Next Stop Taipei?

Die glitzernde westliche Metropole Taipeh.

von AKIO TANAKA (TOKYO)

TAIPEH – Was ist der Unterschied zwischen der Ukraine und Taiwan? Die Antwort: 180 Kilometer. Das ist die Breite der Meeresstraße (Taiwan-Straße oder Straße von Formosa), die den kleinen freien Inselstaat von China trennt. Trotz exzessiver Aufrüstung der letzten Jahre ist die chinesische Flotte noch nicht so weit, eine Invasionsarmee sicher oder mit verkraftbaren Verlusten über diese 180 Kilometer bringen zu können – soweit die Taiwanesen willens sind, sich zu verteidigen. Ihr Land mit seinen 23 Millionen Einwohnern heißt offiziell noch immer „Republik China“, was ein ständiger und für alle sichtbarer Beleg dafür ist, dass dieses unabhängige Gemeinwesen niemals zur „Volksrepublik China“ gehört hat.

Es hat durchaus auch Mittel, um sich gegen eine Aggression zu wehren. Seine kleine Marine verfügt – als nur eine von zwei weltweit – über selbst entwickelte Anti-Schiffs-Raketen, die überschallschnell fliegen und schon serienmäßig im Einsatz sind. Das andere Land, das so etwas schon im Einsatz hat, ist übrigens Russland.

Die Abschreckung eines chinesischen Angriffs hängt also außer von der immer etwas sibyllinisch-zweideutigen Rückendeckung Amerikas, vor allem vom Verteidigungswillen der Taiwanesen selbst ab. Und der scheint noch zuzunehmen, insbesondere seitdem Peking die Hong Kong-Frage auf gewohnt brachiale Weise in seinem Sinne gelöst hat. Die tapfere Gegenwehr der Ukrainer, die angesichts der russischen Übermacht ähnlich unterlegen sind, wie es Taiwan gegenüber China wäre, hat auf der Insel Bewunderung und spontane Sympathiebekundungen ausgelöst. In Peking dagegen, so meint man in Taiwan zu wissen, herrscht darüber tiefes Missfallen. Man wünsche sich dort, Putin brächte die Sache schnell zu Ende, damit kein abschreckendes Beispiel entsteht.

Die chinesische KP schaltet gegenüber Taiwan regelmäßig zwischen Drohung und Lockung hin und her. In letzter Zeit kam schon mal beides gleichzeitig, vielleicht ein Regiefehler der propagandistisch durch Olympia und Ukraine stark belasteten Agitprop-Maschine der Partei. So malte die chinesische Propaganda gerade in den vergangenen Wochen wieder einmal die gemeinsame Zukunft aller Chinesen, diesseits und jenseits der Taiwan-Straße, in den buntesten Tönen: Welche Segnungen die Taiwanesen erwarteten, wenn sie nur heim ins Reich kämen. Ruhm, Geld und Ehre allen „Landsleuten“, die darauf abfahren! Träumt mit uns den chinesischen Traum! Aber harte Strafen für alle Volksverräter! Für rot-chinesische Verhältnisse ist das als Lockung und wohlwollendes Angebot zu verstehen.

Doch nur wenige Tage nachdem Putins Truppen die Invasion der Ukraine begonnen hatten, schrieb die Pekinger „Volkszeitung“ den ewig störrischen Taiwanesen noch etwas ins Stammbuch: Genau wie den Ukrainern werde es auch ihnen ergehen, wenn sie sich nicht bald ergeben!

Als dieser Tage eine hochrangige Delegation des US-Präsidenten Biden in Taipei war, außerdem noch Ex-Außenminister Pompeo, der vor laufenden Kameras von der taiwanesischen Präsidentin Tsai mit einem hohen Orden ausgezeichnet wurde, da fiel die mediale Reaktion Pekings erstaunlich verhalten aus. Kaum mehr als die üblichen Proteste, obwohl es die Amerikaner dieses Mal mit der Hochrangigkeit der Besucher aus Pekinger Sicht eigentlich zu weit getrieben hatten. So viel Gelassenheit in Peking? Aber dann gab es einen plötzlichen Stromausfall in Taiwan, der fast ein Drittel des ganzen Landes betraf, worunter auch die mediale Nutzung der Ehrung Pompeos zu leiden hatte. Wohl nur ein Zufall. Was sonst? Die meisten Taiwanesen sind jedenfalls weiter erstaunlich entspannt, mehr noch als die Ukrainer vor dem 24. Februar waren.

Bildquelle:

  • Taipeh_3: pixabay

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren