Fußball-Begeisterung gibt es, aber die hat nichts mehr mit dieser deutschen Mannschaft zu tun

von MARK ZELLER

BERLIN – Mit dem angekündigten Kniefall der Nationalmannschaft beim EM-Achtelfinale erreicht der kollektive Kotau vor dem Zeitgeist seinen Höhepunkt. Wer die funktionierenden Integrationskräfte des Fußballsports kennt, weiß: Hier geht es um eine ideologische Agenda, während drängendere Probleme ausgeklammert werden.

Hier sollte jetzt eigentlich ein anderer Text stehen. Eine Erinnerung an die überragende EM 96 mit einer Hinleitung zum heutigen Länderspiel-Klassiker England gegen Deutschland an gleicher Wirkungsstätte. Aber das klappt nicht mehr. Da wäre kein Brückenschlag groß genug, um noch irgendetwas Verbindendes zu finden von diesem fröhlichen Fußballfest vor 25 Jahren zur heutigen haltungspolitischen Selbstinszenierung, vom Titelgewinn einer deutschen Mannschaft voller ehrlicher Sympathieträger zum ideologieverlorenen Hochglanzprodukt „Die Mannschaft“, in einem Turnier, in dem es um alles zu gehen scheint, nur nicht um Fußball. Und ganz ehrlich: Das tut mir verdammt weh.

Während Deutschland die Bilder von unschuldigen Menschen vor Augen hat, die in Todesangst vor einem Messer-Mörder fliehen, der einmal mehr die „alternativlose“ Migrationspolitik einem brutalen Realitätsabgleich unterzieht, schafft die Nationalelf neue Bilder. Ganz andere.

Völlig ungeachtet der Aktualitäten in dem Land, was sie doch eigentlich repräsentieren soll. Kniefall aus Prinzip, statt Anteilnahme mit dem, was ist. Mehr Dissens geht nicht. „Unsensibel“ oder „geschmacklos“ ist mir da zu milde. Mich persönlich ekelt es an.

Das deutsche Gesamtbild bei der EM 2021 steht ohnehin weniger für großen Fußball, als vielmehr für ideologische Vereinnahmung. Statt Zuckerpässen, Bilderbuch-Kombinationen und Traumtoren geht es um aktivistische Gleitschirmflieger, Flaggen-Flitzer und Regenbogen. Und wer sich nur anschaut, wie Leon Goretzka bei seinem turniererhaltenden Tor statt purer Freude offenbar an nichts anderes denkt, als eine politische Jubel-Botschaft, der freut sich schon auf das Interview nach dem heutigen Match: „Ok, wir haben den Einzug ins Viertelfinale verpasst, aber das war heute nicht entscheidend. Wichtiger war, dass wir ein Zeichen gesetzt haben…“

Regelrecht wohltuend ist da der Blick auf die anderen Spiele. Auf die kindliche Freude der Schweizer nach ihrem epochalen Triumph, auf die Inbrunst der Italiener bei der Hymne, auf die ausgelassene Begeisterung der Dänen. Einen kurzen Geschichtsmoment lang, um das „Sommermärchen 2006“ herum, hatten sich auch die deutschen Fans diese Normalität erkämpft. Doch allerspätestens mit diesem EM-Turnier wird jeder unmittelbaren Fußballbegeisterung brutal in die Speichen gegrätscht. Die unmissverständliche Message: Es gibt so vieles, das wichtiger ist. Entschiedener Widerspruch! Beim Fußball ist der Fußball am Wichtigsten – selbstredend eingedenk der Gesundheit aller Beteiligten.

Anders ausgedrückt: Die DFB-Auswahl ist dazu da, um Fußball zu spielen. Nicht politisch korrekt, sondern erfolgreich. Dafür wird sie geradezu fürstlich ausgestattet. Dafür investieren jede Menge Menschen jede Menge Energie, Herzblut und Geld. Doch von „der Mannschaft“, immerhin Aushängeschild des größten Sportverbandes der Welt, wird der eigentliche „Stiftungszweck“ für eine bestimmte politische Agenda gekapert. Und das unbeachtet einer sich immer weiter abwendenden Basis. Sinkendes öffentliches Interesse, rückläufige Einschaltquoten und Ticket-Verkäufe? Egal! Dabei reicht ein kurzer Blick in die Kommentarspalten um festzustellen, dass es drängendere und vor allem fußballspezifische Probleme gibt, die die Menschen umtreiben: Von der schweren Rückkehr der kleinen Vereine aus der Corona-Zwangspause über die Kommerzialisierung bis hin zur grassierenden Gewalt im Amateurfußball.

Stattdessen wird selbst der Gelegenheits-Fußballfreund mit den immer gleichen Themen penetriert, obwohl die im Sport längst gut beackert werden. Kaum irgendwo anders wird Integration, wird Anti-Rassismus so gelebt, wie im Fußball. Ich selbst habe schon seit der F-Jugend, also seit fast 40 Jahren, Mannschaftskameraden aller möglichen Herkunftsländer. Und soll ich was verraten? Gerade meine Kollegen mit Migrationshintergrund sind die, mit denen es die unverbrüchlichsten Verbindungen gibt, egal wie lange man sich nicht gesehen hat. Freundschaften fürs Leben.

Der Fußball IST längst einer der größten Integrationsfaktoren. Er braucht keine künstlich inszenierten Gratismut-Festspiele, sondern eher punktuelle Unterstützung bei der oft anspruchsvollen Basisarbeit. Integration gehört zum unerschütterlichen Selbstverständnis dieses Sports, wie von Sport überhaupt. Und genau dieses Selbstverständnis wird mit Füßen getreten, in dem man es auf negativ framed. Da drängt sich schon der Verdacht auf, es gehe weniger um „gegen Rassismus“, als vielmehr um die Manifestierung bestimmter Narrative. Andernfalls könnte man doch auch mal ein „Zeichen setzen“ mit unmittelbarem Gegenwartsbezug, beispielsweise eine Anteilnahme für unsere verwundeten Soldaten von Mali.

Dass es deswegen trotzdem auch noch rassistische Ausfälle gibt, dem muss selbstverständlich mit aller Entschlossenheit entgegengetreten werden. Und zwar genau dort und genau dann, wo und wenn sie passieren. Das wäre viel wichtiger, als eine Geste, die um geradezu untertänige Vergebung für schweres eigenes Fehlverhalten steht, und Millionen kleiner und großer Sportskameraden in Mithaftung nimmt für etwas, was sie nie getan haben. Und wer ernsthaft glaubt, mit der Weiterverbreitung der Pose einer amerikanischen Lobbyorganisation etwas gegen Rassismus zu tun, der glaubt auch, die WM-Vergabe an Katar erfolgte wegen der ausgleichenden globalen Verteilung großer Sportereignisse.

Apropos: Welche „Statements“ erwarten uns wohl von der geballten deutschen Wokeness beim kommenden Weltturnier am Persischen Golf? Bei der dort vorliegenden Ballung defizitärer Menschenrechte dürfte es kaum reichen, dass die Öffentlich-Rechtlichen dann einfach noch eine Frau mehr in die Expertenrunde nehmen. Aber wahrscheinlich denke ich damit sowieso wieder in die falsche Richtung. Vermutlich wird es eher so sein, dass „die Mannschaft“ sich auf den Rasen wirft – als Zeichen gegen Islamophobie…

Bildquelle:

  • Jungs_Fußball: dpa

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.