Möge der Bessere gewinnen? Wo leben Sie denn?

Liebe Leserinnen und Leser,

es scheint, als wäre die vergangene Nacht ruhig geblieben. Jedenfalls konnten wir am frühen Morgen keine nennenswerten Ausschreitungen marokkanischer Fußball-Fans irgendwo feststellen. Dabei war genau das befürchtet worden im Vorfeld des Halbfinalspiels zwischen Marokko und Frankreich.

Frankreich war einst Kolonialmacht in Marokko, Millionen Marokkaner leben heute in Frankreich. Und in den französischen Großstädten gibt es heute Stadtteile, in denen man auch beim besten Willen nicht mehr den Eindruck haben könnte, dass man sich in einem westeuropäischen Land befindet. Stadtteile? Nein, das ist zu niedlich. Es gibt Landnahme.

Nach ihrem 2:0 Vorrunden-Sieg Marokkos bei der WM gegen Belgien brannten in Brüssel anschließend Container, Autos und E-Roller, Marokkaner warfen mit Steinen und Flaschen auf die Polizeikräfte, die Stunden brauchte, um mit massivem Einsatz die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Ja, wird der ein oder andere von Ihnen jetzt denken, es gab doch schon immer Schlägereien rund um große Fußballspiele. Wegen eines verlorenen Länderspiels gab es vor Jahrzehnten in Mittelamerika sogar mal einen echten Krieg. Und auch heute treffen sich deutsche Hooligans vor Bundesligaspielen bisweilen auf einem Parkplatz oder Feld, um sich vorm Anpfiff gepflegt auf die Fresse zu hauen – nicht wegen ihrer unterschiedlichen Trikots, sondern als eine Art Kontaktsport.

Doch das hier ist anderes, der erkennbare Aufwind, den die Mannschaften aus Afrika und Arabien haben (außer Katar natürlich), wird dort vielfach nicht einfach als sportlicher Erfolg harter Trainingsarbeit gesehen, sondern als Kräftemessen mit dem verhassten und wohlhabenden Westen. Huntingtons „Clash of Civilizations“ ist real, es läuft bereits auf vielen Ebenen. Auch im Sport.

Haben Sie gestern Abend bei der Fußballübertragung die demonstrative stimmgewaltige Übermacht der 30.000 marokkanischen Fans im Stadion bemerkt, und die kleine Schar der in Trikolore gewandeten Fans der einstigen Grande Nation? Das ist nicht ehrenrührig. Wenn Schalke 04 im Pokal beim SV Sandhausen antritt, oder – um meinen Verein mal wieder zu erwähnen – die Spielvereinigung Unterhaching in Bielefeld antreten musste und dabei von 40 Fans begleitet wurde, dann ist das von der Stimmung im Stadion eine klare Sache.

Aber gestern, das klang für mich nicht nur nach einem Fußballspiel, das klang wie eine Kampfansage. An die einstige Kolonialmacht, aber auch an den Westen insgesamt. An uns.

Mit besorgten Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.