ISTANBUL – Hunderttausende haben heute in mehreren Großstädten der Türkei gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu demonstriert. Der wurde vom türkischen Innenministerium gleichzeitig seines Amtes mit sofortiger Wirkung enthoben.
Imamoglu ist der aussichtsreichste Gegenkandidat von Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Begründet wurde die Festnahme mit „Terror- und Korruptionsvorwürfen“, die Opposition spricht von einem „Staatsstreich“.
Bei der Inhaftierung handele es sich um eine „Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren“, ließ der 53-Jährige Imamoglu über seine Rechtsanwälte mitteilen.
Tatsächlich hat es auch in der Vergangenheit immer wieder Absetzungen pro-kurdischer Bürgermeister oder Ortsvorsteher von der sozialdemokratischen CHP gegeben, der Imamoglu angehört. Man warf sie aus dem Rathaus und ein staatlicher Zwangsverwalter übernahm direkt die Amtsgeschäfte. Die Absetzung des Bürgermeisters der 16-Millionen-Metropole Istanbul ist allerdings ein beispielloser Vorgang in der Geschichte des Landes.
Inzwischen hat ein Gericht in Istanbul Untersuchungshaft für Imamoglu angeordnet, dem nach seinen Siegen in der Millionenstadt gute Chancen vorhergesagt wurden, Erdogan abzulösen.
Imamoglu sollte heute von seiner Partei zum Präsidentschaftskandidaten gewählt werden. Die Abstimmung fand dann trotzdem in Abwesenheit statt. Imamnoglus Partei sprach am Nachmittag von einem „Putschversuch“ der Regierung, mit dem man einen ernsthaften Konkurrenten ausschalten wolle.
Das Vorgehen Erdogans und seiner Behörden zeigt, wie aussichtslos frühere Bemühungen der Türkei, Mitglied der WU zu werden, sind. Das Vorgehen gegen einen aussichtsreichen Gegenkandidaten erinnert an Russlands Präsident Wladimir Putin, der als Machthaber immer wieder Gegenkandidaten entweder von Wahlen ausschließen ließ (Nadeschdin), auf Jahre in Lager sperrte (Chodorkowski) oder sie wie Alexej Nawalny und Boris Nemzow gleich töten ließ.
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