Recherchierte die Polizei zu schlampig beim Amokschützen von Hamburg?

Blumen und Kerzen vor dem Eingangsbereich des Gemeindehauses der Zeugen Jehovas. Foto: Christian Charisius/dpa

von BERNHARD SPRENGEL & MARTIN FISCHER

HAMBURG – Eine ergebnislose Onlinerecherche der Hamburger Waffenbehörde zur Zuverlässigkeit des späteren Amokläufers Philipp F. sorgt fünf Tage nach der Bluttat mit acht Toten für Diskussionen. Während Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer weiterhin keine Fehler der Waffenbehörde erkennen kann, fordern Oppositionspolitiker in der Bürgerschaft eine Aufklärung des Vorgehens.

Hintergrund ist ein Buch von Philipp F., in dem dieser wirre religiöse Thesen auch im Zusammenhang mit dem Holocaust äußert. Ein anonymer Hinweisgeber hatte zwei Monate vor der Tat auf eine mögliche psychische Erkrankung und Gefährlichkeit des 35-Jährigen aufmerksam gemacht und das Buch als Beleg angeführt.

Keine Auffälligkeiten festgestellt

Zwei Beamte der Waffenbehörde seien den Hinweisen nachgegangen, hätten bei dem Sportschützen aber keine Auffälligkeiten festgestellt, sagte Meyer. Unter anderem hatten sie eine unangekündigte Kontrolle in der Wohnung von Philipp F. vorgenommen und dabei die ordnungsgemäße Aufbewahrung von Waffe und Munition überprüft.

In Vorbereitung des Besuchs hätten sie im Internet auch zu dem Buch recherchiert, sagte Meyer. Eine Google-Suche, bei der sie lediglich den Namen des späteren Täters und den Suchbegriff «Buch» eingegeben hätten, habe aber zu keinem Ergebnis geführt. Laut Polizei wurde das Buch seit Dezember 2022 über die Handelsplattform Amazon vertrieben.

Die Beamten hätten bei der Überprüfung den rechtlich möglichen Rahmen ausgeschöpft, sagte Meyer. Insofern könne er ihnen «keine Vorwürfe machen». Er räumte aber ein, dass der Inhalt des Buchs, wäre es ausgewertet worden, möglicherweise Anlass für weitere Maßnahmen der Waffenbehörde gegeben hätte.

«Es ist richtig, dass wir nach einer solchen Tat kritisch hinterfragen, hat die Waffenbehörde hier alles richtig gemacht», sagte Innensenator Andy Grote (SPD). «Nach allem, was ich bisher gehört habe, habe ich keinen Anlass an der Bewertung zu zweifeln, dass hier ordentlich gearbeitet wurde.» Erneut machte Grote sich für eine Verschärfung des Waffenrechts stark. Unter anderem müsse ein psychologisches Gutachten für alle, die eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragen, Pflicht werden.

Kritik an Waffenbehörde

Der Ruf von Grote und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach einer Verschärfung des Waffenrechts sei grundsätzlich sinnvoll, «steht aber im Hamburger Fall nicht im Mittelpunkt, da nicht einmal das bestehende Recht ausgeschöpft wurde», sagte der Innenexperte der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Gladiator. «Eine einfache Internetrecherche hätte ausgereicht, um das vom Amokläufer Philipp F. verfasste Buch voller Hass-Tiraden und antisemitischer Äußerungen auf dessen Homepage oder im Online-Handel finden zu können.»

Eine psychologische Überprüfung von Philipp F. sei aufgrund der unzureichenden Recherche der Waffenbehörde unterblieben, sagte auch der Innenexperte der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Deniz Celik. «Es steht die Frage im Raum, ob die schreckliche Tat nicht hätte verhindert werden können, wenn die Behörde anständig recherchiert hätte.» Er verwies darauf, dass Philipp F. das Buch auch auf seiner den Behörden bekannten Homepage beworben hatte.

Für die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein ist es unverständlich, dass die Beamten der Waffenbehörde bei ihrem Besuch in der Wohnung des Sportschützen nicht nach dem Buch gefragt haben. Wäre dies geschehen, «hätte man Philipp F. sicherlich intensiver überprüft», sagte sie. «Die Aussage, dass ein anonymer Hinweis nicht ausreicht, um eine rechtssichere Überprüfung sicherzustellen, halte ich für nicht tragbar.»

Die AfD sprach sich gegen «überhastete Forderungen nach Waffenrechtsverschärfungen» aus. Eine bessere Ausstattung und Austausch zwischen den Behörden und der Polizei seien nötig, sagte deren Fraktionschef Dirk Nockemann.

Trauerfeier am Sonntag

Unterdessen soll am Sonntagabend bei einem ökumenischen Gottesdienst der Opfer gedacht werden. Die Trauerfeier werde von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Nordkirche und dem Erzbistum Hamburg veranstaltet und derzeit vorbereitet, sagte Senatssprecher Marcel Schweitzer. Ein Vertreter der Zeugen Jehovas zeigte sich empört, dass weder die Glaubensgemeinschaft noch die Angehörigen der Todesopfer in die Planungen einbezogen worden seien. Schweitzer betonte, dass die Zeugen Jehovas zu der Feier eingeladen würden.

Philipp F. hatte am vergangenen Donnerstagabend nach einem Gottesdienst der Zeugen Jehovas in Hamburg-Alsterdorf sieben Menschen erschossen, darunter ein ungeborenes Kind. Dann tötete er sich selbst. Neun Menschen wurden verletzt – sieben von ihnen wohnten in Hamburg, zwei in Schleswig-Holstein.

Am Dienstag werden noch sechs Verletzte im Krankenhaus behandelt. Bei einem von ihnen bestehe weiterhin akute Lebensgefahr, sagte der stellvertretende Leiter des Hamburger Staatsschutzes, Uwe Stockmann.

Bildquelle:

  • Nach Amoklauf in Hamburg: dpa

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