Bundestrainer Löw macht Müller und Hummels zu seinen EM-Chefs

Bundestrainer Joachim Löw hat seinen Kader für die EM bekanntgeben. Foto: Thomas Böcker/DFB-Pool/dpa

Arne Richter, Klaus Bergmann und Jens Mende,

FRANKFURT/M. – Keine forsche Titelansage, aber noch einmal ein Fußball-Sommer voller Energie und Leidenschaft: Im weißen Hemd und mit gefalteten Händen erläuterte Joachim Löw in mehr als 90 Minuten geduldig die Strategie für seinen letzten Titelangriff.

Der grinsende Thomas Müller schickte derweil schon einen Internet-Gruß aus dem Trainingscamp des FC Bayern in Grassau. Daumen hoch für die EM! Das war die Foto-Botschaft des glücklichen Münchner Leithammels, der gemeinsam mit seinem ebenfalls zurückgeholten Kumpel Mats Hummels der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der EM-Endrunde die auch von Löw zuletzt vermisste Sicherheit und Stabilität geben soll.

«Jetzt ist Turnier. Es steht über allem, ein erfolgreiches Turnier zu spielen. Beide haben eine sehr starke Saison gespielt. In puncto Führung können sie der Mannschaft einiges geben», begründete Bundestrainer Löw am Mittwoch in einem ziemlich außergewöhnlichen Webinar vor 6500 zugeschalteten Fans die von vielen schon seit langem geforderte Wiederaufnahme der Ex-Weltmeister ins DFB-Aufgebot.

«Die sportliche Herausforderung, nochmals gemeinsam mit den Jungs die deutschen Farben bei einem Turnier zu vertreten und die damit verbundene Chance, den EM-Titel zu holen, reizen mich sehr», sagte der 100-malige Nationalspieler Müller. Auch Hummels reagierte sofort auf das Comeback zwei Jahre nach der schmerzhaften Ausbootung durch Löw. «Ich bin sehr glücklich und stolz, wieder dabei zu sein», schrieb der Dortmunder Verteidiger, der wie Müller letztmals im November 2018 beim Abstieg aus der Nations League in Gelsenkirchen gegen die Niederlande (2:2) für Deutschland auflaufen durfte.

Die in der Länderspiel-Geschichte einmalige Rückholaktion im Doppelpack, die Löw souverän und ohne Gesichtsverlust erläuterte, überstrahlte die Präsentation des insgesamt 26 Spieler umfassenden Kaders für das Turnier vom 11. Juni bis 11. Juli mit den Krachern für die DFB-Elf gleich in der Gruppenphase. Am 15. Juni geht es gegen Weltmeister Frankreich los. Titelverteidiger Portugal (19. Juni) und die unbequemen Ungarn (23. Juni) folgen in der Münchner EM-Arena.

Wie bei seinen sechs großen Turnieren zuvor sorgte Löw wieder für personelle Überraschungen. Im EM-Kader heißen sie diesmal Kevin Volland (29), der für Deutschland letztmals im November 2016 stürmte, und Christian Günter. Der 28 Jahre alte Außenverteidiger vom SC Freiburg bestritt sein bislang einziges Länderspiel 2014.

Inklusive Müller (31) sowie Hummels (32) und deren Erfahrung von 170 Länderspielen war der von Löw forcierte Retro-Faktor somit nicht zu übersehen. Jungspund im Aufgebot ist Jamal Musiala (18), als einer von gleich acht Münchner Meister-Profis. Für Florian Wirtz (18) von Bayer Leverkusen hatte Löw dagegen keinen Platz frei.

Keine Berücksichtigung fanden auch Julian Brandt, Jonathan Tah, Amin Younes und durchaus überraschend Rio-Weltmeister Julian Draxler von Paris Saint-Germain. Dortmunds Kapitän Marco Reus hatte «nach einer komplizierten, kräftezehrenden Saison» in Rücksprache mit Löw seinen Verzicht auf eine EM-Teilnahme erklärt. «Ich weiß, wie weh man den Spielern tut und kann mir vorstellen, wie sie sich fühlen», sagte Löw und berichtete gerade bei Draxler von einem schwierigen Telefonat.

Mit Müller und Hummels hatte der Bundestrainer mehrfach in den vergangen Wochen das Comeback vorbereitet. Emotionale Spätfolgen der Dauerdebatten um die Auszeit der einst gedemütigten Rio-Champions fürchtet der 61-Jährige nicht. Beide seien «integrativ». Beide hätten «keine Berührungsängste». Klar machte Löw, dass er mit beiden als Leistungsträger plant, ohne einen Stammplatz zu versprechen.

«Ich erwarte von den Spielern das, was uns gefehlt hat», sagte Löw. Nämlich: Führung und Verantwortung zu übernehmen. Auch Müller sprach diesbezüglich von «offenen und angenehmen» Telefonaten. Mit Jérôme Boateng (32) als drittem Streichfall von 2019 sprach Löw nicht mehr.

Ein Titelversprechen gab es von Löw nicht. Das Finale zu erreichen, sei «für uns alle erstrebenswert», sagte der Weltmeister-Trainer von 2014. Favoriten seien andere, etwa die Franzosen. «Bei einem Turnier ist es wichtig, dass man jedes Spiel so konzentriert angeht, jedes Spiel ist ein K.o.-Spiel», sagte Löw.

Er dachte dabei wohl auch an die WM 2018 in Russland, als er in der Gruppenphase genau diese Maxime vernachlässigte und früh scheiterte. Wenn die Mannschaft in einen «guten Flow» komme, «dann ist alles möglich», sagte Löw bei der Präsentation, bei der vornehmlich Fans von Frankfurt (Oder) bis Rheinsberg die Fragen stellen durften.

Auch Kapitän Manuel Neuer wurde von Schulkindern und aus einem Altersheim verbal gelöchert. Dass bei der EM möglicherweise wieder einige 1000 Fans auch im Stadion sein dürfen, würde dem Team «einen Push geben», meinte Löws Nummer eins. Sechs Tage bleiben Neuer und seinen Kollegen zum Verschnaufen nach dem Bundesliga-Finale an diesem Wochenende. Am 28. Mai steht die zumindest für den großen Bayern-Block kurze Anreise nach Seefeld an. In den Tiroler Bergen will Löw in einem wegen der Corona-Modalitäten um drei Tage verkürzten Trainingslager die Grundlagen für den Titelangriff legen.

Erst kurz vor dem ersten Test gegen Dänemark am 2. Juni (21.00 Uhr/RTL) in Innsbruck werden die vier Champions-League-Finalisten zum Team stoßen. Der derzeit am Knie angeschlagene Ilkay Gündogan will mit Manchester City dem Chelsea-Trio Timo Werner, Kai Havertz und Antonio Rüdiger den Henkelpott am 29. Mai in Porto wegschnappen.

Wann Toni Kroos ins Trainingslager kommen kann, ist unklar. Wegen seiner Corona-Infektion verpasst der mit 101 Länderspielen knapp vor Müller (100) und Neuer (98) liegende Rekordspieler im Kader das Saisonfinale mit Real Madrid. Für Löw sendete der 31-Jährige immerhin beruhigende Signale. «Natürlich werde ich bereit sein», versprach Kroos in seinem Podcast. Löw antwortete in der Mammut-Videoschalte bei der Kader-Präsentation: «Mit Toni rechnen wir auf jeden Fall.»

Bildquelle:

  • Joachim Löw: dpa

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