von CHRISTIAN KOTT
BERLIN – Wenn ein verheerendes Unwetter droht und die Regierenden alle ernsten Warnungen ignorieren, mit der Folge, dass mehr als 170 Menschen sterben; wenn jemand illegal aus Tunesien nach Deutschland einreist, es zahlreiche Hinweise auf die Gefährlichkeit dieses Herrn Amri gibt, und der Staat nichts unternimmt, um einen Terroranschlag mit vielen Toten und Schwerverletzten zu verhindern – wen können wir als Bürger dann dafür zur Verantworung ziehen? Und wen können wir vor ein ordentliches Gericht stellen, das prüft, ob da jemand in Verantwortung war, der oder die „Schaden vom deutschen Volke“ abgewendet oder tatsächlich angerichtet hat?
Forderungen, die noch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse vor ein Gericht gestellt werden, damit ihre persönliche Verantwortung für eine Reihe von Fehlentscheidungen ihrer Bundesregierung festgestellt und sanktioniert wird, sind nicht neu.
Vom Bruch des Amtseides ist dann die Rede und von „rechtswidrigem Vorgehen“. Immer wieder fanden sich zum Teil sogar Juristen, die gegen Merkel oder Mitglieder ihrer Regierung Strafanzeigen erstatteten. Diese haben dann allerdings eines gemeinsam: Die Staatsanwaltschaften, bei denen die Anzeigen eingingen, lehnten diese unisono mangels sogenanntem „Anfangsverdacht“ ab und leiteten nicht einmal ein Ermittlungsverfahren ein.
Warum eigentlich nicht, und wie ist das rechtlich zu bewerten?
Verstoss gegen den Amtseid?
Der Amtseid des Bundeskanzlers lautet gem. Art. 56 GG: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“
Unabhängig, wie man zu Merkels politischen Entscheidungen stehen mag, sind sich Verfassungrechtler jedoch einig: Wegen etwaiger Verletzung des Amtseides kann juristisch nicht vorgegangen werden, denn rechtlich gesehen hat der Amtseid keine rechtliche Bedeutung.
In diesem Punkt kann man sich kurz fassen: Wer meint, er könne aus dem Amtseid eines Regierungschefs rechtliche Folgen ableiten, der ist einfach auf dem Holzweg.
Verstoß gegen Gesetze?
Nicht jeder Verstoß gegen ein Gesetz zieht eine gesetzliche Sanktion nach sich. Jeder Jurist lernt bereits im ersten Semester den Grundsatz „nullum crimen, nulla poena sine lege“ („kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz“). Im Klartext bedeutet das, dass niemand wegen eines Verstoßes bestraft werden kann, ohne dass eine sanktionierende, gesetzliche Vorschrift gibt, die die konkrete Tat nachprüfbar strafbar oder ordnungswidrig macht.
Diesen Grundsatz hat nicht etwa Angela Merkel erfunden um sich aus ihrer Verantwortung zu schummeln, er ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Aufklärung, um den Missbrauch der Justiz durch die Machthaber gegenüber dem Volk zu verhindern. Denn zuvor konnte – je nach Rechtsordnung – ein vermeintlicher Missetäter wegen nicht normierter Taten einfach deswegen verurteilt werden, wenn es den Mächtigen opportun erschien.
Selbst wenn nun jemand meint, beim googlen z.B. eine Vorschrift aus dem Asylrecht gefunden zu haben, die 2015 nicht richtig angewendet wurde, so müsste er also auch eine dazu finden, die den Verstoss unter Strafe stellt. Ich erspare Ihnen die lange Suche: Insbesondere im Asylrecht (aber eben auch bei der langen Liste sonstiger Gesetzesverstösse, die Merkel vorgeworfen werden) gibt es eine solche Strafvorschrift nicht. Auch Aussagen aus dem fernen Südafrika mögen rechtlich nicht korrekt und außerhalb der Kompetenz eines Bundeskanzlers sein, aber es gibt kein Gesetz, das es unter Strafe stellt, Unsinn vor laufender Kamera zu erzählen. Nicht einmal das jahrelange Versäumen von dringend gebotenen Maßnahmen zum Hochwasserschutz steht unter Strafe.
Solange also niemand Frau Merkel dabei erwischt, gegen eine Strafvorschrift zu verstoßen, bringt es juristisch nichts, das zu bemängeln.
Strafrechtliche Verantwortung für Verbrechen illegaler Asylbewerber?
Auf den ersten Blick logisch klingt es, Merkel müsse sich juristisch verantworten, weil Täter, die wegen Falschanwendung des Asylrechts oder wegen verschleppter Abschiebungen überhaupt nicht in Deutschland sein dürften, Straftaten begehen.
Aber juristisch ist das nicht logisch. Um als Teilnehmer einer von einem anderen begangenen Tat belangt werden zu können, muss man entweder Anstifter, Beihelfer oder Mittäter sein. Ich erspare Ihnen seitenlange Ausführungen zu den §§ 25-31 des Strafgesetzbuches, in denen das geregelt ist: Aus keiner dieser Vorschriften ergibt sich auch nur im Ansatz, dass ein Regierungschef, der Asylgesetze falsch anwendet, für die Missetaten der illegalen Migranten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Wer dies anders sieht, wird schon bei der ersten Jura-Klausur feststellen, dass er dieses Semester wiederholen darf.
Und nun? Haben wir eine dringend regelungsbedürftige Gesetzeslücke? Nicht einmal das. Denn die Sanktion für sein Handeln erfährt in einer Demokratie der Politiker an der Wahlurne. Der Wähler ist bei jeder Wahl der Richter, der durch die Abgabe der Stimme ein Urteil über die Kandidaten und die dahinter stehende Partei abgeben kann. So wenig, wie der Wähler vor ein Gericht gestellt werden kann, wenn er sich „verwählt“, so wichtig ist es, dass dieser sich gut überlegt, wem er seine Stimme gibt.
Die nächste Urteilsverkündung ist übrigens am 26. September. Dann können Sie mit Ihrer Stimme für Gerechtigkeit sorgen.
Bildquelle:
- Bundeskanzlerin Merkel: dpa