Logistik – die russische Achillesferse: Warum die ukrainischen Streitkräfte solche Wirkung erzielen

Brand eines Öllagers in Belgorod. Die russischen Streitkräfte behaupten, es sei von ukrainischen Kampfhubschraubern angegriffen worden.

Gastbeitrag von RAINER STENZENBERGER

BERLIN/MOSKAU/KIEW – Geschichte wiederholt sich, manchmal sogar mit bitterer Ironie. Diese Erfahrung muss gerade die russische Armee bei ihrem Überfall auf die Ukraine machen. In einigen großen Kriegen wie gegen Napoleon oder Nazideutschland konnte Russland einen anfangs überlegenen Gegner nicht nur durch eigene Leistung, sondern auch maßgeblich durch die äußeren Umstände besiegen: Riesige Entfernungen, die es dem nach Russland vordringenden Kontrahenten schwer machten, für Nachschub zu sorgen. Vom Treibstoff über Munition bis zur Verpflegung für die Soldaten.

Nun ergeht es den Invasoren in der Ukraine ähnlich. Auch wenn die Ukraine nicht so gigantisch groß ist wie Russland, ist es doch das größte europäische Flächenland mit beträchtlichen Entfernungen für eine Armee. Dazu kommt die für die Ukraine günstige Jahreszeit. Nicht nur ist es häufig bewölkt, was Luftangriffe durch Russland erschwert, vor allem aber sind die Böden seit einigen Wochen aufgetaut und verwandeln viele Äcker in einen zähen Brei aus Schlamm.

Hier setzt die geschickt agierende ukrainische Armee an – sie attackieren immer wieder gezielt den Nachschub des Gegners, folgend drei Beispiele.

Mein Freund der Schlamm

Die schlammigen Böden verlangsamen Kettenfahrzeuge und stellen für reguläre Fahrzeuge ein unüberwindbares Hindernis dar. Daher bewegen sich die Russen in teils bis zu 70 Kilometer langen Kolonnen, militärisch ein riskantes Unternehmen. Die vielen Lastwagen für den Nachschub können nur auf Straßen fahren und sind ein bevorzugtes Ziel für die ukrainische Armee. Rund 80 Tankfahrzeuge der Russen wurden bislang zerstört und weitere mehr als 1600 Transportfahrzeuge, viele von ihnen beladen mit Munition und Verpflegung. Abgefangene Funksprüche zeugen von teils verzweifelten Panzerbesatzungen, denen beides ausging, Verpflegung und Granaten.

Zerstörung von Depots

Inzwischen gibt es Berichte von mehreren brennenden Öllagern in Russland. Die erfolgreiche nächtliche Attacke von zwei Kampfhubschraubern auf die Öldepots von Belgorod konnte man fast live auf Instagram beobachten. Belgorod gilt als wichtiger Knotenpunkt für die Versorgung der russischen Truppen mit Treibstoff. Der taktische, aber auch der psychologische Effekt des Angriffs in der Dunkelheit dürfte immens gewesen sein. Das erste Mal wurde der Krieg auch nach Russland getragen. Ein Schock für die Russen. Vor allem aber dürfte die Zerstörung der Tanklager deren Nachschub erheblich geschadet haben.

Sprengung von Brücken

Die ukrainische Armee sprengte bislang zahlreiche Brücken, um den russischen Vormarsch zu bremsen, meist auf eigenem, kontrollierten Gebiet. Manchmal ist der Effekt kurzfristig, wenn es dem Gegner gelingt, provisorische Pontons zu errichten, manchmal zwingt man die russischen Truppen zu langen Umwegen.

Vergangene Woche gelang ukrainischen Partisanen ein besonders wichtiger Schlag in eigentlich russisch dominiertem Gebiet. Vor zwei Tagen wurde nördlich der Krim in Yakymivka eine strategisch wichtige Eisenbahnbrücke gesprengt. Über die rollten täglich Lastwagen, die den an der Krim per Schiff anlandenden Nachschub zu den russischen Truppen in die Ukraine brachten.

Die erfolgreichen Attacken gegen die russische Logistik wirken weniger spektakulär als die Abschüsse russischer Panzer oder Flugzeuge – doch vielleicht sind sie am Ende das wirkungsvollste aller Mittel. Mehrmals profitierte Russland in Kriegen vom Wetter und Gelände, dieses Mal könnte es unter ähnlichen Umständen der große Verlierer sein.

Bildquelle:

  • Brand_Öllager_Belgorod: tagesspiegel

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