der deutschen und internationalen linken Solidarität

Sie endet dort, wo die ideologischen Widersprüche zu groß werden, um sie in einer Talkshow-Minute zu erklären. Udalzow ist zu militaristisch für die deutschen Friedensfreunde und zu stalinistisch für die demokratischen Sozialisten.

Aus westlicher Sicht bleibt Udalzow eine tragische Gestalt: Er ist ein Opfer jenes autoritären Systems, das er durch seine Unterstützung der Außenpolitik selbst mit stabilisiert hat. Er wird nun im Hungerstreik in einer Strafkolonie verschwinden, während man in Berlin lieber gemütlich auf dem Sofa beim Glühwein sitzt und über zu hohe Mieten palavert.

Bildquelle:

  • Sergej_Udalzow_RUS: screenshot X

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