Lambrechts bitterer Abschied ist auch eine zweite Chance für den Kanzler

ARCHIV - Bundeskanzler Olaf Scholz muss über die Nachfolge an der Spitze des Verteidigungsministeriums entscheiden: Christine Lambrecht gibt auf. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

von MICHAEL FISCHER & CARSTEN HOFFMANN

BERLIN/ULM – Es ist ein Abschied voller Bitterkeit. Die schriftliche Erklärung, mit der Christine Lambrecht per E-Mail ihren Rücktritt als Verteidigungsministerin verkündet, besteht nur aus fünf Sätzen. Der zentrale lautet: «Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu.»

Mit anderen Worten: Die Medien sind schuld, jedenfalls in Lambrechts Welt. Mit diesen Medien will die scheidende Ministerin dann auch lieber nichts mehr zu tun haben. Auf eine Erklärung vor laufenden Kameras – wie sonst üblich – verzichtet sie. Erstmal abtauchen. Eine skurrile Amtszeit voller Pleiten und Pannen nimmt ein skurriles Ende.

Scholz erstmal auf ein Bier in der Brauerei «Gold Ochsen»

Für Kanzler Scholz ist das Scheitern der Ministerin, an der er sehr lange festgehalten und die er kurz vor Weihnachten sogar noch als «erstklassig» gelobt hat, eine Niederlage und eine Chance zugleich. Eine Niederlage, weil er Lambrecht ausgesucht hat. Eine zweite Chance, weil er mit dem Personalwechsel die stockende Zeitenwende bei der Bundeswehr nun vielleicht wieder in Schwung bringen kann.

Zunächst einmal lässt er sich aber nicht aus seiner Routine bringen. Wie geplant reist er nach Ulm und genehmigt sich im Gärkeller der Brauerei «Gold Ochsen» ein Vollbier – als wenn nichts gewesen wäre. Fragen zu Lambrecht lässt er zunächst einmal an sich abprallen. Das hat er schon am Wochenende bei der Eröffnung eines LNG-Terminals in Lubmin geübt.

Nachfolge «wird sehr schnell für alle bekannt werden»

Erst bei seinem Besuch des Rüstungsunternehmens Hensoldt zollt der Kanzler Lambrecht «hohen Respekt» und dankt ihr für ihre Arbeit. Er habe «eine klare Vorstellung», wie es weitergehen soll, sagt er dann noch. «Das wird sehr schnell für alle bekannt werden.» Dürfte heißen: Möglichst noch vor der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion am Dienstagnachmittag und der nächsten Kabinettssitzung am Mittwochfrüh.

Im Verteidigungsministerium stellt man sich auf eine Amtsübergabe am Mittwoch ein. Am Donnerstag steht für den Neuen oder die Neue dann schon der erste Termin an: US-Verteidigungsminister Lloyd Austin ist in der Stadt, Vorbesprechung für den Waffen-Gipfel der Ukraine-Verbündeten auf dem rheinland-pfälzischen US-Stützpunkt Ramstein.

Spekulationen verdichten sich noch nicht

Die Spekulationen über die Nachfolge verdichteten sich am Montag noch nicht so richtig. Fünf Namen wurden weiterhin genannt – drei Männer und zwei Frauen:

– Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, einer der engsten Vertrauten von Scholz, der schon seit 20 Jahren mit ihm zusammenarbeitet, aber in der Regierungszentrale auch schwer entbehrlich ist.

– Arbeitsminister Hubertus Heil, den Scholz vor einem Jahr als erfahrenes «Schlachtross» in seinem Kabinett vorstellte, der aber nicht als besonders sachkundig in Verteidigungsfragen gilt.

– Lars Klingbeil, Sohn eines Soldaten, verteidigungspolitisch topfit, aber eben gerade erst vor einem Jahr SPD-Vorsitzender geworden – auch ein wichtiger Job.

– Eva Högl, als Wehrbeauftragte Anwältin der Soldaten und Wunschkandidatin so einiger Verteidigungsexperten.

– Siemtje Möller, jetzt schon Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium und vertraut mit dem Apparat, aber auch noch nicht allzu lange im Geschäft.

Oder wird es doch Mister oder Madam X? «Bild» berichtete am Nachmittag, Schmidt, Klingbeil und Heil seien aus dem Rennen. Andere Medien schrieben, Högl werde es wohl nicht werden. Scholz hat es bisher ganz gut geschafft, bei seinen Personalentscheidungen nichts vorzeitig durchsickern zu lassen. Als er nach den Koalitionsverhandlungen Ende 2021 seine Ministerriege vorstellte, blieben die Entscheidungen bis zur offiziellen Vorstellung einem kleinen Kreis vorbehalten. So wird er es auch jetzt halten wollen.

Verbündete hoffen auf deutsche Führungsrolle

Die Entscheidung muss diesmal jedenfalls sitzen. Es ist Krieg in Europa. Kaum ein Kabinettsposten ist so wichtig wie dieser. Es geht darum, viele Milliarden Euro sinnvoll auszugeben, um die Bundeswehr fit für die neue Bedrohungslage zu machen.

Und auch international sind die Erwartungen an den Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums groß. «Ich hoffe, dass ihr Nachfolger das nötige Format mitbringt, um Deutschland zu einer Führungsrolle innerhalb der NATO zu verhelfen», sagte der ehemalige Oberkommandeur der US-Truppen in Europa, Ben Hodges, dem «Stern». Die erste Feuerprobe für den neuen Minister oder die neue Ministerin steht schon am kommenden Freitag an, wenn es in Ramstein darum geht, ob die Ukraine Leopard-2-Kampfpanzer bekommen soll.

Bildquelle:

  • Lambrecht und Scholz: dpa

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