Italien droht die nächste Eurokrise

von MICHAEL STING

ROM – In den vergangenen Wochen gab es viele spannende Ereignisse in Italien, die die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen haben. Ein rechtes Parteien-Bündnis aus Fratelli d’Italia, der Lega von Matteo Salvini und Forza Italia von Silvio Berlusconi gewinnt die Wahlen. Giorgia Meloni von der Fratelli d’Italia wird damit die erste Ministerpräsidentin von Italien.

Wie erwartet kommt der große Aufschrei aus Deutschland

„Italien wird jetzt von Faschisten regiert“. Warten wir doch erst einmal ab, was die italienische Regierung tatsächlich macht!

Was aus meiner Sicht wesentlich spannender und relevanter ist, ist die finanzielle Entwicklung in Italien. Denn es sind nicht nur die offiziellen Staatsschulden, die derzeit massiv für Gesprächsbedarf sorgen. Seit August 2021 ist die Rendite zehnjähriger italienischer Staatspapiere von 0,56 Prozent auf 4,5 Prozent geklettert (Stand 24.10.2022). Das führt allein schon zu zwei Effekten:

1. Der italienische Staat muss deutlich mehr Ausgaben für Zinsleistungen einplanen, was bei einer Schuldenlast von 150 Prozent des BIP nicht gerade leichter wird. Auch wenn die Zinskosten von 66,5 Milliarden Euro auf ca. 50 Milliarden Euro für 2021 zwischenzeitig gesunken sind, ist nun wieder mit einem massiven Anstieg zu rechnen.

2. Im Zuge des Anstieges der Zinsen fällt gleichzeitig der Wert der italienischen Staatsanleihen, die überwiegend von italienischen Banken gehalten werden, die wiederum die Bilanzen der Banken belasten könnten. Nach Angaben des italienischen Bankenverbands waren es zuletzt 422 Milliarden Euro, die Italiens Geldinstitute besaßen. Da diese in einigen Fällen schwach aufgestellt sind, könnte das viele Banken in Schieflage bringen.

Doch es kommt noch ein Faktor hinzu, der bisher nahezu unbeobachtet bleibt.

Die Target-Schulden Italiens. Nach Informationen des ehemaligen Leiters des Ifo Institutes Hans Werner Sinn, beliefen sich die Target Schulden Italiens zum September 2022 auf 715 Milliarden Euro. Grundsätzlich messen Target-Salden Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den nationalen Notenbanken, die sich im Laufe der Zeit durch unausgeglichene Euroüberweisungen zwischen den Ländern aufbauen. Die jährlichen Änderungen der Salden messen die sogenannten Zahlungsbilanzsalden der jeweiligen Länder. (Zahlungsbilanzüberschuss = Leistungsbilanzüberschuss + privater und fiskalischer Kapitalexport). Ist die Zahlungsbilanz eines Euro-Landes negativ, schrumpft der Target-Saldo seiner Notenbank, ist sie positiv, steigt der Target-Saldo.

Im Rahmen der Null-Zins Politik der Europäischen Zentralbank EZB stellte dies kein Problem dar, weil Target-Verbindlichkeiten weder sofort fällig gestellt werden können und darüber hinaus nach dem Leitzinssatz zu verzinsen waren, der sich bei 0 Prozent befand. Bei einer derzeitigen Inflation in Europa von durchschnittlich 10 Prozent und der Tatsache, dass die amerikanische Zentralbank FED und die britische Notenbank bereits deutlich eher und höher ihre Zinsen angehoben haben, wird der EZB kaum etwas anderes übrigbleiben, als ebenfalls stark die Zinsen anzuheben. Wenn Sie nicht riskieren möchte, dass die Inflation aus dem Ruder läuft.

Für Italien deutet das, dass zusätzlich zu den aktuellen Zinsen für die Staatschulden vermutlich in den nächsten 1-3 Jahren weitere Zinslasten in Höhe von 20 – 40 Milliarden Euro dazu kommen, was zu einem Vertrauensbruch der Anleger führen könnte. Welche finanzpolitischen Folgen eine fehlstrukturierte Haushaltpolitik haben kann, konnte kürzlich noch unter den Steuersenkungsplänen der britischen Ex-Premierministerin Liz Truss beobachtet werden. Diese führten zu einem Einbruch der Rentenmärkte, der ein Eingreifen der britischen Notenbank erforderte.
Sollte Italien als Geberland der EU und des europäischen Rettungsschirms kippen, wird dies ebenfalls Auswirkungen auf die Finanzstabilität Deutschlands haben.
Und sollte Deutschland nicht mehr als internationaler Stabilitätsanker in Finanzen gelten, dann können wir uns nur noch an die Worte von Marcus Tullius Cicero halten:

Bildquelle:

  • Euro_Wäscheleine: dpa

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