von ESTHER VON KROSIGK
RIAD – Immer häufiger und unter unterschiedlichen Vorzeichen präsentiert sich Saudi-Arabien auf der Weltbühne. Die neueste Rolle: Als Friedensinitiator im Ukraine-Krieg. Am kommenden Wochenende fliegen Staats- und Regierungschefs aus den USA, aus China, Europa, Indien und Brasilien sowie aus mehreren afrikanischen Ländern zu Friedensgesprächen auf die arabische Halbinsel.
Am stärksten engagiert sich Saudi-Arabien aber wohl nicht in der internationalen Politik, sondern im Tourismusgeschäft. Seit Kurzem pumpt das einst verschlossene Königreich Milliarden in die Hotellerie und den Ausbau von touristischen Projekten. So soll am Stadtrand von Riad ein riesiges Unterhaltungs- und Einkaufszentrum entstehen. Verträge mit Hotel-Giganten wie etwa Hilton, Hyatt und Accor wurden geschlossen, 2025 wird eine zweite nationale airline, Riyadh Air, den Betrieb aufnehmen. Es soll die umsatzstärkste Fluggesellschaft im ganzen Nahen Osten werden und Wettbewerber wie Emirates aus Dubai und die katarische Qatar Airways noch übertreffen.
Saudi-Arabien wird im Tourismus mit Dubai, Abu Dhabi und Oman konkurrieren
Mit seinm ehrgeizigen Vorhaben könnte das ölreiche Königreich mit Kronprinz Mohammed bin Salman an der Spitze zu einer ernst zunehmenden Konkurrenz für die benachbarten Länder werden. Die haben allerdings einen jahrzehntelangen Vorsprung: Denn der Tourismus in den Arabischen Emiraten begann bereits zaghaft in den 1950er und 1960er Jahren und entwickelte sich sprunghaft 1971, als sich die Emirate Abu Dhabi, Dubai, Sharjah, Ajman, Umm Al-Quwain, Fujairah und Ras Al Khaimah zu den Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zusammenschlossen. Gemeinsam machte man sich daran, den Fremdenverkehr durch den Ausbau touristischer Infrastruktur zu fördern. Dubai wurde mit seinen Superlativen an futuristischen Bauten, seinen Freizeitparks und glitzernden Einkaufszentren zum Magnet für Millionen Reisende. Der Tourismus wurde zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige der Region.
Der Wüstenstaat hat jährlich über 3.000 Sonnenstunden und nur 13 Regentage
Doch Saudi-Arabien hat den Bonus des Neuen, Unerschlossenen in einer Welt, die nur noch wenig stille Nischen bereithält. Das riesige Land beherbergt allein sechs UNESCO- Weltkulturerbestätten, zu denen auch die Al-Hasa Oase gehört, die größte grünende Wüstenlandschaft weltweit. Backpacker-Rudel oder lange Schlangen von Kulturbeflissenen vor den Sehenswürdigkeiten dürften hier noch nicht anzutreffen sein, denn Saudi-Arabien gibt erst seit 2019 Visa an internationale Besucher aus. Davor war es in der Regel nur Geschäftsleuten und muslimischen Pilgern gestattet, in das Land einzureisen.
Insbesondere für sonnenhungrige Europäer dürfte das Land mit seinen jährlich über 3.000 Sonnenstunden und nur dreizehn Regentagen einen Anreiz bieten. Denn die Nordländer müssen künftig in puncto Reiseziele wahrscheinlich umdisponieren – im Süden Europas bleibt das Wasser voraussichtlich knapp und die Gefahr von Waldbränden im Sommer hoch.
Ein Nachtleben im westlichen Stil mit Clubs und Bars gibt es nicht
Natürlich gilt es auch die Kehrseite zu beachten: Saudi-Arabien hat eine konservative gesellschaftliche Struktur, die von den Regeln des Islam geprägt ist. Die Scharia, das islamische Recht, ist die Grundlage des Rechtssystems. Geschlechtertrennung ist in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens noch üblich, obgleich sich seit einigen Jahren die Situation der Frauen enorm verbessert hat: Frauen dürfen seit 2018 selbst Auto fahren, sie haben das Recht, unabhängig zu leben, einen Reisepass zu beantragen und ein eigenes Geschäft zu eröffnen – ohne die Zustimmung eines Vormunds wie Vater, Ehemann oder Bruder einzuholen.
Mit dem Reformprogramm „Vision 2030“ möchte Mohammed bin Salman seinem Land einen fortschrittlichen Anstrich geben. Die Lockerungen bestimmter Regeln seit Öffnung des Landes vor vier Jahren betreffen jedoch vor allem ausländische Besucher und auch die sind angehalten, sich an die örtlichen Gepflogenheiten zu halten. Allzu knappe Kleidung und Nacktbaden dürften in dem religiös geprägten Land zu großen Problemen führen. Auch gleichgeschlechtliche Beziehungen sind gesellschaftlich tabuisiert und werden mit hohen Strafen belegt. Abgesehen von Restaurants und Hotels gibt es kein Nachtleben im westlichen Stil – es ist erst wenige Jahre her, dass in Riad wieder das erste Kino öffnen durfte.
Doch wer bereit ist, sich auf Neues einzulassen, kann durchaus auf seine Kosten kommen: Das Land bietet eine Vielzahl an Natur- und Kulturschätzen, die man erkunden kann. Auf Dauer wird der Tourismus das Land sicher verändern – und nicht immer zum Positiven. Möglicherweise wird mit viel Geld eine ähnlich künstliche Welt wie in Dubai erstehen.
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- Jetski_Jeddah: pixabay