Thomas Kutschaty (52) führt jetzt die einst mächtige SPD an Rhein und Ruhr

HANDOUT - Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, auf dem Landesparteitag der NRW-SPD Foto: Julia Meya/NRWSPD/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits

DÜSSELDORF – Die nordrhein-westfälische SPD zieht mit Thomas Kutschaty als neuem Vorsitzenden des größten Landesverbands in die Bundestags- und Landtagswahlen. Die Delegierten wählten den 52-jährigen Landtagsfraktionschef am Samstag auf einem digitalen Parteitag mit einem überzeugenden Votum von 90,5 Prozent. Der frühere Landesjustizminister aus Essen war vom SPD-Landesvorstand bereits als Spitzenkandidat für die NRW-Landtagswahl 2022 nominiert worden.

«Die Zukunft gehört nicht den Verzagten, die Zukunft gehört den Mutigen», sagte Kutschaty. Der Essener Anwalt und ehemalige Landesjustizminister stellte soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit in den Fokus. Er wolle einen sozialen Neustart für alle Menschen, «ganz gleich, wie ihre Nachnamen klingen, wo ihre Vorfahren geboren wurden und an welchen Gott sie glauben», sagte Kutschaty. «Es gibt keine Bürger erster und zweiter Klasse.»

Vizekanzler Olaf Scholz sowie die Bundesparteichefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sagten Kutschaty Unterstützung zu und nutzten den Parteitag für Attacken auf die Union. «Nordrhein-Westfalen braucht einen Wechsel», sagte Scholz. Die SPD im Bund werde gemeinsam mit Kutschaty dafür kämpfen.

Die NRW-SPD ist in ihrem einstigen Stammland seit der Abwahl der rot-grünen Koalition 2017 in ein Umfragetief gestürzt. Kutschaty forderte einen neuen Aufbruch und sprach den Genossen Mut zu. Umfragewerte von derzeit 17 Prozent hätten die NRW-SPD «tief getroffen». Die Partei sei aber stärker als viele es glaubten. «Wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere Menschen im Land begeistern.»

Kutschaty erhielt bei der Abstimmung 400 von 442 gültigen Stimmen. 33 Delegierte stimmten gegen ihn, neun enthielten sich. Der seit 2018 amtierende Landeschef Sebastian Hartmann hatte nach einem monatelangen Machtkampf mit Kutschaty auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Die Entscheidung muss noch formal per Briefwahl bestätigt werden. Das Ergebnis soll am 17. März bekanntgegeben werden. Die NRW-SPD hatte wie auch andere Parteien zuvor wegen der Corona-Pandemie ihren mehrfach verschobenen Parteitag digital abgehalten. Die Delegierten stimmten von zuhause am Computer ab.

Nach der Corona-Krise dürfe es kein Zurück in die frühere Normalität geben, «wo eklatante Missstände als normal galten», sagte Kutschaty. «Bildung muss in unserem Land für alle Menschen unabhängig vom Einkommen verfügbar sein», sagte er mit Blick auch auf seine eigene Herkunft aus einem bescheidenen Eisenbahnerhaushalt in der Ruhrgebietsstadt Essen. Die Postleitzahl des Wohnorts oder der Geburtsort von Eltern und Großeltern dürfe nicht über Bildungschancen entscheiden. «Der Klang des Nachnamens darf nicht darüber entscheiden, ob ich die Wohnung bekomme oder den günstigen Kredit oder die Beförderung.»

Er werde einen Zukunftsrat mit vielen gesellschaftlichen Akteuren einrichten, sagte Kutschaty. Die SPD müsse aber ihr Ohr auch wieder bei den Menschen haben und «in den nächsten Monaten 100 000 Kontakte im Land knüpfen». Der Lehrer- und Erziehermangel müsse bekämpft werden, und es müsse bezahlbare Wohnungen für alle geben. Der Mindestlohn sei noch viel zu niedrig. Ziel müssten aber vernünftige Tarifverträge für Arbeitnehmer sein. Die SPD kämpfe auch für einen «wirksamen und gerechten» Klimaschutz.

Kutschaty wird nach Michael Groschek und dem Bundestagsabgeordneten Hartmann bereits der dritte Parteichef der NRW-SPD seit deren Niederlage bei der Landtagswahl 2017 und dem Rücktritt von Hannelore Kraft. Im mitgliederstärksten Landesverband ist die Zahl inzwischen auf 97 300 Mitglieder gesunken. Laut einer WDR-Umfrage Ende Januar kam die SPD in NRW nur auf 17 Prozent, während die Grünen mit 24 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der CDU waren.

In Hartmanns Abschiedsrede klang Verbitterung an. «Vertrauen entsteht nicht über Nacht», sagte der Bundestagsabgeordnete. Hartmann verwies auf die Verluste der NRW-SPD bei den Europawahlen und der Kommunalwahl 2020. «In dieser Phase kann keiner Wunderheiler sein.» Die NRW-SPD habe auch nicht immer mit einer Stimme gesprochen und «elend lange Groko-Diskussionen» geführt. Es habe «manchmal auch dunkle Momente» und «Personalquerelen» gegeben.

Kutschaty hatte sich im April 2018 den SPD-Fraktionsvorsitz im Landtag erkämpft. Mit seiner Wahl zum Landeschef liegen Partei- und Fraktionsvorsitz wieder in einer Hand. Obwohl Kutschaty sich als Gegner der Großen Koalition in Berlin einen Namen gemacht hatte, stärkte ihm die Bundes-SPD demonstrativ den Rücken. Der Vorsitzende der NRW-Landesgruppe im Bundestag, Achim Post, erklärte: «Jetzt gilt es, die CDU von Armin Laschet gemeinsam politisch zu stellen.» Post warf dem NRW-Ministerpräsidenten Chaos beim Corona-Management vor. Das sei «alles andere als ein überzeugendes Empfehlungsschreiben für höhere Aufgaben im Bund».

Walter-Borjans, der in Zeiten der rot-grünen Koalition in NRW Finanzminister war, sieht in der neuen Geschlossenheit der Sozialdemokraten im Bund und im Land den Schlüssel für einen Erfolg bei den Bundestagswahlen im September. In der Großen Koalition habe die Bundes-SPD zum Schulterschluss gefunden. In NRW sei das mit der Wahl Kutschatys nun auch gelungen. Jetzt müsse die Partei «zusammen in die nächste Phase gehen», um im September eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung mit einem Kanzler Olaf Scholz zu bekommen.

Bildquelle:

  • Thomas Kutschaty: dpa

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