von PETRA BUSCH, SILKE NAUSCHÜTZ & VERENA SCHMITT-ROSCHMANN
LEUNA/SCHWEDT – Mehr als 5000 Kilometer reicht die «Freundschaft»: die «Druschba»-Pipeline von Russland über Belarus nach Ostdeutschland. Seit knapp 60 Jahren sprudelt russisches Öl durch die Leitung.
Die Raffinerien in Schwedt an der Oder und Leuna bei Halle produzieren daraus Benzin, Diesel oder Heizöl für Tausende Tankstellen und Haushalte. Ist damit bald Schluss?
Zwar will die Bundesregierung wegen des Ukraine-Kriegs kein Embargo russischer Energie. Doch der Druck wächst. Der französische Ölkonzern Total schlägt bereits Pflöcke ein: Seine Raffinerie in Leuna will er künftig ohne russisches Öl betreiben. Die Entscheidung könnte weitreichende Folgen haben – auch für Preise und Verbraucher.
Wie stark hängt Deutschland am russischen Öl?
Im vergangenen Jahr stammte nach Angaben des Wirtschaftsverbands Fuels & Energie 34,2 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Rohöls aus Russland. Vom russischen Importrohöl kamen wiederum zwei Drittel über die Druschba-Pipeline, der Rest über den Seeweg. Ostdeutschland wird fast nur über die Druschba mit russischem Öl versorgt.
Es ist der Schmierstoff für wichtige Teile der ostdeutschen Wirtschaft. Hier arbeiten laut Branchenverband rund 54.500 Menschen in 160 Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Der Schwerpunkt ist das sogenannte Chemiedreieck Leuna, Schkopau, Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt und Böhlen in Sachsen. Eine wichtige Rolle spielen die beiden Raffinerien: die Total Energies Raffinerie Mitteldeutschland in Leuna und PCK Schwedt. Letztere wurde im vergangenen Jahr fast vollständig vom russischen Staatskonzern Rosneft übernommen – eine Beteiligung, die derzeit vom Bundeswirtschaftsministerium überprüft wird.
Was würde ein Ölembargo für Deutschland bedeuten?
Ein Importstopp für russisches Öl wäre aus Sicht von Experten weniger drastisch als etwa für Gas, weil Öl leichter auf dem Weltmarkt zu kaufen und einfacher zu transportieren ist. Dennoch rechnet Joachim Ragnitz, Vizechef des Ifo-Instituts Dresden, mit Auswirkungen auf Preise, auf die Versorgung mit Kraftstoffen und auf die Chemieindustrie.
Hendrik Mahlkow vom Kieler Institut für Weltwirtschaft kommt in einer Modellrechnung zu dem Schluss: «Deutschland wäre mit einer auf Dauer um 0,2 Prozent geringeren Wirtschaftskraft vergleichsweise gering betroffen.» Auch er erwartet steigende Preise. Doch ließe sich ein Ölembargo aus seiner Sicht mit staatlichen Hilfen für besonders Betroffene sowie Sparanreizen zur Senkung des Verbrauchs stemmen.
Und für Ostdeutschland?
Die Raffinerien in Schwedt und Leuna verarbeiten jeweils bis zu zwölf Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr aus der Druschba-Leitung. In Berlin und Brandenburg fahren neun von zehn Autos mit Kraftstoff aus Schwedt. Leuna beliefert rund 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.
Würde die Druschba versiegen, wäre eine Umrüstung nötig, wie IfW-Experte Mahlkow erläutert. «Die ostdeutschen Raffinerien sind spezifisch kalibriert auf Öl aus bestimmten Feldern in Sibirien. Sie umzustellen, wäre auf jeden Fall mit Investitionen verbunden.» Die Mehrkosten könnten bei Verbrauchern zu Buche schlagen. Zudem würde die Umstellung Zeit kosten. Derweil müssten Treib- und Heizstoffe über längere Distanzen aus anderen Raffinerien hergebracht werden – ebenfalls ein Kostenfaktor. In dem Fall könnten Preise an der Zapfsäule in Ostdeutschland noch etwas höher ausfallen als anderswo in der Bundesrepublik, erwartet Mahlkow.
Ifo-Fachmann Ragnitz sieht zudem Schwierigkeiten, die Lieferung von Rohöl auf den Seeweg umzustellen. «So viele Öltanker wird es nicht geben, um das in ausreichender Menge zu liefern», sagt er. «Und eine neue Pipeline kann man nicht von heute auf morgen bauen.»
Was hat Total entschieden?
Total hat die Weichen für die Raffinerie in Leuna mit ihren rund 660 Mitarbeitern trotzdem bereits in diese Richtung gestellt: Mit Ablauf dieses Jahres wolle man kein russisches Erdöl mehr kaufen, teilte der französische Konzern in dieser Woche mit. Künftig setze man auf Öl von «internationalen Märkten», das etwa über die Ostseehäfen Rostock und Danzig komme und in Pipelines eingespeist werde.
Ein 100-prozentiger Ersatz werde aber nicht möglich sein, erwartet Christof Günther, Geschäftsführer der Infraleuna, die die Infrastruktur am Chemiestandort Leuna betreibt. Er forderte Unterstützung vom Bund bei der Versorgung des Standorts und anderer Chemiefirmen in Ostdeutschland.
Ist in Schwedt Ähnliches zu erwarten?
Der russische Eigentümer der Raffinerie PCK wird kaum von sich aus auf Lieferungen über die Druschba-Leitung verzichten. Die Verunsicherung ist dennoch groß. In der Stadtverwaltung Schwedt steht das Telefon nicht mehr still, wie eine Sprecherin sagt. Schwedt mit heute etwa 30.000 Einwohnern wurde mit der Errichtung des Erdölverarbeitungswerks in den 60er Jahren erst geschaffen. Viele haben Fragen zur Zukunft der Raffinerie mit mehr als 1100 Mitarbeitern. Hinzukommen Zulieferer.
Stehen Jobs auf dem Spiel?
IfW-Experte Mahlkow ist recht zuversichtlich: «In den Raffinerien ist viel Kapital gebunden, die werden sich definitiv auf neue Lieferanten einstellen können. Da sehe ich mittelfristig keine Gefahr für die Arbeitsplätze.» Kurzfristig bräuchte man während der Umstellung möglicherweise Hilfen wie Kurzarbeitergeld. Die Folgen höherer Preise für diese und andere Branchen sind aber auch für Fachleute schwer einzuschätzen. Allein am Chemiestandort Leuna gibt es 100 Firmen mit 12.000 Beschäftigten. Sollten Raffinerien wirklich zeitweise vom Netz müssen, greift nach Angaben von Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach eine klare Rangfolge: Erst wird die Bevölkerung versorgt und erst in zweiter Linie die Wirtschaft.
Bildquelle:
- Pipeline «Druschba»: dpa