Leistete ehemalige KZ-Sekretärin Beihilfe zu 11.000 Morden?

ARCHIV - Besucher gehen am Eingang des Stutthof Museums in Sztutowo (Polen) vorbei, in dem an die Verbrechen im ehemaligen deutschen Konzentrationslager Stutthof erinnert wird. Foto: Piotr Wittman/PAP/dpa

ITZEHOE – Wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen muss sich von Donnerstag an eine ehemalige KZ-Sekretärin vor dem Landgericht Itzehoe verantworten.

Die heute 96 Jahre alte Irmgard F. arbeitete von Juni 1943 bis April 1945 in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig. Ihr wird zur Last gelegt, als Stenotypistin und Schreibkraft den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet zu haben.

Gaskammer und Genickschussanlage

Im KZ Stutthof und seinen Nebenlagern sowie auf den sogenannten Todesmärschen zu Kriegsende starben nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen Zentralstelle in Ludwigsburg etwa 65.000 Menschen.

Im Juli 2020 hatte das Landgericht Hamburg einen ehemaligen Wachmann in Stutthof zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sprach den 93-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen schuldig – mindestens so viele Gefangene wurden nach Überzeugung der Strafkammer während der Dienstzeit des Angeklagten 1944/45 in Stutthof ermordet.

Die meisten Opfer starben in Folge der lebensfeindlichen Bedingungen im sogenannten Judenlager von Stutthof. Mindestens 200 wurden in der Gaskammer und einem verschlossenen Eisenbahnwaggon mit Zyklon B umgebracht. 30 wurden in einer geheimen Genickschussanlage im Krematorium des Lagers getötet. «Sie haben diesem Sterben zugesehen damals und es bewacht», hatte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring in der Urteilsbegründung gesagt.

Höhere Messlatte für Schreibtischtäter

Der Angeklagte Bruno D. hatte nach eigenen Angaben mit einem Gewehr auf den Wachtürmen Dienst geleistet. Sein Verteidiger Wolf Molkentin sagte dem Magazin «Spiegel», Beihilfe zu tausendfachen Mord könne auch vom Schreibtisch aus erfolgen. Bei einer Schreibkraft könnte die Messlatte für eine strafrechtliche Verantwortung jedoch höher anzulegen sein. «Vorliegend wird es auch darauf ankommen, ob eine Kenntnis von den Mordmerkmalen, Grausamkeit oder Heimtücke, vorlag. Sonst bliebe nur Beihilfe zum Totschlag, das wäre dann verjährt.»

Wie der Prozess gegen D. wird auch das Verfahren gegen F. vor einer Jugendkammer stattfinden, weil die Angeklagte zur Tatzeit erst 18 beziehungsweise 19 Jahre alt war. Für den ersten Prozesstag ist nur die Verlesung der Anklage geplant. Die Strafkammer hat 26 weitere Verhandlungstermine bis Anfang Juni nächsten Jahres angesetzt.

Bildquelle:

  • Eingang des Stutthof-Museums: dpa

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