Gastbeitrag von DR. ALBERT WUNSCH
BERLIN – Beim Umgang der Bundesregierung mit der durch den Ukraine-Krieg verschärften Energie-Knappheit und der damit verbundenen rasanten Energie-Verteuerung fällt auf, dass sich die bisherigen politischen Initiativen auf düstere Prophezeiungen konzentrierten. Hier ein Auszug:
„Die Energiekrise macht vielen Angst“, sagt der Sozialverband VDK, „die Menschen fürchten, im Winter in kalter Wohnung Not zu leiden.“ Aus Bayern ist zu hören, dass ein „Herzinfarkt für die Wirtschaft“ befürchtet wird, die Bundesinnenministerin warnt vor Unruhen, Brandenburgs Verfassungsschutzchef topt die Unheil-Dramaturgie mit: „Extremisten träumen von einem deutschen Wutwinter“ und Wirtschaftsminister Habeck legt noch einen drauf: „Wir müssen uns auf das Schlimmste einstellen.“
Doch, was bringen uns diese düsteren Prophezeiungen?
Durch finanzielle Hilfs-Pakete wird keine Energie eingespart
Um Existenz-Ängste der Bürger abzufedern wird nun verkündet, dass Heizungen im Wohnbereich Vorrang haben. Und aus Industrie und Gewerbe kommt die Replik, dass arbeitslos gewordene Beschäftigte im warmen Zuhause auch kein Überlebenskonzept für den Wirtschafts-Standort Deutschland darstellen. Was also ist zu tun? Wie kann eine konsumgeprägte und verzichtsungeübte Überfluss-Gesellschaft im Schnell-Verfahren motiviert werden, das Einsparen von Energie zu erlernen?
Es ist offenkundig, dass die deutsche Politik die aktuelle Krise nur unter dem Aspekt der Versorgungs-Probleme und des zu hohen Preises angeht und ein nachhaltiges politisches Krisen-Management fehlt. „Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne Panikmache: Spätestens im Februar seien die Gasspeicher leer. Kluge Politik würde nach dem Schock Zukunfts-Visionen entwickeln“, so die Berliner
Publizistin Margaret Heckel
Dass wir als Gesellschaft unabhängig von den Folgen des Ukraine-Krieges schon seit vielen Jahren unseren Energie-Verbrauch drastisch senken müssen, wird komplett ausgeklammert. Denn würden alle Menschen so leben wie die Deutschen, wäre schon am 4. Mai das Ressourcen-Budget fürs gesamte Jahr 2022 nach Berechnungen des Global Footprint Network aufgebraucht. Deutschland muss/müsste deshalb – wie alle Industrieländer – seit Jahren den Verbrauch drastisch reduzieren, um nicht weiter auf Kosten der ‚Ärmeren’ zu leben. Stattdessen setzte ein Energie-Beschaffungs-Tourismus ein.
Wer den Wert nicht kennt, wird auch keine Verbrauchs-Verantwortung entwickeln
Seit über 15 Jahren greife ich das Thema Nachhaltigkeit auch innerhalb meiner Lehrtätigkeit an verschiedenen Hochschulen auf. Erschreckend ist, dass fast keiner der Studenten wusste, welche Menge an Strom, Wasser Gas oder Öl sie selbst im eigenen Haushalt pro Tag oder Jahr verbrauchen und auch keine Kenntnis von den Energie-Preisen hatten. Wer aber den Wert von etwas nicht kennt, kann auch kein Verantwortungs-Bewusstsein für einen reduzierten Verbrauch entwickeln. Nach den dabei entstandenen Erkenntnissen wäre der Verbrauch von Strom, Wasser, Gas und Öl in einem ersten Schritt relativ leicht um 15 bis 20 Prozent zu reduzieren, ohne das dies zu spürbaren Veränderungen des Lebens-Standards führt. Das ist fast jene Menge, welche für den Winter fehlt
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‚Bitte-Bitte-Einspaar-Appelle’ belegen politische Handlungs-Unfähigkeit
Das Ziel aller gesellschaftlichen Kräfte müsste sein, ohne Zwang, Verbote oder Verordnungen, aber auch ohne ‚Bitte-Bitte-Einspaar-Appelle’ einen Rahmen für eine deutliche Reduktion des Energie-Verbrauchs zu schaffen. Dies kann am wirksamsten durch verantwortlich handelnde Menschen geschehen. Brechen wir dazu die aktuelle gesellschaftliche Situation auf einen kleinen Ort herunter!
Aufgrund einer Katastrophe ist eine Versorgung von außen über mehrere Tage nicht zu erwarten. Als erstes – so der normale Menschenverstand – wird gesichtet, welche Grundversorgungsmittel existieren. Dann werden diese in Relation zu den Personen und der erwarteten/befürchteten Notzeit gesetzt. Und alle werden darauf achten, dass pro Tag nicht mehr verbraucht wird, als eingeplant. Wahrscheinlich werden sich viele bemühen, noch etwas weniger zu verbrauchen, um so einen kleinen Puffer zu haben.
Wenn Mangel existiert, wird sorgsam rationiert
Meistens wird bei Energiemangel diese einfach für Stunden gesperrt. Das trifft Sparsame wie Viel-Verbraucher gleichermaßen und ist damit zutiefst ungerecht. Stattdessen ist die Entwicklung einer wirksamen Eigenverantwortung notwendig. Diese entwickelt sich besonders schnell, wenn die positiven bzw. negativen Folgen des eigenen Verhaltens möglichst zeitnah bei den Handelnden ankommen. Wird dieser Grundsatz der Lern- und Motivations-Theorien auf die seit Jahren notwendigen Reduktion der verbrauchten Energie-Mengen angewendet, dann ist das wirksamste Mittel, den seit Jahren steigen Energieverbrauch und aktuell die fast täglich steigenden Energiekosten dadurch zu reduzieren, indem pro Kopf ein ausreichender Basis-Tages-/Jahres-Verbrauch zu einem erschwinglichen Grundpreis angeboten wird und alle höheren Verbräuche innerhalb von stark ansteigen Tarifen immer teurer werden. Mit einem solch attraktiven Sparanreiz ist am Ehesten ein drastische Energie-Ersparnis zu erreichen. Auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (ifw) verdeutlicht die Wichtigkeit von progressiven Tarifen. Und Attac „vermisst progressive Tarife“, weil wir „als Gesellschaft unseren Energieverbrauch senken müssen“.
Stark progressive Tarife schaffen Kosten-Vorteile für die Sparsamen
Die Folge bei der Energie-Nutzung wird dann sein, dass die Sparsamen recht passabel über die Runden kommen und die Viel-Verbraucher durch den Progressions-Tarif deutlich mehr zahlen und so den Preis des Grund-Kontingentes mit subventionieren. Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, dieses Verbrauchs-Reduktions-Modell einzuführen. Dann kann bis zum Winter kräftig gespart und eine neue Sorgfalt erlernt werden. Dazu ist das Agieren der Unbedarften bzw. Zauderer’ in der deutschen Politik zu überwinden. Denn: Ob E-Autos, Solar-Dächer, Wärmedämm-Maßnahmen oder Heizungs-Umrüstungen, ohne finanzielle Anreize hätte sich hier wenig getan. Wird dieser Handlungsansatz im Energiebereich angewendet, bräuchte auch Deutschland im Winter nicht zu „bibbern“, wie dies von Vielen befürchtet wird.
© Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 17
Albert Wunsch ist promovierte Erziehungswissenschafter und Psychologe, Supervisor (DGSv), Konfliktcoach, Erziehungs- und Paar-Berater (DGSF). Seit über 10 Jahren ist er an der Hochschule für Oeconomie und Management (FOM) in Neuss und Düsseldorf tätig. Vorher leitete er ca. 25 Jahr das Katholische Jugendamt in Neuss und lehrte anschließend für 8 Jahre hauptamtlich an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen (KatHo) in Köln. Daneben hatte er über 30 Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni sowie der FH Düsseldorf und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter Die Verwöhnungsfalle, Abschied von der Spaßpädagogik, Mit mehr Selbst zum stabilen ICH! Resilienz als Basis der Persönlichkeitsentwicklung oder Boxenstopp für Paare. Diese Publikationen und seine Fachvorträge lösten ein starkes Medienecho aus. Er ist Vater von zwei Söhnen und Großvater von drei Enkeltöchtern.
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- Heizkörper: pixabay