Ein Beitrag zur Debatte: Was die CDU jetzt anpacken muss

ARCHIV - Das Konrad-Adenauer-Haus, Bundeszentrale der CDU, in Berlin. Foto: Michael Kappeler/dpa

Gastbeitrag von PHILIPP LENGSFELD
Bundestagsabgeordneter von 2013 bis 2017

BERLIN – Die CDU ist nach der krachenden Wahlniederlage zum Abschluss der Ära Merkel und auf dem Weg in die Opposition mal wieder mit dem beschäftigt, womit sich der momentane Kern der Partei seit Jahrzehnten mit immer gleicher Leidenschaft beschäftigt: Personalpläne – wer steht vorne? Wer unterstützt wen? Wer kommt durch welche Personalrochade auf die Überholspur, wer setzt aufs falsche Pferd?

Ich möchte trotz der zweifelsohne nicht unwichtigen Frage, wer die CDU anführt aber trotzdem ein anderes aus meiner Sicht mittelfristig sehr viel wichtigeres Thema aufrufen: Die Inhalte!

Inhalte? Da klingt mir der Spruch eines mir gut bekannten altgedienten Funktionärs in den Ohren, einige Jahre jünger als ich, aber die gleiche Zeit oder sogar länger in der Partei, der mir vor einigen Jahren mal aus tiefster Überzeugung (oder doch als grobschlächtiger Scherz?) vor versammelter Mannschaft sagte: „Philipp, Inhalte haben in der CDU, wie ich sie kenne, noch nie eine Rolle gespielt.“

Das kann ich so nicht ganz bestätigen, aber mein Eindruck ist, dass Inhalte in der Partei eine viel zu kleine Rolle spielen und wenn dann zu oft mit dieser nostalgisch-verklärten Sicht auf Schlachten, die längst verloren sind: Wie zum Beispiel: „Wir hätten niemals die Wehrpflicht aufgeben dürfen“.

Die fehlende Schulung im offenen, respektvoll-konservativen Umgang mit Inhalten, vor allem mit widerstreitenden Einschätzungen und Positionen, insbesondere bei eher liberalen Konzepten, scheint mir ein riesiges Manko der momentanen CDU zu sein.

Mann und Frau haben es einfach über die Jahre vollkommen verlernt, eine inhaltliche Debatte zu gewinnen. Stattdessen versuchte man zunehmend verzweifelt, die Fronten zu halten, nur um letztlich einen nur noch stärkeren Dammbruch zu bewirken – die hilflose Verteidigung der völlig aus der Zeit gefallenen Raserfreiheit auf deutschen Autobahnen ist dafür ein klassisches Beispiel. Selbst wenn dieses Stück momentan von der FDP aufgeführt wird.

Natürlich hat die Ära der Kanzlerin Merkel diese Situation massiv verschärft: Fangen wir mit der Industrie- und Energiepolitik an, die ja eng verwoben ist mit dem momentanen Modethema „Klimaschutz“. Die CDU hat es vollkommen verpasst, diese in Deutschland völlig aus dem Ruder gelaufene Diskussion irgendwie zu versachlichen. Auch weil man durch die kopflose Fukushima-Wende einen kollektiven Rausch angefacht hat, der sich bis tief in deutsche Wirtschaftsunternehmen verbreitet hat, bei dem wir aber kurz vor einem sehr heftigen und vermutlich langanhaltenden Kater stehen. Der in Bekenntnisse gegossene Kombiausstieg aus Atom und Kohle, später sollen ja theoretisch noch Gas und andere fossile Energieträger folgen, ist schlichtweg nicht mit einer robusten industriellen Struktur in Deutschland vereinbar.

Der Ausstieg aus Atom und Kohle ist mit dem Industriestandort Deutschland nicht vereinbar

Die brisante soziale Schieflage deutet sich ja zusätzlich längst an. So ist Deutschland kein Vorbild für die Welt oder erst recht kein Innovationstreiber. Wir haben uns zu lange auf unsere eigenen Floskeln verlassen. Durch den Verzicht auf offene, harte Diskussionen und Analysen hat es die CDU zugelassen, dass sich auf einem Kernfeld christdemokratischer Kompetenz ein rot-grüner Ungeist festgesetzt hat, gerne gedeckt durch Kommissionen, die einen vermeintlichen breiten gesellschaftlichen Konsens abbilden.

EEG ist Energieplanwirtschaft ohne Plan

Die bittere Realität ist eher die: Das Herzstück dieser Politik, das rot-grüne EEG, diese Energieplanwirtschaft ohne Plan, hat sich unter CDU-Führung zu einer veritablen Geldvernichtungsmaschine entwickelt, deren Hauptergebnis ein zunehmend sozial spalterischer exzessiver Ausbau von Wind, Solar und Biogas in diesem Land ist. Hier muss schnellstens ein Umdenken einsetzen: Deutschland braucht verlässlichen, bezahlbaren Strom (und Energie) dessen Produktion halbwegs umweltverträglich und in den betroffenen Bevölkerungsschichten akzeptiert ist – eine dringend notwendige Neubewertung der Atomkraft kann dabei nur der erste Schritt sein. Auch die Fahrpläne für Kohleausstieg und die Abschaffungsphantasien bezüglich der anderen fossilen Energieträger müssen umgehend auf den Prüfstand.

Aber auch auf anderen Feldern hat die CDU verlernt, inhaltliche Debatten zu gewinnen: Dabei ist klar, dass in einer alternden Gesellschaft, deren Gesundheitssystem aber zum Glück immer imposantere Leistungen vollbringen kann, eine Debatte über längere Lebensarbeitszeiten unausweichlich ist. Natürlich gekoppelt mit funktionierenden Konzepten für Zweit- oder Drittkarrieren im 5ten und 6ten Lebensjahrzehnt. Und die langfristige Finanzierung und Sicherung der Innovationsfreundlichkeit im Gesundheitswesen und der Pflege ist eine große gesellschaftliche Herausforderung, die man nicht mit schönen Bildern löst, eine wirklich funktionierende langfristig angelegte Datenerhebungs- und Nutzungsstrategie ist da nur eine der vielen ungelösten Probleme.

Eine Rückkehr zur Wehrpflicht braucht die Bundeswehr nicht

Zum Symbol der inhaltlichen Orientierungslosigkeit des bürgerlichen Lagers ist unsere Armee geworden: Dabei ist klar, dass eine moderne, einsatzfähige Armee Geld und ein Höchstmaß an Professionalität in Aufbau und Führung braucht. Ein top funktionierendes System für Beschaffung und Ausrüstung ist da natürlich nur ein Teil. Die alte, von vielen langjährigen CDU-Mitstreitern verklärte Wehrplicht braucht die Bundeswehr in dieser Form dagegen nicht.

Über eine genderneutrale Dienstpflicht, also z.B. 12 oder 15 Monate Dienst für Deutschland für alle jungen deutschen Staatsbürger, Männer und Frauen, kann man dagegen gerne reden. Dies könnte vielleicht zu einer Wiedererstarkung eines auseinanderdriftenden Gemeinwesens führen. Und die Armee wäre da als ein großer Spieler sicherlich für viele junge Leute ein sehr attraktives Angebot. Aber so ein Thema muss man auch öffentlich-medial konsequent und mutig setzen und dann politisch durchsetzen.

Aber vorher müsste die CDU sich auch einem anderen Thema stellen, wo wir letztlich fast blank waren: Der Frage der Staatsbürgerschaft und der Einwanderung.

Während Jahrzehnte nach zum Beispiel den ersten großen Gastarbeiter-Anwerbungswellen die Verweigerung der doppelten Staatsbürgerschaft für die meist jetzt in Rente befindliche erste Generation kaltherzig und kleingeistig wirkt (hier ist z.B. der türkische Pass nicht nur Nostalgie, sondern oft mit handfesten Werten, Stichwort Eigentum, Stichwort Erbschaft verbunden), ist das von linker Seite durchgesetzte freizügige Doppelpass-System für die Kindergeneration mit der Aufhebung der inhaltlich richtigen Optionspflicht schon von Beginn an noch dysfunktionaler als unser Wahlsystem.

Deutschland kann doch nicht ernsthaft vertreten, dass die Pässe der Elterngeneration sich über die Kinder vervielfältigen. Es bedarf keiner sonderlichen Phantasie um zu sehen, dass nach jetzigem deutschem Recht bald Kinder mit drei, perspektivisch vier oder mehr Staatsbürgerschaften geboren werden. Das kann nicht sein und das funktioniert auch nicht. Genau wie es keine unlimitierte, unkontrollierte, ungesteuerte Asyleinwanderung nach Deutschland geben kann.

Demokratie lebt von Freiheit und Leistung

Womit wir bei der deutschen Außen- und Europapolitik wären, wo wir uns schnellstens davon verabschieden sollten, dass dies schon irgendwie von selber läuft. Die Fliehkräfte innerhalb Europas nehmen massiv zu – wir halten ein demokratisches Europa der Vaterländer (und nur das hat eine Zukunft) aber nicht mit green deal-Illusionismus in Kombination mit übergriffigem Frankogermanentum gegen unsere ost- und südeuropäischen Nachbarn und Freunde zusammen.

Demokratie lebt von Freiheit und Leistung, durch Innovation und Schaffensfreude entsteht der Wohlstand, um den uns noch jede Autokratie beneidet. Dafür müssen wir diese Säulen aus Freiheit und Leistung aber auch energisch verteidigen und zwar nicht nur in Deutschland und Europa: Nicht jeder grüne Ansatz in der Außen- und Entwicklungspolitik ist deshalb falsch – ein respektvolles Verhältnis zu Russland und China steht nicht im Widerspruch dazu, dass Deutschland und Europa für unsere Werte von Freiheit, Leistung und Würde jedes Einzelnen einstehen. Auch und gerade, wenn es um religiös unterdrückte Minderheiten geht. Auch und gerade, wenn diese Minderheiten muslimischen Glaubens sind. Toleranz und Religionsfreiheit ist auch eine zentrale Säule einer demokratischen Grundhaltung, gerade in einer Partei, die den christlichen Kulturhintergrund im Namen trägt.

Die Liste der zentralen Themen und Inhalte ließe sich noch beliebig fortsetzen, aber ich will es dabei zunächst belassen: Ja, das Führungspersonal ist wichtig, viel wichtiger ist aber aus meiner Sicht, dass die CDU die Inhalte einer robusten liberal-konservativen, christdemokratischen Politiklinie ausformuliert und dann auch gegenüber insbesondere den Grünen und der SPD auf der einen und der AfD und anderer Populisten auf der anderen Seite verteidigt oder durchsetzt.

Bildquelle:

  • Parteizentrale der CDU: dpa

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