von DR. STEFAN GEHROLD (USA)
WASHINGTON/MIAMI – Beim wöchentlichen Treffen meines Rotaryclubs in Florida wird nach dem Gebet und dem Eid auf die amerikanische Flagge (pledge of allegiance) ein Lied gesungen. Unser Freund Mark suchte das Lied aus und stimmt es an.
„Zeit für ein bisschen Patriotismus“, meint er. Gesungen wird heute „I’m proud to be an American“ von Lee Greenwood, ein Dauerbrenner aus dem (Reagan-) Jahr 1984. Und im Refrain sangen wir: „Ich bin stolz, ein Amerikaner zu sein, wo ich zumindest weiß, dass ich frei bin.“
Nichts versinnbildlicht die amerikanische Mentalität deutlicher, als diese Zeile. Nichts trieb die Millionen von Menschen mehr zur Auswanderung in die USA, als dieser Traum von der großen Freiheit. Unabhängig davon, ob sie aus Asien, Afrika, Südamerika oder eben, wie die meisten, aus Europa kamen. Bis heute.
Endlich frei von Bevormundung, frei von Klassenunterschieden, frei von sozialen Zwängen.
Und so verwundert es nicht, dass heute viele amerikanische Politiker einen Migrationshintergrund haben.
Bei den Präsidenten in jüngerer Zeit ist geradezu auffällig, dass ihre Familien eine nur sehr kurze amerikanische Historie haben. Barack Obama ist first generation American. Sein Vater kam aus Afrika.
Donald Trump – „der Deutsche“ – hat nur eine weitere Generation dazwischen aufzuweisen. Er ist also second generation.
Joe Biden ist eher ein Immigrantenkind aus frühen Zeiten, ebenso wie Obamas Vorgänger Bush und Clinton. Aber immerhin: Der Besuch des Katholiken Biden in seiner irisch-katholischen „Heimat“ war nach seinem Bekunden ein besonderes Ereignis.
Alle eint jedoch, unabhängig von Länge der Familienhistorie in den USA, das uneingeschränkte Bekenntnis zu dem Land und seinen Werten, das ihre Vorfahren als Heimat wählten. Keine Rede eines amtierenden Präsidenten, die nicht mit den Worten „Gott segne Amerika“ endet.
Und nun: Nikki Haley!
Eigentlich: Nimarata Nikki Randhawa (verheiratete Haley). Geboren in Bamberg. Ach so? Aber eben nicht im fränkischen Bamberg, sondern in Bamberg/South Carolina.
Ihre Eltern waren Sikhs aus Punjab. Ihr Vater erhielt ein Stipendium für eine Universität in Kanada und zog 1969 nach South Carolina. Gerade rechtzeitig. Denn Nimarata wurde 1972 geboren. Und nach amerikanischem Recht können nur in Amerika geborene Staatsbürger das höchste Amt bekleiden.
Damit war seinerzeit auch der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger, den Manche durchaus für geeignet hielten, aus dem Rennen.
Nikki Haley studierte an der Clemson Universität Rechnungswesen und schloss das Studium 1994 ab. Die Eltern, deren Karriere eigentlich rein akademisch war, eröffneten in den 80ern ein Damen-Bekleidungsgeschäft. Ihre Tochter übernahm nach dem Studium die Buchhaltung und engagierte sich in Verbänden. So war sie zeitweise im Landesvorstand der amerikanischen Unternehmerinnen-Vereinigung.
1996 heiratete sie Michael Haley
Ab 2005 begann die politische Karriere als Abgeordnete im Repräsentantenhaus South Carolinas. Dort war sie die erste Parlamentarierin indischer Herkunft.
Sie gab an, dass Hilary Clinton sie zum Eintritt in die Politik bewogen hätte. Sie setzte sich insbesondere für eine Reform der Schulbildung und die Herabsetzung der Grundbesitzsteuer ein.
2011 wurde sie Gouverneurin in South Carolina, obwohl zunächst ihre Nominierung für die Republikaner aussichtslos schien. Unterstützt wurde sie von ihrem Vorgänger im Amt, Mark Sandford, sowie ihren Parteifreunden Mitt Romney (der ein Jahr später gegen den amtierenden Präsidenten Obama antrat) und Sarah Palin, die als Vizepräsidentin in einem Kabinett McCain vorgesehen war.
Nikki Haley war die jüngste Gouverneurin der Vereinigten Staaten, die erste überhaupt in South Carolina und nach ihrem republikanischen Parteifreund Bobby Jindal aus Louisiana die erste Gouverneurin indischer Herkunft in den USA.
Sie gewann 2014 erneut die Wahlen. Nach dem Ende ihres Mandats war sie Botschafterin der Vereinigten Staaten bei der UNO.
Nikki Haley ist derzeit Mitglied des Stiftungsrates ihrer Universität Clemson und aktiv in der von ihr gegründeten Organisation „Stand for America“. Auch Nikki Haley ist ohne Zweifel stolz Amerikanerin zu sein. Das Lied Lee Greenwoods kann sie vermutlich auswendig.
Im Februar gab sie als zweite Republikanerin nach dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump bekannt, sich 2024 für das Amt des Präsidenten bewerben zu wollen.
Nikki Haley trat in ihrer politischen Karriere für klassische republikanische Positionen ein: Niedrige Steuern, freie Schulwahl (inklusive der Wahl der Eltern, ihre Kinder selbst beschulen zu können), unbedingte Umsetzung der Regelungen zur Einwanderung mit klarem Bekenntnis zur Abschiebung illegaler Zuwanderer, gegen eine Liberalisierung der Abtreibungsvorschriften. Sie ist entschiedene Befürworterin israelischer Interessen und wendet sich (auch deshalb) gegen jegliche Kooperation mit der jetzigen iranischen Führung. In ihrer Zeit als Botschafterin verantwortete sie den Rückzug der USA aus dem UN-Menschenrechtskomitee. Das sei „chronisch anti-israelisch“.
„Wie hältst Du’s mit Trump?“
In einer typischen, dem rationalen Zugriff entzogenen, germanischen Debatte scheint nur noch die Antwort auf diese Frage zu interessieren, wenn es um die USA geht.
Also bitte: Nikki Haley war zunächst kritisch. Im Wahlkampf 2016 unterstützte sie Marco Rubio aus Florida. Sie unterstellte Trump indirekt Rassismus. Nach dessen Sieg in den Vorwahlen stimmte sie dann für ihn, war aber angeblich „kein Fan“. Während Trumps Amtszeit lobte sie dessen Politik wiederholt. Obwohl seine Rhetorik nicht hilfreich wäre, würde seine Politik dem Land helfen. Trumps Rolle beim „Sturm auf das Kapitol“ am 6. Januar 2021 kritisierte sie. Vor allem aber war sie über den Bruch Trumps mit dem ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence verärgert.
Wird Nikki amerikanische Präsidentin?
Nikki Haley werden trotz einer beeindruckenden Karriere derzeit nur Außenseiterchancen eingeräumt. Warum? Die Konkurrenz ist stark und wird stärker werden. Vor allem innerhalb der Partei. Derzeit ist offiziell nur Donald Trump im Rennen. Seine feste Basis innerhalb der bei den Vorwahlen als wahlberechtigt eingetragenen Republikaner wird auf 30 Prozent geschätzt. Damit hat er einen großen Vorsprung, auch wenn sein Potential nach oben nicht mehr signifikant ist. Zumindest zwei weitere Republikaner mit starkem Potential werden als Kandidaten erwartet: der ehemalige Vizepräsident Mike Pence und Gouverneur Ron DeSantis aus Florida.
Pence galt und gilt als prinzipienstarker Konservativer klassischer Prägung. Die unbestreitbaren Erfolge der Trump-Amtszeit werden häufig auf ihn zurückgeführt.
Und dann ist da noch Ron DeSantis
Auch er ist Kind und Enkel von Zuwanderern. Alle acht Urgroßeltern waren geborene Italiener. Anekdote am Rande: DeSantis wäre der erste katholische republikanische Präsident, und erst der dritte Katholik im Amt überhaupt. In einem Land, in dem Katholiken sicher bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch als „unamerikanisch“ galten, ist das kein unbedeutender Faktor. Der erste, John F. Kennedy, hatte exakt mit diesen Vorurteilen zu kämpfen.
DeSantis ist ein Macher. Seinem ersten Erfolg folgte im vergangenen Jahr ein Erdrutschsieg bei der Wiederwahl. Florida ist der drittgrößte amerikanische Staat. 7.000 bis 8.000 Menschen ziehen pro Tag nach Florida. Florida ist schuldenfrei. Die Wirtschaft brummt. Niedrige Steuern, das gute Bildungssystem, das Wetter, sind attraktiv.
Nikki Haley wird es nicht einfach haben. Kämpfen, so sagt sie, musste ich immer. Unterschätzen sollte man sie in keinem Fall.
Bei ihrer ersten Wahl zur Gouverneurin in South Carolina gab man ihr zunächst keine Chance. 2014, bei ihrer Wiederwahl gewann sie (erneut) gegen ihren demokratischen Widersacher Vincent Sheheen so überzeugend, dass sich die Beobachter die Augen rieben.
Sicher ist, dass nach der Wahl 2024 nur noch wenige fragen werden: Nikki wer?
Bildquelle:
- Nikki_Haley_4: thegermanz