Die bürgerliche Mitte versagt immer wieder – in Weimar und auch hier und heute

Wahlplakat aus dr Weimarer Republik

von KLAUS KELLE

BERLIN – Nach dem Jugoslawienkrieg in den 1990er und frühen 2000er Jahren strömten Hunderttausende Flüchtlinge – vornehmlich aus Bosnien-Herzegowina – nach Deutschland. Der Jugoslawienkrieg war die blutigste Auseinandersetzung in diesem Teil der Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und bis 2022, als Russland mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine begann. Durch Völkermord und Massaker starben mehr als 200.000 Menschen auf dem Balkan, bis – nach unzähligen diplomatischen Bemühungen der EU und einzelner profilgeiler Wichtigtuer aus dem deutschen Politbetrieb – die NATO militärisch eingriff und den Krieg innerhalb von wenigen Tagen beendete.

Fast 300.000 Flüchtlinge vom Balkan kamen wischen 1991 und 1993 aus den Jugoslawien-Nachfolgestaaten nach Deutschland und beantragten Asyl. Eine große Herausforderung für einen – wieder einmal – unvorbereiteten Staat.

Unterricht fiel in den Schulen aus, die zu Unterkünften für die Flüchtlinge umgewandelt wurden. Turnhallen und Freibäder blieben geschlossen. Und was das alles wieder kostet… Schnell trat eine neue rechte Partei auf den Plan. Die Republikaner von Franz Handlos und Franz Schönhuber – gegründet schon vorher nach dem straußschen Milliardenkredit für die DDR – sprang auf das Thema „Überfremdung“ auf und hatten Erfolg. Wahlsiege bei den Europawahlen und den Urnengängen fürs Berliner Abgeordnetenhaus und den baden-württembergischen Landtag folgten schnell.

Und wissen Sie was? CDU und CSU setzten sich mit der SPD zusammen und begannen, das Problem zu lösen. Geld für Rückreise und eine kleine Starthilfe und der Zug der Flüchtlinge in die Heimat setzte sich in Marsch. Und bald darauf verschwanden auch die Republikaner wieder aus der deutschen Politik, was – zugegeben – nicht nur damit zu tun hatte, aber eben auch.

Im Grunde ist vieles vergleichbar zwischen dem Aufstieg der Republikaner damals und dem der AfD heute. Ein unverfängliches Thema, das die bürgerliche Mitte ansprach, verschlafen von den sie traditionell vertretenen Parteien Union, FDP und Teilen der SPD. Hier Milliardenkredit, da Euro-Rettungsschirm. Nichts mit Nazis und dergleichen. Doch es lief halt alles parallel – solche neuen Parteien ziehen gescheiterte Existenzen, die vorher oft schon in drei, vier oder mehr Parteien waren, eben auch an. Glücksritter und Spinner, neben den vielen anständigen Patrioten und Idealisten, die etwas für ihr Land tun wollen.

Die Mainstreammedien schießen sich auf die böse Entwicklung rechts ein, die traditionellen Parteien skandalisieren, wo immer sich die Gelegenheit ergibt. Der Verfassungsschutz wird in Stellung gebracht – alles schon mal erlebt vor 30 Jahren.

Nur damals taten Union und SPD etwas, was denen heute abgeht

Sie lösten einfach die Probleme, die Millionen Bürgern auf den Nägeln brannten. Auch damals gab es eine „Brandmauer“, aber die wurde nicht wortreich deklariert. Und das Konzept hatte Erfolg, weil die Bürger sahen, dass die Schulen wieder für Unterricht genutzt wurden und die Geduldeten in ihre Heimat zurück reisten.

Warum versagt die vielzitierte, allerdings auch geschrumpfte bürgerliche Mitte heute?

Warum setzen sie sich nicht zusammen und erledigen ihren Job? Ich verstehe es nicht.

Als Friedrich Merz im dritten Anlauf endlich CDU-Vorsitzender wurde, versprach er, er werde die AfD-Wählerschaft durch beherzte Politik und eine „Politikwende“ halbieren. Wir alle sehen, dass die AfD sich seit der Ankündigung von Merz mehr als verdoppelt hat. In der Wirtschaft würde ein Manager mal den Rechenschieber zur Hand nehmen und versuchen, die bisher offenkundig falsche Strategie zu korrigieren. Aber sie machen es nicht. Merkel 2015 und nun die aktuelle Bundesregierung sind wie eine andauernde Frischzellenkur für die AfD. Und kein Ende ist abzusehen.

Und das ist schlecht

Denn, wenn man nicht miteinander spricht und keine Ergebnisse zustande bringt, dann ändert sich nichts. Also: diese Regierung muss endlich liefern mit der Politikwende. Oder die Union muss aussteigen aus dem schlingenden Narrenschiff dieser Koalition und eine Minderheitsregierung bilden. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht, denn in einer schweren Wirtschaftskrise mit Hunderttausenden gefährdeten Arbeitskräften kann man weder eine Regierung bilden mit den Fußkranken der Weltrevolution um Frau Reichinnek und ihre SED-Getreuen noch mit der AfD, die um den Möchtegern-Imperator in Moskau herumscharwenzelt und aus der EU austreten will. Wie soll das funktionieren?

Die Krux ist nur: Wenn sie so weitermachen wie bisher, dann werden die Ränder rechts und links immer stärker, was im schlimmsten Fall unsere freiheitlich-demokratische Ordnung in ihrer Existenz bedroht.

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.

Auch in der Weimarer Republik ist es dem totalen Versagen der bürgerlichen Mitte zu verdanken, dass irgendwann Kommunisten und Nationalsozialisten die Demokratie in die Zange nahmen und überwältigten konnten.

Die Bürgerlichen trafen sich derweil in Hinterzimmern, frönten ihren Machtinteressen und glaubten, sie könnten die NSDAP einwickeln und für ihre oftmals kommerziellen Interessen instrumentalisieren. Doch die Rechten und Linken waren auf den Straßen und kämpften für ihre Ziele – mit Erfolg.

Das Versagen der bürgerlichen Mitte in der Weimarer Republik war ein entscheidender Faktor für deren Untergang. Zersplitterung des Parteiensystems, mangelnde Unterstützung für die Demokratie und die Institutionen und natürlich die Unfähigkeit, die existenziellen Herausforderungen des Staates im Sinne der Bürger zu bewältigen – daran ist die Weimarer Republik gescheitert. Fällt Ihnen etwas auf?

Genau. Das Vertrauen in die Institutionen unseres Staates sinkt auch im modernen Deutschland seit Jahren. Das politische Personal – denken Sie nur an den aktuellen Bundespräsidenten – regt nicht dazu an, den Kampf um unsere Freiheit gemeinsam aufzunehmen. Die Parteienlandschaft und die Wahlergebnisse führen zu immer schwierigen Regierungsbildungen. Schauen Sie sich jetzt schon die bunte Höcke-Verhinderungskoalition in Thüringen an! Und gut möglich, dass die AfD nächstes Jahr nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt eine Regierung mit dem BSW bildet. Na, dann wird es Feuer unter dem Dach geben.

Und alle schauen zu, alle bestellen wie immer ihre bunten und inhaltslosen Wahlplakate, die längst von Firmen geklebt werden müssen, weil es eine aktive Basis kaum noch gibt bei CDU und SPD. Grüne und FDP gibt es vielerorts gar nicht mehr. Und außerdem gehören die Grünen nicht zur bürgerlichen Mitte – so wie viele Sozis auch nicht.

Die immer schwächer werdende politische Mitte und die wachsende Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft führen dazu, dass Wähler vermehrt zu Parteien abwandern, die – sagen wir – mit einfachen Lösungen und kernigen Sprüchen auf Stimmenfang gehen.

Es gäbe noch viel zu schreiben und zu sagen zu diesem Thema. Zur Unfähigkeit der Bürgerlichen, politische Aktion zu betreiben, auf die Straße zu gehen, auch materiell mal einen Urlaub im Jahr auszulassen und zu helfen gegen das links-woke Millionenkartell der NGOs, deren Kampf gegen unsere Überzeugungen wir selbst über Steuern finanzieren müssen. Und kann man es der AfD verdenken, die jahrelang von der Mehrheit im Bundestag schlecht behandelt wurde, man ihnen die ihr zustehenden Posten und Gelder vorenthält, jetzt, in einer Zeit, wo JD Vance und Elon Musk zu ihrer Wahl aufrufen und Putins Kreml-Clan gern Einladungen an AfD-„Diplomaten“ ausspricht zu „Friedensgesprächen“ in Moskau oder Sotchi, dass sie ihr eigenes Spiel selbstbewusst spielt? Und alle gucken hilflos zu oder phantasieren vom Parteiverbot.

Zum ersten Nal habe ich Angst, dass unsere Gesellschaft kippt. Dass es nicht gut enden wird. Und schuld ist die bürgerliche Mitte, die verlernt hat zu kämpfen für das, für das es sich zu kämpfen lohnt… für Deutschland.

Das Versagen der bürgerlichen Mitte – im Dezember finden dazu zwei bürgerlich-konservative Stammtische in Düsseldorf und Potsdam statt. Wenn Sie dabei sein möchten, schreiben Sie mir an k.kelle@the-germanz.de!

Bildquelle:

  • Wahlplakat_Volkspartei_Weimarer_Republik: bundesarchiv

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.