Erika Steinbachs erster Besuch in „ihrer“ Ausstellung über Flucht und Vertreibung: „Ich habe mich gefürchtet“

Erka Steinbach im "Raum der Stille".

von KLAUS KELLE

BERLIN – Es ist nasskalt, einer dieser grauen Tage, die in Berlin sogar besungen werden, als das Taxi vor dem Deutschland-Haus an der Stresemannstraße hält. Erika Steinbach, eine der streitbarsten und bekanntesten Frauen in der deutschen Politik in den vergangenen 20 Jahren, steigt aus. Unverkennbar der blonde Haarschopf, schwarzer Mantel, „Guten Tag, Herr Kelle!“.

Es ist ein besonderer Termin, den wir heute zusammen absolvieren werden, denn das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in Berlin gäbe es gar nicht ohne diese Frau.
Der Bund der Vertriebenen (BdV), dessen Präsidentin die frühere CDU-Politikerin bis 2018 war, hatte das Projekt eines Museums, das die Leiden der Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten nach Kriegsende dokumentiert, vor 20 Jahren angestoßen, und Erika Steinbach kämpfte wie eine Löwin dafür, dass das Schicksal von mehr als 14 Millionen Menschen deutscher Herkunft nicht in Vergessenheit gerät.

Und sie wurde dafür angefeindet im Inland, aber ganz besonders im Ausland, besonders aus Polen und Tschechien. Denn Deutschland – so die allgemein erwünschte Tonlage – war das Tätervolk. Da passten deutsche Opfer nicht so gut ins Bild.

Doch Opfer sind Opfer, und auch das Leiden der Heimatvertriebenen ist ein dunkles Kapitel in unserer Geschichte, das aufgearbeitet gehört.

„Man tut sich in Deutschland schwer damit, mit den eigenen Opfern umzugehen“, sagt Erika Steinbach, als wir in der ersten Etage an den Schautafeln vorbeigehen, die das Leid von Flüchtlingen, von Vertriebenen aus allen Teilen der Welt zeigen. Aber warum ist es heute, 77 Jahre „danach“, noch immer nicht möglich, die Geschichte auch dieser deutschen Opfer zu erzählen? Würde jemand Anstoß nehmen an einer Ausstellung, die allein die Völkermorde in Burundi in den 80er und 90er Jahren, das Morden zwischen Hutu und Tutsi, zeigt, ohne gleichzeitig syrische Flüchtlinge und Vertriebene aus Schlesien und dem Sudetenland ebenfalls zu zeigen?

Erika Steinbach, fast ihr ganzes Leben in der CDU aktiv, nun an der Spitze der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, ist alles andere als eine Nationalistin. Ihr Leben war ist bis heute der Kampf um die historische Wahrheit, dass es in diesem grauenhaften Krieg eben nicht nur gute und böse Opfer gegeben hat.

Die Ausstellung in Berlin gibt es heute, weil die frühere BdV-Präsidentin niemals nachgelassen hat im Kampf darum, auch das Schicksal dieser Menschen für die Ewigkeit zu dokumentieren. Im Deutschland-Haus, direkt gegenüber dem Anhalter Bahnhof in Kreuzberg, wo nach dem Krieg viele Menschen aus den ehemaligen „Ostgebieten“ ankamen. Der Standort gefällt ihr.

Erika Steinbach ist heute zum ersten Mal im „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ – was für ein sperriger, was für ein funktionaler und kalter Name. „Mir fehlt hier das Mitgefühl“, sagt sie, während wir an den Schautafeln und Vitrinen vorbeigehen, an den vielen Ausstellungsstücken, hinter denen unzählige bewegte Geschichten stehen. Wie das Metallgerüst eines kleinen Kinderbettes. Welches Kind von wo hat hier einst gelegen, hat es den Weg nach Westdeutschland geschafft, was ist aus dem kleinen Jungen oder Mädchen geworden?

„Ich habe mich gefürchtet, hierherzukommen“, erzählt Erika Steinbach. Angst, enttäuscht zu werden von einer funktionalen Kälte, von lieblos aneinandergereihten Exponaten. Aber so weit will sie nicht gehen, jetzt, wo sie hier ist.

Es sei gut, dass es diese Ausstellung gibt, dass endlich des Leidens auch dieser Millionen Menschen gedacht wird, dokumentiert für alle Zeiten. „Man konnte sich nicht entschließen, dieses Kapitel der deutschen Geschichte singular zu betrachten“, das ist Steinbachs wichtigster Kritikpunkt neben der fehlenden Empathie.

In der zweiten Etage, wo es vorrangig um die Vertreibung der Deutschen ging, wird natürlich die Vorgeschichte erzählt, die Nazi-Barbarei, der Krieg. Natürlich, denn das gehört dazu, wenn man die Geschichte der Vertriebenen erzählt. Aber wenn man diese Geschichte kennt und weiteren Generationen vermitteln will, dann muss man ehrlich sein. Und dann gehören auch die Gräueltaten dazu, die man an diesen Deutschen begangen hat. Abertausende wurden massakriert, totgeschlagen, Frauen vergewaltigt, Kinder verhungerten – wo findet sich die nackte Wahrheit in dieser Ausstellung?

Bevor wir die das Dokumentationszentrum wieder verlassen, gehen wir noch in den „Raum der Stille“, auch dieser Raum ist wenig behaglich, ein paar Stühle stehen da herum, es wirkt kalt. Erika Steinbach setzt sich auf einen dieser Plastikstühle und sitzt einige Minuten wortlos da, so, als wolle sie das, was sie bei diesem Rundgang gesehen und wie sie es empfunden hat, auf sich wirken lassen.

Dann steht sie auf, schaut mich an und sagt: „Ich bedauere nicht, dass ich hier gewesen bin…“

Dann verlassen wir schweigend das Deutschland-Haus und suchen ein Taxi…

Bildquelle:

  • Erika_Steinbach_4: klaus kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.