Als Putin mal seine Landsleute im Donbass „beschützte“: Wie war das wirklich mit den 14.000 Toten?

Zerstörte Gebäude nach dem russischen Angriff aus Slowjansk

von KLAUS KELLE

BERLIN – Es ist schon eine interessante Erfahrung, von Menschen, mit denen man jahrelang politisch an einem Strang gezogen hat, persönlich übelst beschimpft und beleidigt zu werden. Vor allem, wenn es die gleichen sind, die vorher nahezu alles toll fanden und überschwänglich lobten, wenn ich die unverantwortliche Massenmigration, die Merkel-CDU und GenderGaga in Artikeln und Reden deutlich kritisiert habe.
Seit Russland die Ukraine überfallen hat und bis heute Tag für Tag Zivilisten tötet und Städte mit Raketen und Drohnen angreift, hat sich das bei einem Teil meiner früheren Stammleserschaft verändert. Denn ich finde Massenmörder und Psychopathen wie Herrn Putin einfach nicht gut. Und wenn ich deshalb ein paar Leser verliere, dann ist das halt so. Journalistische Dienstleistungen und mediale Beratung kann man bei mir kaufen, meine Überzeugungen sind unverkäuflich.

Gestern pöbelte mich wieder einer an, arrogant, großes Maul, und forderte, ich solle mich aber endlich mal „mit der Vorgeschichte“ des Ukraine-Krieges beschäftigen. Das hab ich natürlich intensiv schon 2013/2014 getan, als das mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Putins „grüne Männchen“ begann. Ich hab das alles verfolgt, hab mir Wissen angelesen, und später lernte ich dann immer mehr Ukrainer kennen. Die mir ihre persönlichen Geschichten erzählten. Vor 2014 war ich niemals dort, kannte nicht einen einzigen Menschen aus der Ukraine.

Wie war das also mit der Vorgeschichte?

Ich erkläre es nochmal den Menschen, die einfach Fakten wissen wollen und sich nicht mit Pseudowissen und russischen Narrativen in ihrem Hass treiben lassen wollen.

Vorgestern habe ich wieder zwei auf Facebook hysterisch kreischende „Damen“ blockiert, die mir sagten, ich sei ja einfach nur blöde, dass ich nicht wüsste, dass die ukrainische Armee damals im Donbass 14.000 unschuldige russischstämmige Zivilisten umgebracht hätte, und Russland dann zur Hilfe geeilt sei. So wie 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei auch, möchte man sarkastisch anmerken…

Nachdem Russland die ukrainische Halbinsel Krim am Schwarzen Meer handstreichartig eingenommen hatte, ein albernes angebliches „Referendum“ abgehalten und militärisch aufgemöbelt hat, blieb die Reaktion des Westens lau. Ein paar Pressemitteilungen, ein paar protestierende Briefe, aber nichts, was Putins imperiales Gehabe ernsthaft störte. Völkerrechtlich gehört die Krim zur Ukraine, Russland verwaltet die Halbinsel jedoch seit 2014 de facto als Teil der Russischen Föderation, was die meisten anderen Länder nicht anerkennen.

Nachdem sich das Proteststürmchen schnell verzogen hatte, fühlte sich der Kreml zu Höherem berufen und setzte sein Zündeln fort.

Alles begann in der 56.000-Einwohner-Stadt Slowjansk in der Oblast Donezk im Osten der Ukraine.

Slowjansk war bis 2020 das administrative Zentrum des gleichnamigen Region und umschloss die Großstadt Kramatorsk (damals 140.000 Einwohner). Die war ein Hotspot der Maschinenbau- und Schmuckindustrie in Donezk.

Am 12. April 2014 begann dort der gewaltsame Aufstand, als eine Einheit schwer bewaffneter russischer Militanter, angeführt vom russischen Geheimdienstoffizier (GRU-Oberst) Igor Girkin (alias „Strelkow“), von der annektierten Krim aus in das ukrainische Festland einmarschierte und das Verwaltungsgebäude, die Polizeistation und das Gebäude des ukrainischen Sicherheitsdienstes (SBU) in Slowjansk besetzte. Der russischen GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije) ist Putins Militärgeheimdienst, der für militärische Aufklärung und verdeckte Operationen zuständig ist, und der auch hinter Sabotageaktionen gegen Deutschland steckt.

Oberst Girkin gab später in einem Interview selbst zu, dass seine Aktion den Krieg in der Ostukraine ausgelöst habe. Er sagte: „Ich bin derjenige, der den Abzug dieses Krieges betätigt hat. Wenn unsere Einheit nicht die Grenze überschritten hätte, wäre alles im Sande verlaufen, wie in Charkiw oder Odessa.“

Zwei Tag später (!) reagierte die ukrainische Regierung auf den von Moskau begonnen Aufstand mit der Ausrufung einer „Anti-Terror-Operation“ (ATO) und startete eine eigene militärische Operation, um Slowjansk zurückzuerobern. Es kam zu heftigen Kämpfen, darunter der Abschuss mehrerer ukrainischer Hubschrauber.

Während der 84-tägigen Besatzung der Stadt, eskalierte die Gewalt durch die russischen Paramilitärs. Sie nahmen Journalisten und internationale Militärbeobachter der OSZE als Geiseln, es kam zu Folterungen und willkürlichen Hinrichtungen.

Dabei wurde auch der Lokalpolitiker Wolodymyr Rybak, entführt, gefoltert und ermordet

Rybak gehörte dem Stadtrat in Horliwka an. Am 17. April 2014 versuchte er, während einer prorussischen Kundgebung in Horliwka, die Flagge der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“ vom Rathaus zu entfernen und stattdessen die ukrainische Nationalflagge zu hissen. Ein Video zeigte, wie er dabei von einer feindseligen Menge und maskierten Männern bedrängt, geschlagen und schließlich in ein Auto gezwungen und entführt wurde.
Zwei Tage später fand man seine stark verstümmelte Leiche in einem Fluss nahe der damals von Separatisten besetzten Stadt Slowjansk, zusammen mit den Körpern von zwei jungen Studenten und Maidan-Aktivisten, Juri Poprawka und Juri Djakowskyj. Die Obduktion ergab ebenfalls zahlreiche Messerstiche und Anzeichen schwerer Folter.

Am 5. Juli 2014 gelang es den ukrainischen Streitkräften dann, Slowjansk zurückzuerobern, nachdem sich die von Russland angeführten und ausgerüsteten Separatisten unter dem Druck der ukrainischen Offensive in die Gebietshauptstadt Donezk zurückziehen mussten.

Die Vereinten Nationen (UN) zählten 4.600 Todesfälle bei den Kämpfen. Diese Opferzahlen umfassten sowohl Zivilisten als auch Kämpfer auf beiden Seiten.

Die heute immer wieder genannten Opferzahlen von 13.000 bis 14.400 Toten bezieht sich nicht nur auf das Jahr 2014, sondern auf die Gesamtzahl der Opfer im gesamten Donbass-Konflikt im Zeitraum von April 2014 bis Ende Dezember 2021, also vor der umfassenden russischen Invasion im Februar 2022.

Die Zahl setzt sich nach Schätzungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) so zusammen:

3.400 getötete Zivilisten
4.400 getötete ukrainische Soldaten und Angehörige von Freiwilligenverbänden
6.500 getötete Mitglieder der prorussischen Separatisten

Die meisten dieser Todesfälle stammen aus den intensiven Kampfperioden der Jahre 2014 und 2015, bevor die beiden Minsk-Abkommen zu einer relativen Beruhigung der Frontlinien führten. Die Gesamtzahl von über 14.000 Opfern steht somit für die acht Jahre des „eingefrorenen“ Krieges im Donbass, bevor der Konflikt im Februar 2022 in den heutigen, viel größeren Krieg mit Hunderttausenden Opfern eskalierte.

So haben Sie hier einen straffen Überblick der tatsächlichen Vorgeschichte.

Allein die Behauptung, die ukrainische Zentralregierung habe einfach so, weil der Präsident schlecht gelaunt war, die eigene Bevölkerung in der Ostukraine beschossen und 14.000 russischstämmige Zivilisten umgebracht, so dass Putin gar nicht anders konnte, als einzugreifen, ist nicht naiv. Sie ist einfach nur doof. Oder bösartig. Erzählen Sie die Wahrheit bitte weiter!

Bildquelle:

  • Slowjansk_zerstört: Unicef Ukraine, CC BY 2.0

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.