INTERVIEW KARL-HEINZ RUMMENIGE: „Der Respekt vor dem deutschen Fußball ist noch da“

ARCHIV - Hilft dem DFB: Ex-Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge. Foto: Sven Hoppe/dpa

DOHA – Karl-Heinz Rummenigge verbringt die WM-Finalwoche in Katar. Dort kann der ehemalige Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München live im Stadion verfolgen, was Argentinier, Franzosen oder Marokkaner der deutschen Nationalmannschaft voraushaben.

Seine Erkenntnisse und seine große Erfahrung soll der 67-Jährige in den von DFB-Präsident Bernd Neuendorf geschaffenen «Beraterkreis» einbringen, der die DFB-Auswahl wieder auf Erfolgskurs bringen soll. Im Interview wirbt Rummenigge dafür, alle Kräfte zu bündeln. 

Vor anderthalb Jahren haben Sie sich beim FC Bayern als Chef zurückgezogen. Was ist Ihre Motivation, nun nach dem deutschen WM-Scheitern in der Expertengruppe des DFB mitzuarbeiten?

Im Prinzip waren das die Gespräche mit Aki Watzke und Herrn Neuendorf, die mich nach dem internen Präsidiumsbeschluss, die Task Force nach dem enttäuschenden Turnier in Katar wieder aufleben zu lassen, gebeten haben, dabei zu sein. Wir wollen einen Beitrag leisten, dass wir bei der Europameisterschaft in anderthalb Jahren wieder eine schlagkräftige Mannschaft haben, die die Menschen auch begeistern kann.


Wann wird die Expertengruppe Ihre Arbeit aufnehmen? Und welche Aufgaben und Zielstellungen sind für Sie von zentraler Bedeutung?

Das erste Treffen wird gleich am Donnerstag sein. Wer nicht vor Ort sein kann, wird dazugeschaltet. Wir wollen uns austauschen, eine Agenda aufstellen und dann die Dinge abarbeiten, die von der Task Force erwartet werden. Das ist primär ein Beitrag, dass wir an den Stellschrauben so drehen, dass wir wieder erfolgreich sind. Wichtig ist ein Schulterschluss zwischen Bundesliga und Nationalmannschaft – und dem DFB. Wir müssen loyal zusammenstehen zum Wohle des deutschen Fußballs. Es ist nicht mehr die Zeit für Egoismen.

Ein wichtiger Punkt dürfte die Nachwuchsarbeit sein, oder?

Es ist nach dem WM-Aus viel diskutiert worden. Wir waren nach dem Vorrunden-Aus bei der EM 2000, als ich damals auch in die erste Task Force berufen wurde, in einer größeren Krise als jetzt. Aber mit qualitativ guter und loyaler Zusammenarbeit haben wir es zügig geschafft, die Kurve zu kriegen. Liga und DFB haben wieder Rücksicht aufeinander genommen. Die Turniere danach waren – mit Ausnahme der EM 2004 – alle erfolgreich. Schon 2002 stand die Mannschaft, von Rudi Völler trainiert, im WM-Finale. Alles hat mit Qualität auf dem Platz zu tun. Und speziell in der Nachwuchsarbeit müssen wir zulegen.

Sie sind gerade in Katar, schauen die Halbfinalspiele und das Endspiel, treffen viele einflussreiche Leute im Fußball: Was haben die Teams, die noch im Turnier sind, der deutschen Mannschaft voraus?

Wir haben hier gute Vorbilder gesehen. Klar, die Kroaten haben jetzt gegen Argentinien deutlich verloren. Aber das ist ein kleines Land mit 3,9 Millionen Einwohnern, das hier im Halbfinale stand und 2018 im WM-Finale. Wir müssen über die Grenzen schauen. Es fällt auf, dass in Europa Länder wie Kroatien oder Portugal, keine großen oder reichen Länder, im Nachwuchsbereich in großer Quantität Qualität hervorbringen. 

DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke haben sich noch vor der Gründung des Expertenrates darauf festgelegt, Hansi Flick die Heim-EM 2024 anzuvertrauen. Sie kennen Flick gut, haben mit ihm eine Superzeit beim FC Bayern erlebt. Hat er diese zweite Chance als Bundestrainer verdient?

Ja klar, auf jeden Fall! Ich halte Hansi nach wie vor für einen hochqualifizierten Trainer, der auch der Richtige ist, diesen Neuanfang zu managen und zum Erfolg zu führen. Und darin sehe ich auch einen Teil meiner Aufgabe: Ich habe zu Hansi ein freundschaftliches, offenes und sehr ehrliches Verhältnis. Wir haben bei Bayern München sehr gut und vertrauensvoll zusammenarbeitet. Und das möchte ich auch hier in unserer Runde tun. Denn der Trainer ist ein ganz wichtiger Bestandteil des Erfolges. Mit Hansi und einem noch zu findenden weiteren sportlichen Part an seiner Seite kann man in die Erfolgsspur zurückfinden. Im Übrigen halte ich unsere Mannschaft nicht für so schlecht, wie die Ergebnisse der letzten Turniere waren.

Sie sprachen Mister X an. Es muss ein Nachfolger für Oliver Bierhoff gefunden werden, der nach der WM persönlich Konsequenzen gezogen hat. War die Trennung nach 18 Jahren Bierhoff beim DFB notwendig?

Er hat für sich diese Entscheidung gefällt. Er hat nach dem WM-Aus auch mit mir ein Gespräch geführt. Und ich glaube, er hat die für ihn richtige Entscheidung getroffen. 18 Jahre in einem Job sind per se im Fußball extrem lang. Und er hat ja auch glorreiche Zeiten erlebt. Ich bin überzeugt, dass er wieder im Profifußball auftauchen wird oder kann, wenn er das möchte. Die 18 Jahre sind jetzt vielleicht nicht so gut geendet, aber es zeichnet ihn auch aus, dass er für sich konsequent einen Schlussstrich gezogen hat.

Wie sollte das Profil des oder der Nachfolger aussehen? Haben Sie einen möglichen Kandidaten im Blick?

Wir müssen jetzt zunächst ein Jobprofil erarbeiten. Was muss derjenige können? Das macht man auch in der anderen DFB-Arbeitsgruppe, wo über die großen Aufgaben von Oliver Bierhoff – qualitativ und quantitativ – diskutiert wird und diese dann wohl auf mehrere Schultern verteilt wird. Aufgrund des Jobprofils müssen wir uns dann Kandidaten anschauen. Ich möchte jetzt keine Namen ins Spiel bringen. Das verbietet sich vor unseren Meetings. Wir müssen mit Diskretion vorgehen und dürfen uns auch nicht von den Medien treiben lassen. Präsident Bernd Neuendorf hat ja gesagt, man müsse jetzt ohne Hektik und mit Besonnenheit agieren.

«Zurück in die Weltspitze» hieß die Losung nach dem Ende der Ära Joachim Löw nach dem EM-Aus 2021. Nun steht Deutschland bei drei vermurksten Turnieren nacheinander. Wie weit weg von der Weltspitze ist der deutsche Fußball?

Ich habe hier in Doha viele namhafte Spieler von früher getroffen, viele Verbandspräsidenten. Der Respekt vor dem deutschen Fußball ist nach wie vor vorhanden, auch wenn wir in Katar keine gute Figur abgegeben haben. Wenn man jetzt klug, gut und konzentriert arbeitet, kommen auch wieder bessere Zeiten.


Welches Ziel kann man denn für die EM 2024 ausrufen?

Wir müssen uns davon lösen, dass es zuletzt vor jedem Turnier die Aussage gab: Wir spielen um den Titel mit! Wenn du dann dreimal früh nach Hause fährst, ist die Schadenfreude groß. Wir müssen mit Demut Fußball spielen. Und wir müssen wieder Herzblut reinbringen. Schauen Sie sich die Marokkaner an. Es wird wichtig sein, dass die Spieler und das Trainerteam in dieser Richtung mitarbeiten. Hier laufen tausende Argentinier mit dem Messi-Trikot durch Doha. Wir müssen zu einer Einheit zurückfinden in Deutschland. Wir müssen wieder, wie bei der Weltmeisterschaft 2006, in unserem Land dazu zurückkommen, dass sich die Menschen wieder mit der Nationalmannschaft freuen, sich mit ihr identifizieren, wieder mit Freude das Trikot tragen. Da geht es nicht um Marketing, nicht um Merchandising. Da geht es um Zusammenhalt.

Das Interview führte Klaus Bergmann, dpa.

Bildquelle:

  • Karl-Heinz Rummenigge: dpa

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