Blind-Date mit Olaf: Die Fragwürdigen von der Rheinzeitung

Bundeskanzler Olaf Scholz: stellte sich den Fragen von "Bürgern" bei der Rheinzeitung.

von THILO SCHNEIDER

BERLIN – Es ist immer schön, wenn sich die uns Regierenden den kritischen Fragen kritischer Bürger stellen. Also, für die kritischen Bürger ist das schön. Nicht für die Befragten. Seit einiger Zeit haben dies auch die Öffentlich-Redlichen Medien begriffen und aus Angst, ihren prominenten Gast zu vergrätzen, werden die kritischen Bürger, nennen wir es freundlich, kritisch unter die Lupe genommen, ob sie auch wirklich so fragwürdig sind wie der/die/das zu Befragende.

Geradezu vorbildlich war die kritische Befragung unseres aller Bundeskanzlers in Bendorf, am ersten Mai beim „Bürgerdialog“: 165 „zuschauende und fragende Gäste“ waren im Studio, über 500 Bürger und -innen hatten sich bei der etwas drögen Rheinzeitung um eine Teilnahme beworben, aus denen diese dann quasi die Elite der Teilnehmer – pardon: Teilnehmenden – herausfilterte.

Bevor es aber in die Fragerunde geht, beteuert die Moderatorin des Abends, dass sie nicht wisse, welche Fragen kommen. Ein Fragen-Blind-Date sozusagen. Allerdings weiß sie möglicherweise, welche Fragenden gekommen sind. Aber das sagt sie nicht, vielleicht denkt sie es nur. Artig stellen sich die Frager dann dem Bundeskanzler vor, auch hier nicht ohne nicht zu erwähnen, dass sie im gleichen Team wie Olaf Scholz spielen. So dürfen dem Kanzler folgende handverlesene Bürgerinnen und Bürger Fragen stellen:

Klaus-Dietrich, Vorsitzender eines SPD-Ortsvereins
Jutta, Vorstandsmitglied in einem Grünen-Ortsverein
Paul, Beisitzer bei den JuSo
Tino, Gemeinderatskandidat der Grünen
Kim, Kreislautsprecherin der Grünen

Nun muss auch eine Kreiszeitung mit den Bürgenden arbeiten, die da sind. Und es ist nicht die Schuld der Rheinzeitung, wenn ein Teil der Fragwürdigen eben bei SPD und Grünen ist. Das ist vollkommen legitim. Es wäre dann nur schön, wenn der unbedarfte und uneingeladene und ungefragte Zuschauende (um im Duktus zu bleiben, damit hier keine Drag-Queen weinen muss) erführe, welchen politischen Background der den Kanzler gerade Befragende hat. Wenn die Rheinzeitung das schon nicht einblenden mag – aus Faulheit oder Unkenntnis – dann wäre es zumindest schön, wenn die Schranzen des Kanzlers dies preisgeben würden, bevor Klaus-Dietrich und Tino loslegen. Das hätte etwas mit Fairness und Transparenz zu tun.

Aber sei es drum. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass in den Medien „zufällig ausgewählte Passant:Innen“ befragt werden, die sich später nicht nur als Sympathisanten von SPD und Grünen, sondern als beinharte Parteimitglieder entpuppen. Natürlich finden die den verkehrstechnischen Mord an der Friedrichstrasse und die Möblierung mit Holzmöbeln, für die sich jeder schwedische Baumarkt schämen würde, ganz supertoll und megaklasse. Ich will jetzt nicht sagen, dass unsere demokratieschaffenden und mehrheitsbeschaffenden Medien verlogen und manipulativ sind, aber ich finde, dass sie verlogen und manipulativ sind.

Zu Zeiten meiner Mitgliedschaft bei der LKR lud mich ein ÖR-Sender aus einer Talkshow aus, weil ich ja „Parteimitglied“ wäre – der gleiche Sender hat aber kein Problem, in sogenannte „Expertenrunden“ Leute einzuladen, die nicht nur kleine Funktionen bei den Grünen haben. Neben verletzter Eitelkeit wundert mich das dann schon etwas… Nun liegt in den Medien natürlich stets die Versuchung nahe, mitzuregieren oder sogar eine eigene Agenda zu setzen – aber warum so plump? So durchsichtig, dass ein mittelbegabter Realschüler die „zufälligen Gäste“ innerhalb von 5 Minuten durchgoogeln kann? Das ist es, was am ärgerlichsten ist: Diese Dreistigkeit, dieses Beleidigen der Intelligenz der Zuschauer. Dass man sie schlicht für zu blöde hält, die Medien zu hinterfragen.

Von einem Privatsender, für den der Konsumierende (Grüße gehen ´raus an die „Community“) nichts bezahlen muss, erwarte ich so etwas nicht anders. Für regionale Medienmonopolisten oder zwangsfinanzierte öffentlich-rechtliche Medienportale sollte das aber ein NoGo sein. Grüne und SPD haben zusammen rund 500.000 zahlende Genossen und Geniessende. Bezogen auf alle Wahlberechtigten in Deutschland macht das eine Wahrscheinlichkeit von winzigen 0,83%, dass es sich bei dem dahergelaufenen Passanten um ein Mit- oder Ohneglied von SPD oder Grünen handelt. Ein Schelm, wer Zufälliges dabei denkt.

Was ich hier schildere und was wir sehen, ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. In einer einstmals renommierten Tageszeitung tauchte immer wieder das Bild eines Rentners unter der Rubrik „Stimmen von der Straße zum geschehen XY“ auf. Nur hieß dieser Rentner jedes verdammte Mal anders, war aber immer irgendwie für die behördlichen Maßnahmen. Ist das noch lässliche Volksverdummung oder bereits Propaganda? Oder beides?

(Weitere fragwürdige Artikel des Autors hier und unter www.politticker.de)

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Bildquelle:

  • Olaf Scholz: dpa

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