Der May Skandal: Wie Jeremy Corbyn Englands erfolgreichster Verlierer wurde.

Die Flagge auf dem Westminster-Palast, dem Sitz des britischen Parlaments, in London weht auf halbmast. Foto: Jonathan Brady

von Marx de Morais

Das Resultat des Abends? Theresa Mays starke und stabile Koalition des Chaos! An diesem Abend stellte sich kein Mitleid mit der, zumindest vor dem Hintergrund der Erwartungen, Verliererin ein. Im Gegenteil: Die Häme, die jetzt über Britanniens „noch“ Premierministerin hereinbricht, ist verdient. May hat nichts an sich, was in den meisten Menschen das Gefühl von Mitleid erwecken könnte.

Die Conservative Party wurde in ihrer Geschichte noch nie so getrieben, so in die Demut gepeitscht, sich dem Premierminister unterzuordnen, wie unter Theresa May. Jene ehemalige Innenministerin, die nach Camerons Niederlage im Brexit-Referendum durchfiel, und die durch – seien wir ehrlich – Hinterzimmermauscheleien an die Macht gekommen ist.

Ohne Not hat Theresa May, kein Jahr im Amt, ihr Volk zur Wahl gerufen. Selten hat ein Bewohner von Number 10 Downing Street sich in so kurzer Zeit in eine Blase begeben und ihre halbe Partei mit. Eine Blase in der man sich einbilden und anderen einreden konnte, dass kein Mensch im Land befähigter ist als man selbst. Befähigter nicht nur im Amt des Staatenlenkers, sondern in allen politischen Belangen.

Tatsächlich stand Theresa May für nichts, selbst als Innenministerin stand sie nur dafür, quasi allergisch auf Immigranten zu reagieren. Von ihr stammte die Politik, Studenten zwar für Unsummen an britischen Universitäten auszubilden, danach aber – anstatt sie im Land zu halten und an ihrem Erfolg zu partizipieren – möglichst schnell wieder los zu werden. Sprichwörtlich waren ihr dafür wenn nicht alle, dann doch viele Mittel recht. Schon hier hat sie bewiesen, dass sie zwar weder wirtschaftlichen Verstand hatte noch menschliche Qualitäten besitzt, dafür aber mit Eiseskälte reagieren konnte. Dabei brachte sie das Kunststück fertig, sich einzubilden, dass dies die einzigste Fähigkeit sein müsse, um ein Land zu führen. Ihre Amtszeit ist geprägt von Lügen, Mittelmäßigkeit und gespielter Empörung.

Lügen; indem sie die tatsächlichen wirtschaftlichen Erfolge Camerons als ihr Argument verkaufen wollte, dass das Königreich mit einem harten Brexit unter ihr erfolgreicher sein würde als je zuvor. Dass diese Erfolge der Mitgliedschaft in der EU zu verdanken sind, das konnte man, weil es ein so schönes Argument ist, ruhig vergessen. Mittelmäßigkeit; weil sie es tatsächlich geschafft hat, innerhalb ihrer nicht einmal einjährigen Amtszeit die Insel von der erfolgreichsten unter den entwickelten Marktwirtschaften, zu der sich am schlechtesten entwickelnden zu ruinieren. Selbst die griechische Wirtschaft wuchs zuletzt doppelt so stark. Gespielte Empörung; Weil sie den Menschen einreden wollte, sie lebten nicht in einem stabilen und starken Land, weil ihr Rezept gegen Terror eben mal die Abschaffung von Menschenrechten sein sollte oder die bis zur Unerträglichkeit gespielte Empörung über Jeremy Corbyn kein Ende fand.

Verlieren wir ein Wort über Corbyn, die kommunistische Kopie von Bernie Sanders. Ein Mann ohne besondere Fähigkeiten und ohne irgendwelche hervorzuhebenden Leistungen. Außer jener, sein Leben bequem auf irgendwelchen Hinterbänken im Parlament verbracht zu haben. Eigentlich eine Randfigur, keiner besonderen Erwähnung wert. Ein parteipolitischer Unfall über den man schnell wieder hinweggekommen wäre. Aber Theresa May ist es zu verdanken und ihren bis zur Ermüdung wiederholten Attacken auf Corbyn, jenen zu einer Galionsfigur zu erheben. Nicht Corbyn selbst, schon garnicht Labour hat ihn zum Gegenentwurf von May stilisiert. Es war die Premierministerin in ihrer überheblichen Realtätsverweigerung selbst.

Getrieben von ihrer eingebildeten Herrlichkeit hat sie das Parlament, und damit auch ihre eigenen Parteifreunde, vor Gericht gebracht, weil dieses aufbegehrte im Brexit-Verfahren ein Mitspracherecht zu haben. Hier begann das innerparteiliche Ungemach, das am Ende zu einer der verheerendsten politischen Konstellationen führen sollte, die das Land je erlebte. In einem Wahn verfallen, überall Verrat witternd, anstatt sich den Checks und Balances in dieser Geburtsnation der Demokratie zu stellen, gärte in ihr die Überzeugung sich dieses Parlaments zu entledigen. Während eines zwischenzeitlichen Höhenflugs in Umfragen, sah sie ihre Chance. Dabei vergaß sie, das dieser nur dem Vergleich, zum bis vor einer Woche noch einzigen für noch unmöglicher gehaltenen Politiker zu verdanken war: Jeremy Corbyn.

Viele der neuen Kandidaten für die Parlamentswahlen an diesem 8. Juni wählte sie selbst aus, um sich eine treue Anhängerschaft im Parlament zu sichern. Sinnbildlich dafür steht, dass die Kandidaten nicht mehr konservative Kandidaten waren, sondern sich „Theresa Mays Kandidat“ nennen mussten. Auf einmal hatte man den Eindruck, in Großbritannien sei über Nacht ein Präsidialsystem anstelle der parlamentarischen Monarchie getreten. Conservative hat sie wo immer möglich gleich ganz gestrichen. Auf dem Wahlbus stand sichtbar nur ihr Name, wenn Mitarbeiter von „Theresa May und ihrem konservativen Team“ sprachen, gab es Ärger. Es durfte nur noch von Theresa May gesprochen werden und selbst die Themen wurden der Partei und den Kandidaten entrissen und von May verordnet.

Ihre Themen waren nur noch Slogans, Angriffe und Brexit, eine größtmögliche Idiotie hat das konservative Lager erfasst. Selbst Leaflets und Werbematerial für lokale Kampagnen wurden vorgegeben. So mussten die Mitglieder sogar im Europa- und immigrationsfreundlichen London Werbematerialien mit nichts anderem als Angriffen auf Corbyn, Immigranten und schön gelogenen Aussichten für einen Brexit verteilen. Ein Großteil von ihnen mag sich dabei sprichwörtlich so sehr auf die Zunge gebissen haben bis es Blut spritzte.

Dazu ein Wahlmanifest das zum großen Teil aus nichts außer „strong and stable“, „coalition of chaos“, „no deal is better than a bad deal“ bestand und die Wahl führte zielstrebig bis zu dem Chaos der vergangenen Nacht. Anstatt sicher eingebildeter Zugewinne verloren die Conservatives …. oder besser Liste May, nicht nur Sitze im Parlament, sondern gleich die absolute Mehrheit. Das britische Wahlrecht macht eine absolute Mehrheit eher zur Regel als zur Ausnahme. Eine stabile Koalition erscheint zum jetzigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich. Die in der letzten Koalition marginalisierten LiberalDemokraten werden kaum zur Verfügung stehen, die nordirischen hardcore Nationalisten der DUP sind keine ernsthafte Option und Labour ist noch weiter entfernt, eine Regierung bilden zu können.

Die aktuelle Situation könnte das Land in eine konstitutionelle Krise führen. Wenn die Queen May fragt ob sie eine stabile Regierung bilden könne, könnte sie dies kaum bejahen. Einen Antrag Mays auf Auflösung des Parlaments und nochmalige Wahlen könnte die erstarkte Labour im Parlament blockieren. Dann wäre es an der Queen selbst, die Auflösung des Parlaments beschließen. Eine Machtoption die kein Monarch in moderner Zeit genutzt hat. Eine die zu nutzen dem Symbolcharakter und dem auf Gewohnheit fußenden Rechtssystem widerspricht. Eine Option deren Anwendung die Monarchie selbst in Gefahr bringen könnte. Dann wenn eine Neuwahl Labour unter Corbyn an die Macht bringen würde und jener sich gegen die Monarchie stellt. Jene die quasi gezwungen war, sich gegen eine mögliche Blockade durch Labour zur Auflösung des Parlaments zu stellen.

Der Ausweg sind am Ende die Conservatives selbst. Eine Partei, die das Land unabhängig von May von der lokalen bis zur nationalen Ebene über die letzte Dekade vorbildlich gemanagt hat. Deren Mitglieder sich in den Rathäusern und Parlamenten der Überwindung der Finanzkrise gestellt haben, dabei alle Bevölkerungsschichten im Auge behielten und Großbritannien über Jahre zur sich am erfolgreichsten entwickelnden europäischen Nation gemacht haben. Eine Partei, die May nicht verdient hat, aber das Vertrauen der Briten. Diese Partei muss sich vom rechten und radikalen Rand befreien und damit ein Statement geben. Sie muss daran arbeiten die von May betriebene innerparteiliche und gesellschaftliche Spaltung zu überwinden und das so nachhaltig, so erfolgreich, dass eine Neuwahl oder nur der Androhung einer solchen, einen konservativen Sieg sichert. Dabei wäre ein Blick nach Deutschland durchaus hilfreich. Von Angela Merkel und der CDU könnten die britischen Konservativen lernen, dass man nicht rechts von der Mitte überholen kann, sondern die Mehrheit auch in Zukunft im aufgeschlossenen, bürgerlichen Lager und links davon liegt. Ein progressiver Konservatismus hat Angela Merkel und ihre Regierung zur erfolgreichsten in der deutschen Nachrkriegsgeschichte gemacht, und ein progressiver Konservatismus hätte das Zeug, die britische Gesellschaft wieder zu vereinen, ein bisschen mehr togetherness und Konsens anstatt der Spaltung des letzten Jahres.

Bildquelle:

  • Halbmast: dpa

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