MÜNCHEN – Der Begriff „Urgestein“ wird in übertragener Bedeutung auch als Metapher verwendet. So wird als politisches Urgestein laut Duden ein „Politiker aus Leidenschaft“ bezeichnet. Geprägt wurde die Metapher vom SPD-Politiker Herbert Wehner mit Blick auf den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer, dem er nachsagte, aus politischem Urgestein geformt zu sein. Herbert Wehners Charakterisierung trifft inzwischen auch auf Dr. Peter Ramsauer zu, der seit 1990 als direkt gewählter Abgeordneter (Wahlkreis Traunstein) dem Deutschen Bundestag angehört.
Der promovierte Diplomkaufmann war und ist innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dafür bekannt, vielfach gegen die Mehrheitsmeinung zu votieren. So forderte er, den Mindestlohn und die Rente mit 63 vorläufig auszusetzen und die deutsche Beteiligung an den internationalen Wirtschaftssanktionen gegen Russland und den Iran zu beenden. Eine Frauenquote beschrieb Ramsauer als „unsinnig“. Das im November 2014 von der Bundesregierung unter CDU/CSU-Beteiligung vorgestellte Klimaschutzprogramm lehnte Ramsauer ab und sah in ihm eine Anleitung „zur Bevormundung und Umerziehung“. Mit diesem Mann wollten wir reden.
Herr Dr. Ramsauer, die Ampel hat sich beim Gebäudeenergiegesetz auf ein Kompromiss geeinigt. Die FDP spricht von „fundamentalen Änderungen“, die SPD sieht einen „Paradigmenwechsel“. Ihre Einschätzung?
Mit dem Gebäudeenergiegesetz hat es die Ampelregierung zu 100 Prozent geschafft, die Menschen im Land zu verunsichern – ja, verrückt zu machen. Im Kabinett einen Entwurf zu beschließen, der sofort Opposition in den eigenen Reihen hervorruft und letztendlich zu diesem Hauruck-Verfahren und schließlich zum Verabschiedungsverbot durch das Bundesverfassungsgericht geführt hat, ist eine politische Maximalkarambolage.
Was die Ampel den Bürgern mit ihrem Gebäudeenergiegesetz finanziell zumutet, ist skandalös. Ich gehöre seit 33 Jahren dem Deutschen Bundestag an. In all meinen politischen Ämtern habe ich eine solche schandhafte und katastrophale Gesetzgebung noch nie erlebt. Eigentlich hätte Habeck, wenn er Anstand und Rückgrat hätte, sofort zurücktreten müssen.
Ihr Parteivorsitzender, Ministerpräsident Markus Söder, will die gesellschaftliche Debatte um eine längerfristige Weiternutzung der Atomkraft neu entfachen. Ist in dieser Frage nicht aber die Messe bereits gesungen – wird hier eine Scheindebatte geführt?
Aus meiner Sicht dürfte die Messe gesungen sein. Allerdings sehe ich die gesamte Problematik als kritischer politischer Geist mit etwas anderen Augen – also differenzierter. Wir müssen eingestehen und können nicht verschweigen, dass wir als Union nach Fukushima am 11. März 2011 den ganzen Atomenergieausstieg mitgemacht haben – unter Angela Merkel als treibender Kraft. Der Atomenergieausstieg gehört wie die Flüchtlingspolitik zu den katastrophalsten politischen Fehlern der damaligen Bundeskanzlerin. Nicht ohne Grund sage ich den AfD-Parlamentariern, dass sie Merkel ein Denkmal setzen müssten, weil die AfD ihre parlamentarische Existenz ausschließlich der Politik von Angela Merkel zu verdanken hat.
Sie waren seinerzeit aber auch als Bundesverkehrsminister in die Entscheidungsfindung involviert – haben also die Position von Frau Merkel mitgetragen?
Es ist richtig, dass ich als Bundesverkehrsminister und Bundesbauminister dem engsten Kreis der beteiligten Fachminister angehört habe. Zu meinem Verantwortungsbereich gehörte zum Beispiel das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie, eine nachgelagerte Behörde, die für die Genehmigungen der gesamten Offshore-Windenergieanlagen zuständig war. Ich habe es auch als völlig unrealistisch angesehen, die notwendigen ca. 7500 Kilometer Hochspannungstrassen von Norddeutschland nach Süddeutschland bis zum 31. Dezember 2022 fertigzustellen.
Angela Merkel hat meine Warnungen als falsch abqualifiziert. Ich habe Angela Merkel vor allen Folgen gewarnt, die der Kernenergieausstieg mit sich bringen würde, also vor massiv höheren Strompreisen, vor der Abhängigkeit von zusätzlichen Gaslieferanten, von zusätzlichen Stromimporten und höheren CO2-Emissionen. Und leider habe ich in allen Punkten Recht behalten. Ich stand damals vor der Alternative, als Minister zurückzutreten, weil ich aus gutem Grund diese Politik nicht mittragen konnte, oder an Bord zu bleiben.
Ich habe mich nach langen und reiflichen Überlegungen dafür entschieden, Minister zu bleiben. Denn wäre ich zurückgetreten, hätte ein anderer in der Nachfolge Merkels Politik widerspruchslos mitgetragen. So konnte ich wenigstens im Rahmen meiner Möglichkeiten weiter mitgestalten. Leider lassen sich die Fehler von damals nicht mehr rückgängig machen.
Eine breite Mehrheit von EU-Staaten hat sich nach jahrelangen Verhandlungen auf Pläne für eine weitreichende Reform des EU-Asylsystems verständigt. Sie gehörten zu den schärfsten Kritikern von Merkels „Wir schaffen das“. Werden durch die Reform weniger Asylsuchende nach Deutschland kommen?
Die Zahl der Asylbewerber, der Bürgerkriegsflüchtlinge und der Wirtschaftsflüchtlinge hat inzwischen ein Maß erreicht, das alles sprengt. Ich habe gerade mit zwei Bürgermeistern aus meinem Wahlkreis gesprochen, die klar sagen, dass die Bevölkerung in keiner Weise mehr bereit ist, diese Entwicklung hinzunehmen. Die Gemeinden seien überfordert, weil sie keine Aufnahmekapazitäten mehr haben. Diese unselige Entwicklung in Deutschland haben wir ausschließlich Angela Merkel zu verdanken.
Auch in den anderen europäischen Ländern ist die Erkenntnis gereift, dass es so nicht weitergehen kann. Daher habe ich vollstes Verständnis für Ungarns Ministerpräsident Orbán, aber auch für die Polen, die eigenständig entscheiden wollen, wer in ihr Land kommen darf und wer nicht. Insofern sind die jetzigen Reformansätze des EU-Asylsystems in meinen Augen immer noch zu schwach. Grundregel muss sein, den Zustrom der Asylbewerber und Flüchtlinge bereits an den EU-Außengrenzen zu stoppen. Denn, wenn wir das nicht schaffen, werden wir am Ende als Gesellschaft einen ganz bitteren und hohen Preis bezahlen.
Sie haben den Vorschlag der Ampel zur Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes massiv kritisiert. Wo sehen Sie die Knackpunkte?
Fakt ist, dass wir mit ca. 600 000 Geburten pro Jahr die Zahl der Fachkräfte, die wir als Volkswirtschaft benötigen, nicht erreichen können. Insofern ist es sinnvoll,
dieses Defizit durch Zuwanderung zu füllen. Wir müssen aufpassen, dass wir neben den Fachkräften nicht auch x-beliebige Wirtschaftsflüchtlinge mit ins Land holen. Außerdem müssen wir aufpassen, weil nicht jede sogenannte Fachkraft auch eine ist. Die zwar in ihrem Herkunftsland – wenn überhaupt – irgendetwas, aber nicht das gelernt hat, was in Deutschland benötigt wird.
Wenn diese vermeintlichen Fachkräfte dann noch über den Familiennachzug eine gewaltige zusätzliche Zuwanderung übrigens auch in die Sozialsysteme verursachen, schaffen wir uns neue kulturell wesensfremde Biotope. Um dieses Risiko zu beherrschen, muss die Gesetzgebung entsprechend angepasst werden. Und auch unsere deutschen Botschaften in den jeweiligen Ländern, die beim Fachkräftezuwanderungsgesetz vorgeschaltet sind, müssen restriktiv vorgehen.
„Wir sind die Anti-Grünen“, lautet ein Satz von Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger, der sich nach eigenen Worten zwischen nach links vergrünter Union und nach rechts außen abdriftender AfD als Vertreter der bürgerlichen Mitte positioniert. Stünde es auch nicht der Union insgesamt gut zu Gesicht, sich als die Anti-Grünen-Partei zu positionieren, statt mit Blick auf mögliche Koalitionen mit grünen Ideologien zu antichambrieren?
Leider haben wir in der Union vielfach Angst davor, etwas zu sagen, was von der linken Seite als unsagbar definiert wird. Deshalb müssen wir viel deutlicher werden und dürfen keine Angst davor haben, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Aiwanger macht das mit seinen Freien Wählern in Bayern ganz geschickt. Er spricht vor allem die Protestwähler an und verhindert durch seine Politik, dass diese AfD wählen.
Zudem steht Aiwanger mit seinen Freien Wählern außer Verdacht, rechtsradikal zu sein. Kurzum: Aiwanger macht den neuen Franz Josef Strauß. Deshalb dürfen auch wir uns in der Union nicht mit der „linken Masche“ mundtot machen lassen. Und auch Friedrich Merz muss sich mehr Mut nehmen, auch wenn ein Herr Wüst oder ein Herr Günter das anders sehen.
Ihr Fraktionskollege Klaus-Peter Willsch hat die Grünen als „vaterlandslose Gesellen“ bezeichnet. Danach wurde er sofort von Friedrich Merz gerüffelt…
Klaus-Peter Willsch, mein Bruder im Geiste, hat natürlich vollkommen recht. Wer sagt, er habe mit Deutschland nie etwas anfangen können, der macht klar, dass er mit dem Begriff „Vaterland“ nichts anfangen kann. Insofern ist die Formulierung „vaterlandslose Gesellen“ aus meiner Sicht nicht zu beanstanden. Warum Friedrich Merz die Äußerung von Klaus-Peter Willsch kritisiert hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch Friedrich Merz hat doch Recht gehabt, als er von den „kleinen Paschas“ sprach. Aber man darf nicht zurückrudern, wenn einem der Mainstream ins Gesicht bläst.
Das Gespräch mit Dr. Peter ramsauer führten Joachim und
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- Pater_Ramsauer_CSU: bds nrw