PROF. DR. PATRICK PETERS
BERLIN – Dass der deutsche Umgang mit der Covid-19-Pandemie spätestens seit Beginn der zweiten Welle ein Management- und Kommunikationsdesaster sondergleichen ist, lässt sich seit Wochen und Monaten Tag für Tag beobachten. Aber ist sie auch eine ordnungs- und wirtschaftspolitische Unverschämtheit, die in der neueren Geschichte wohl beispiellos ist. Das beste Beispiel dafür liefert das Gastgewerbe. Restaurants, Hotels und Tagungs- und Unterhaltungsbetriebe leiden seit nun einem Jahr unter den zum Teil wirklich weltfremden Regelungen, die alles bewirken, aber ganz offensichtlich keine Verbesserung der pandemischen Lage. Im Gegenteil: Das gesamte Gastgewerbe erlebt derzeit einen historisch hoffentlich einmaligen Schock, der die Branche an sich an den Rande des Abgrunds bringt.
Dazu ein paar Zahlen gefällig? Die aktuellen Corona-Beschlüsse stoßen beim Gastgewerbe auf massive Kritik. 63 Prozent der Betriebe bezeichnen die Entscheidungen der letzten Bund-Länder-Konferenz als „katastrophal“, 24,9 Prozent als „schlecht“. Das geht aus einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA Bundesverband) hervor, die der Verband am Dienstag veröffentlichte. „Bei den Unternehmern und Mitarbeitern in der Branche machen sich zunehmend Verzweiflung, Perspektivlosigkeit und Zukunftsängste breit“, sagt DEHOGA-Präsident Guido Zöllick. „Ende März befinden sich die Betriebe seit Beginn der Pandemie sieben Monate im Lockdown.“ Und weiter: Die Teilnehmer der DEHOGA-Umfrage melden für den Februar Umsatzeinbußen in Höhe von 77,9 Prozent. Seit 1. März 2020 brach der Umsatz bis heute um insgesamt 63 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein. Infolge der massiven Verluste, der fehlenden Perspektiven und der nicht ausreichenden staatlichen Hilfen bangen 72,2 Prozent der Unternehmer um ihre Existenz. Jedes vierte Unternehmen (24,8 Prozent) zieht konkret eine Betriebsaufgabe in Erwägung.
Das ist echter Tiefschlag für das bundesdeutsche Gastgewerbe, das weit über die Grenzen der Republik hinaus für seine Qualität und regionalen Eigenheiten bekannt und beliebt ist. Das Gastgewerbe hat vor der Krise gebrummt ohne Ende: Seit 2009 ist die Zahl der Gästeübernachtungen um mehr als ein Drittel gestiegen, die der ausländischen Besucher dabei sogar um knapp zwei Drittel. 2019 zählten Hotels, Gasthöfe, Pensionen und andere Beherbergungsbetriebe 495,6 Millionen Übernachtungen – ein Plus von 3,7 Prozent gegenüber 2018. Damit kletterten die Übernachtungszahlen im zehnten Jahr in Folge auf einen neuen Rekordwert. „Deutschland punktet als attraktives Urlaubsland und hat auch als Tagungs- und Kongressstandort die Nase vorn“, sagte Guido Zöllick Mitte Februar 2020. Und: Seit 2009 bis Ende 2019 hat die Branche fast 300.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Im September 2019 war die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Gastgewerbe auf ein Allzeithoch von mehr als 1,1 Millionen Menschen gestiegen.
Diese Entwicklung ist genauso auf Grund gelaufen wie die Jobmaschine Gastgewerbe. Im vergangenen Jahr zählten die Beherbergungsbetriebe in Deutschland nur 302,3 Millionen Übernachtungen, wie das Statistische Bundesamt bekanntgab. Das sind 39 Prozent weniger als im Vorjahr. Jetzt geht es nur also nur noch um die blanke wirtschaftliche Existenz der Unternehmer und die Rettung Hunderttausender Arbeitsplätze – und den Erhalt ganzer touristischer und gastronomischer Strukturen.
Letztlich steht man fragend vor dieser Situation und reibt sich verwundert die Augen. Wie kann die Politik das zulassen und völlig willkürlich Öffnungsperspektiven immer wieder verschieben, ohne wirkliche Lösungen anzubieten? Ist der Politik das deutsche Gastgewerbe wirklich egal? Oder meint man, mit dem Gastgewerbe müssen neben dem Einzelhandel eine weitere Branche eben die Kollateralschäden einer wirklich völlig verkorksten Pandemie-Politik tragen? Das Gastgewerbe als die Kinder der Wirtschaft, die mir nichts, dir nichts von allen Strukturen abgeschnitten werden, weil es die Politik halt so möchte: Dieser Vergleich lässt erschaudern.
Der Aufruf geht an Sie an alle: Nutzen Sie derzeit Liefer- und Abholservices und gehen Sie nach der Wiedereröffnung so oft wie möglich ins Restaurant und in die Kneipe. Nur so können wir die gastgewerbliche Tradition in Deutschland bewahren und den Unternehmern dabei helfen, die Scherben ihrer Existenz wieder zusammenzusetzen. Viele Politiker schimpfen über den Satz, der Markt regle sich am Ende des Tages selbst. Offensichtlich hat er aber gar keine andere Chance.
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